Pascal Erlachner: «Das medial inszenierte Coming-out war nötig»

Der Schiedsrichter der Schweizer Super League outete sich in Presse und Fernsehen. Und erschütterte die vermeintlich heteroharte Fussballwelt ein wenig in ihren Grundmauern

Bild: Ruben Hollinger/13Photo
Bild: Ruben Hollinger/13Photo

An geouteten Fussballern fallen einem Thomas Hitzlsperger und Robbie Rogers ein, vielleicht noch der Schwede Anton Hysén. Von schwulen Schiris im Profifussball hörte man lange so gut wie gar nichts.

Das hat sich im Dezember 2017 geändert: Pascal Erlachner, Schiedsrichter der Schweizer Super League, outete sich in Presse und Fernsehen. Und erschütterte die vermeintlich heteroharte Fussballwelt ein wenig in ihren Grundmauern.

An Silvester 2016 fasste Pascal Erlachner seine Neujahrsvorsätze, mitten in der Karibik. «Mein Partner und ich waren über die Feiertage in Punta Cana und ich spürte, dass 2017 mein Jahr werden würde», erinnert er sich. Pascal nahm sich Grosses vor: Erstens wollte er die Privatpilotlizenz machen, zweitens in den Gemeinderat seines Wohnorts gewählt werden und drittens der Welt mitteilen, dass er schwul ist. Wobei zu diesem Zeitpunkt seine Umwelt bereits von seiner Homosexualität wusste. Das Coming-out betraf die Öffentlichkeit. Denn Pascal ist Fussballschiedsrichter der höchsten Schweizer Liga. Fussball und Homosexualität: ein Drama in vielen Akten, der letzte Vorhang ist noch lange nicht gefallen.

Auf die Frage, wie sich die Homophobie im Fussball denn äussere, erinnert sich Pascal: «Im Training sagt man einem Kollegen zum Beispiel, er solle doch nicht so schwul spielen oder den Ball nicht wie eine Schwuchtel werfen. Es sind diese feinen Sticheleien, die einem einen Schlag in die Magengrube versetzen, wenn man denn selbst schwul ist.» Dabei würden viele das Wort «schwul» als Schimpfwort gebrauchen, ohne dabei unbedingt an die sexuelle Orientierung zu denken. Manchmal ist es Spass, manchmal provozierend und manchmal halt eben auch als Abwertung oder Erniedrigung des Gegen­übers gemeint.

Sensibilisierung der Trainer Seit über einem Jahr durchlaufen angehende Fussballtrainer beim Schweizerischen Fussballverband (SFV) ein anderthalbstündiges Modul zum Thema «Homophobie im Fussball». Ziel ist es, genau solchen latenten oder offensichtlichen homophoben und beleidigenden Sprüchen Einhalt zu gebieten und die Nachwuchssportler zu sensibilisieren. An die 3000 angehende Trainer haben das Modul bis dato durchlaufen. Es sei noch zu früh, etwas über den Erfolg des Ausbildungsmoduls zu sagen, sagt Philipp Grünenfelder, von Queerpass, dem Fanclub für schwule, lesbische, bi- und heterosexuelle Fans des FC Basel und Mitinitiator des Ausbildungsmoduls. Zurzeit werde ein Fragebogen entwickelt, der es ihnen erlauben wird, Rückschlüsse über Erfolg oder Misserfolg der Ausbildung zu ziehen.

Pascal erwartete damals nicht, dass die Trainer etwas gegen schwulenfeindliche Sticheleien unternommen hätten. Heute ist er aber froh, dass sie auf das Thema sensibilisiert seien und gegebenenfalls einschreiten können. Bei den Profis seien solche Sprüche sowieso nicht mehr so das Problem, meint er. Vielmehr sei es das Bild, das die Gesellschaft vom Fussballer beziehungsweise die Fussballer untereinander von sich selber haben: Ein Fussballer hat ein Macho zu sein. Er hat Tattoos, schnelle Autos und schöne Frauen. Es sei ein Gesamtpaket, erklärt Pascal, da habe es einer mit einem Mann an seiner Seite halt schwierig: Kommt hinzu, dass der Profifussball ein Haifischbecken ist. Er ist schnelllebig und man muss sich durchsetzen können. Man hat Angst vor dem Trainer, den Mitspielern, den Fans und den Sponsoren und versucht darum, möglichst dem herkömmlichen Image zu entsprechen.»

