Justin Timberlake wird in «Palmer» Ersatz-Papa für queeren Jungen
Der 7-jährige Sam steht auf Feen und Prinzessinnen und wird deswegen als «Schwuchtel» gemobbt
Fisher Stevens war mal der Lebensgefährte von Michelle Pfeiffer, als Schauspieler kennt man ihn aus «Allein gegen die Zukunft» oder «Lost». Als Produzent der Doku «Die Bucht» gewann er einen Oscar, vergangenes Jahr war er am Netflix-Hit «Tiger King» beteiligt. Nun hat der 57-Jährige den Spielfilm «Palmer» (ab 29.1. bei AppleTV+) inszeniert, in dem Justin Timberlake die Hauptrolle spielt.
Timberlake spielt Eddie Palmer, dem einst zu Schulzeiten in der Provinz von Louisiana als Football-Star eine glorreiche Zukunft bevorstand, bevor eine Haftstrafe alles zunichte machte. Nach 12 Jahren im Gefängnis landet er bei seiner Grossmutter Vivian (June Squibb) und muss versuchen, sich zwischen Hausmeisterjob und Kneipenbesuchen eine neue Existenz aufzubauen. Doch bald befindet sich unverhofft der siebenjährige Nachbarsjunge Sam (Ryder Allen) in seiner Obhut wieder, der auf Feen-Outfits und Prinzessinnen-Serien steht und nicht nur deswegen von Kindern wie Erwachsenen gleichermassen als «Schwuchtel» gemobbt wird. Anfangs kann der wortkarg-grummelige Palmer mit dem ebenso quirligen wie sensiblen Jungen nicht viel anfangen. Doch ihr Aussenseiter-Dasein schweisst die beiden bald zusammen.
Mr. Stevens, Ihr letzter Spielfilm als Regisseur liegt neun Jahre zurück, seither waren Sie vor allem mit Umwelt-Dokus beschäftigt. Was reizte Sie nun an «Palmer»? Ich hatte mir von meinem neuen Agenten explizit gewünscht, dass er auch fiktionale Projekte für mich findet, und «Palmer» war eigentlich nur ein Drehbuch, das er mir vorlegte um herauszufinden, welche Art von Geschichten mich interessiert. Aber als ich es las, war ich auf Anhieb so begeistert, dass ich ihm sagte: Ich will nicht Filme dieser Art drehen, sondern ganz konkret diesen. Und habe nicht locker gelassen, obwohl eigentlich schon ein anderer Regisseur vorgesehen war.
Warum diese Begeisterung? Zunächst einmal spürte ich einen persönlichen Bezug zu der Geschichte. Mein Neffe Max war mit sieben Jahren genau so ein Junge wie Sam, interessierte sich eher für Prinzessinnen als für Baufahrzeuge und wurde von anderen Kindern durchaus gemobbt. Ausserdem war zu jenem Zeitpunkt die Wahl Trumps noch nicht lange her. Unser Land war polarisiert und mir gefiel der Gedanke, von zweiten Chancen und Zusammenhalt zu erzählen.
Interessant dass Sie Ihren Neffen erwähnen. Kinder wie ihn gibt es ja viele, man sieht sie nur nicht oft in Film und Fernsehen … Genau, dabei wäre das so wichtig. Und zwar nicht nur, sie zu zeigen, sondern auch zu zeigen, dass sie geliebt und akzeptiert werden. Mein Neffe hatte das Glück, von Anfang an von seiner Familie mit Liebe überschüttet und immer unterstützt worden zu sein. Er ist zu einem tollen jungen queeren Mann herangewachsen, den es sicherlich ins Showgeschäft verschlagen wird. Mir war es unglaublich wichtig, eine Geschichte zu erzählen, in der sich nicht nur er wiederfindet, sondern die auch ein Verständnis für die Wichtigkeit vermittelt, solche Kinder einfach sie selbst zu lassen und nicht verändern zu wollen. Sam, der Junge im Film, ist diesbezüglich eine echte Inspiration.
Nach dem Motto: Wenn selbst der von Justin Timberlake gespielte Ex-Sträfling Palmer, der eher wortkarg und aggressiv als liberal wirkt, ihn in sein Herz schliesst, kann das jeder? Im Grunde ja. Natürlich dauert das eine Weile. Und es gibt grossen Druck in Palmers Umfeld, diesen Jungen eben nicht zu akzeptieren. Aber im Grunde sind sie ja beide gesellschaftliche Aussenseiter – und haben darin eben auch Gemeinsamkeiten. Zumal Palmer als Figur nicht weniger interessant und wichtig ist. In den USA gibt es so viele Menschen wie ihn, die in jungen Jahren mit Drogen in Kontakt kommen und Dummheiten machen, wofür sie dann 12 Jahre im Knast landen. Die dürfen danach nicht einmal mehr wählen, so schwer macht man ihnen den Weg zurück in die Gesellschaft. Wir müssen dringend lernen, solche Menschen nach ihrer Entlassung nicht noch weiter zu bestrafen, sondern ihnen neue Chancen geben. Es gibt kaum etwas Wichtigeres als Vergebung.
