Mein Coming-out: «In meiner Klasse gab es Jungs, Mädchen und mich»
Alexander erzählt von Mobbing und Gewalt
Soll man sich heute noch outen müssen? In unserem Coming-out-Special antworten neun Menschen – dies ist die Geschichte von Alexander aus Bern.
«Es scheint mir, als ob es in meiner Klasse drei Gruppierungen gab: Die Jungs, die Mädchen und mich. Das erste Mal als Schwuchtel bezeichnet wurde ich in der ersten Klasse. Als ich die Lehrperson nach der Bedeutung fragte, erklärte sie mir, dass Schwuchtel eine Bezeichnung für verheiratete Männer sei.
Das Wort schien im Trend zu sein, ich hörte es bereits öfters im Klassenzimmer. Alles war ‹voll schwul›: Schwule Schule, schwules Fahrrad, schwules Etui. Dass jedoch ein Mensch auch schwul sein konnte, war mir neu.
Ich verstand nicht, weshalb ich Fussball spielen sollte, wenn ich auch Musik machen könnte.
Was das Wort wirklich bedeutet, war spätestens in der Oberstufe allen klar. Meine Tage waren geprägt von Mobbing und Gewalt. Für Akzeptanz in der Klasse war toxisches männliches Verhalten Voraussetzung. Wer die Emotionen nicht unterdrücken konnte, war automatisch schwul – und schwul wollte niemand sein. Schwule waren ja schliesslich halbe Mädchen.
Schon früh konnte ich mich nicht in die geforderten Normen integrieren. Ich verstand nicht, warum ich mit einer Spielzeugpistole ‹Krieg› spielen sollte, wenn man sich auch verkleiden könnte. Ich verstand nicht, weshalb ich mich mit Jungs verabreden durfte, mit Mädchen jedoch nicht. Ich verstand nicht, weshalb ich Fussball spielen sollte, wenn ich auch Musik machen könnte.
Nein. Es spielt eben keine Rolle, ob das Stück Plastik, mit dem das Kind spielt, die Form einer Barbie oder eines Autos hat. Dies schon nur klarstellen zu müssen, grenzt an Lächerlichkeit. Nicht alle Menschen sind binär, hetero und konservativ. Solange queeren Jugendlichen durch die unvollständige schulische Aufklärung über Geschlechter und Sexualitäten die Möglichkeit genommen wird, ihre Sexualität zeitgleich mit der von heterosexuellen Jugendlichen zu entwickeln, wird das Gefühl von Abnormalität bleiben.
Die Welt ist zu komplex für nur zwei Geschlechter und eine Sexualität. Doch gerade ein so unglaublich wichtiges Merkmal des Lebens wird in der Schule meistens ausgelassen. In meinem Fall wurden queerphobe und sexistische Aussagen von den Lehrpersonen sogar toleriert und teils selbst geäussert. Solche Aussagen haben keinen Platz, besonders nicht in Bildungs- und Erziehungsstätten.
Eine Umgestaltung unserer Gesellschaft, in der sich ausnahmslos jede Person respektiert, verstanden und willkommen fühlen darf, muss unter anderem in den Schulzimmern stattfinden: Lehrpersonen sollen entsprechend geschult und die Lehrmittel angepasst werden.
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