Medial orchestriertes Coming-out Pascal ist heute 38 Jahre alt. Vor zirka vier Jahren outete er sich gegenüber seinen Schiedsrichterkollegen. «Das war während eines Trainingslagers auf Gran Canaria», erinnert er sich. Nein, die Kollegen hätten damit keine Mühe gehabt. Sie würden ihn als Kollegen akzeptieren wie bis anhin und so wie er halt sei, versicherten sie ihm. Überhaupt: Zuerst müsse man sich selbst akzeptieren, wie man ist. Und dann merke man, dass das Umfeld oft gar kein Problem mit diesem Thema habe. Und dass sein Umfeld wirklich keine Probleme damit hatte, merkte Pascal spätestens dann, als er sich letztes Jahr zu einem grossangelegten medialen Coming-out entschied. Der «Blick» hätte die Geschichte am liebsten schon ein Jahr vorher gebracht, denn irgendwie habe die Boulevardzeitung Wind von Pascals Homo­sexualität bekommen, lange bevor er für sein eigenes Coming-out bereit war.

Die Journalisten haben meine Gefühle respektiert

«Ich habe mit den Journalisten gesprochen und sie haben meine Gefühle respektiert», erzählt Pascal. Mitte 2017 begannen dann auch schon die Filmarbeiten für den Fernsehbeitrag, der am 21. Dezember ausgestrahlt wurde. Der «Sonntagsblick» titelte am 10. Dezember mit der Geschichte. Bald berichtete man in der ganzen Schweiz und auch in Deutschland über den schwulen Schiedsrichter, der das Tabu gebrochen hat und über seine Homosexualität öffentlich sprach. Und was ist passiert? Wie waren die Reaktionen? «Durchweg positiv», meint Pascal. Nicht eine negative Äusserung habe es gegeben. Also wäre diese mediale Inszenierung gar nicht nötig gewesen? Ist die Fussballwelt vielleicht gar nicht so verstockt, wie gemeinhin angenommen? Pascal schüttelt den Kopf. Nein, Schwulsein und Fussball, das passe auch heute noch überhaupt nicht zusammen. «Das Thema Homosexualität wird komplett tabuisiert.» Nur mit diesem grossangelegten medialen Coming-out habe er die Fussballwelt etwas in ihren Grundmauern erschüttern können, davon zeigt er sich überzeugt.

Als Schiedsrichter akzeptiert An die 247 Spiele hat Pascal in seiner Schiedsrichterkarriere schon geleitet, 80 davon in der höchsten Schweizer Fussballliga, der Super League. Da verteilte er 298 gelbe und 9 rote Karten und entschied 11 Mal für Elfmeter. Hat sich nach seinem Outing auf dem Platz etwas verändert? «Das Wichtigste ist, dass man auf dem Platz voll bei der Sache ist und die richtigen Entscheidungen trifft. Das haben die Spieler verdient», sagt er und fügt an: «Ich mache und machte Fehler, davor bin auch ich nicht gefeit. Ich werde weiter an mir arbeiten. Daher: nein, es hat sich nichts geändert.» Auch die Spieler würden ihn nicht mehr, nicht weniger akzeptieren als vorher. Schliesslich hätten sie auf dem Platz wichtigere Probleme zu lösen, als sich über seine Sexualität auszulassen.

Den Film «Mario» über einen schwulen Profifussballer kennt Erlachner natürlich. Gegenüber dem MIGROS Magazin sagte er: «Er bringt es wirklich auf den Punkt, ist sehr realistisch, und es gab immer wieder Szenen, die mich extrem berührt und stark an meine eigene Situation erinnert haben.»

Der vollständige Artikel ist in der Mai-Ausgabe der Mannschaft erschienen  Hier abonnieren (Deutschland) – und hier auch (Schweiz)!

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