Wie sind Sie überhaupt auf Timberlake als Hauptdarsteller gekommen? Über die Jahre habe ich die unterschiedlichsten Schauspieler für die Rolle getroffen, aber letztlich wurde nie etwas daraus. Es war richtig frustrierend. Die Managerin von Leonardo DiCaprio, mit dem ich ja schon bei verschiedenen Dokumentarfilmen zusammengearbeitet habe, schlug mir dann Justin Timberlake vor, der bei der gleichen Firma unter Vertrag steht. Denn hatte ich gar nicht auf dem Schirm, obwohl ich ihn in «The Social Network» und «Inside Llewyn Davis» sehr mochte. Aber siehe da: er stammt ursprünglich aus den Südstaaten, wo auch «Palmer» spielt. Und dann war ich in einem seiner Konzerte – und seine Ausstrahlung haute mich aus den Latschen.
Es dauerte eine ganze Weile, bis ich ihn soweit hatte, das Drehbuch zu lesen und schliesslich auch zuzusagen. Doch dann war er auch mit Haut und Haar bei der Sache. Ihm war klar, dass das Gelingen des Films davon abhängt, dass wir den richtigen Jungen finden. Und er hatte kein Problem damit, mit 20 verschiedenen Kindern Szenen durchzuspielen.
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Wie schwierig gestaltete sich die Suche, bis Sie schliesslich auf den tollen Ryder Allen stiessen? Über die Jahre habe ich sicherlich 300 Jungs vorsprechen lassen. Einmal hatte ich schon einen gefunden, der perfekt war für die Rolle. Doch bis Justin mit an Bord und wir bereit zum Drehen waren, war er inzwischen zu gross geworden. Auf Ryder stiessen wir eigentlich nur, weil ich irgendwann beschloss mir auch Siebenjährige anzusehen, obwohl ich eigentlich ein oder zwei Jahre älter im Sinn hatte. Kaum befanden sich er und Justin im gleichen Raum, war nicht zu übersehen, dass die Chemie zwischen den beiden einfach stimmte. Es bestand kein Zweifel daran, dass niemand ausser ihm in Frage kam. Obwohl er eigentlich so gar nicht meinen Vorstellungen entsprach.
Tatsächlich? Optisch hatte ich mir Sam ganz anders vorgestellt. Aber das war von einem Moment auf den nächsten vollkommen egal. Ryder ist einfach ein Naturtalent. Und vor allem ruht er offensichtlich auf bemerkenswerte Weise in sich selbst. Egal ob er ein Feen-Kostüm tragen musste oder rote Cowboystiefel – er war immer vollkommen ungehemmt und selbstbewusst. Ihn gefunden zu haben ist ein kleines Wunder.
Sie selbst sind ja auch Schauspieler. Wie finden Sie dafür zwischen Ihren Produktionen und Regiearbeiten überhaupt noch Zeit? Oft tatsächlich gar nicht. Ich musste schon viele spannende Rollen absagen, weil ich gerade mit anderen Projekten beschäftigt war. Aber ich liebe die Schauspielerei und vermisse sie oft. Und wenn eine so tolle Sache wie die Serie «Succession» meinen Weg kreuzt, dann mache ich es auch irgendwie möglich, dass ich ohne wenn und aber zusage. Das ist mit Abstand der coolste Schauspiel-Job, den ich seit langem hatte. Da ist es mir dann sogar egal, wenn ich mal in einer Folge nur einen einzigen Satz sagen muss.
Eine letzte Frage noch zur Netfllix-Reihe «Tiger King», die sich letztes Jahr als echtes popkulturelles Phänomen entpuppte. Hat Sie der Erfolg überrascht? In diesem Ausmass auf jeden Fall. Das ging ja soweit, dass es kurz sogar so aussah, als würde Donald Trump als letzte Amtshandlung Joe Exotic begnadigen. Mit so etwas hätte ich nie gerechnet. Aber dass er und die anderen Typen für ein gewisses Aufsehen sorgen würden, war uns natürlich klar. Dafür ist ihre Geschichte einfach zu irre. Und entsprechend hat «Tiger King» nun auch so gar nichts mehr zu tun mit dem Projekt, das ursprünglich daraus werden sollte.
Ach nein? Ihren Anfang nahm die Sache eigentlich als Tierschutz-Film. Nach dem Oscar für «Die Bucht» meldete sich Eric Goode, einer der Regisseure von «Tiger King», und präsentierte mir Aufnahmen von Märkte in China, wo illegal mit Reptilien und anderen Tieren gehandelt wurde. Darum sollte es gehen. Doch von dort kamen wir zu den Grosskatzen und irgendwann stiessen Eric und Rebecca Chaiklin auf Joe Exotic und Carole Baskin – und plötzlich schlug das Projekt eine ganz neue Richtung ein.
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