Intersex Awareness Day: Besonders ältere inter Menschen brauchen Hilfe

«Das Problem liegt beim Blick, den die meisten auf das Spektrum natürlicher Geschlechtlichkeit haben»

Ibrahim Kanalan (l.) und Frieda Fischer von TransInterQueer e.V. hissen die Inter-Flagge (Foto: Christophe Gateau/dpa)
Ibrahim Kanalan (l.) und Frieda Fischer von TransInterQueer e.V. hissen die Inter-Flagge (Foto: Christophe Gateau/dpa)

Zum Welttag der Intergeschlechtlichkeit, auch bekannt als «Intersex Awareness Day», hisste am Mittwoch der Staatssekretär für Justiz, Ibrahim Kanalan, die Inter-Flagge vorm Dienstgebäude der Berliner Senatsverwaltung für Justiz, Vielfalt und Antidiskriminierung.

Ibrahim Kanalan erkläre dazu: «Der Intersex Awareness Day erinnert uns an den Einsatz intergeschlechtlicher Menschen um Teilhabe und den Schutz ihrer körperlichen Unversehrtheit. Wir alle sind aufgerufen uns dafür einzusetzen, dass Lebenswege jenseits von weiblich und männlich möglich sind und dass körperliche Vielfalt nicht mit Scham und Schweigegeboten belegt oder gewaltsam normiert wird.»

Anwesend waren Vertreter*innen von TransInterQueer e.V. sowie Mitglieder der LGBTIQ-Community (MANNSCHAFT berichtete).

Der «Intersex Awareness Day» wird jeweils am 26. Oktober begangen und erinnert an die erste öffentliche Demonstration von intergeschlechtlichen Menschen am 26. Oktober 1996 in Boston.

Altersarmut und Isolation In einer Pressemitteilung sagt Christophe Lacroix von der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE), dass die Gesellschaft sich besonders um ältere inter Menschen kümmern müsse.

Christophe Lacroix von PACE (Foto: Facebook / Christophe Lacroix)
Christophe Lacroix von PACE (Foto: Facebook / Christophe Lacroix)

«Für ältere intergeschlechtliche Personen sind die Spätfolgen einer Geschlechtsverstümmelung, von Geheimhaltung, Scham und mangelhaftem Zugang zu medizinischen Unterlagen oft zerstörerisch. Das führt vielfach zu einem fortwährenden Misstrauen gegenüber Ärzten, Angst vor Einlieferung in Krankenhäuser oder Institutionen, und es führt zu ungenügender medizinischer Betreuung. Dazu kommt ein Magel an Unterstützung durch Familien, vielfach niedriges Einkommensniveau auf Grund von Diskriminierung im Bereich Bildung und Arbeitswelt. Viele intergeschlechtliche Menschen verbringen ihr Leben in Isolation und Altersarmut», so Lacroix.

Verbot medizinisch nicht notwendiger Operationen «Wir wissen zu wenig über diese Herausforderungen, weil es zu wenig Daten und Untersuchungen dazu gibt. Deshalb fordere ich alle Staaten am Intersex Awareness Day 2022 dringend auf, diese Situation zu verbessern, indem Studien zur Situation von älteren Inter-Personen und ihren Problemen finanziell gefördert werden, damit wir lernen, wie sie ihre aktuelle Lage überwinden können», erklärt Lacroix

LGBTIQ-Aktivist*innen nutzten den 26. Oktober seit Jahre, um für ein Verbot medizinisch nicht notwendiger Operationen bei intergeschlechtlichen Kindern und Babys zu kämpfen. Seit Mai 2021 gibt es in Deutschland ein Gesetz, das diese Forderung umsetzen soll.

Lucie Veith vom Bundesverband Intergeschlechtliche Menschen e.V. nennt das Gesetz einen «überfälligen ersten Schritt in die richtige Richtung, aber längst nicht ausreichend». Kinder, deren Genitalien nicht eindeutig in die Kategorien männlich oder weiblich passten, seien aufgrund der erheblichen Lücken des Gesetzes nach wie vor nicht ausreichend geschützt, betont Veith im Gespräch mit der Zeitung Neues Deutschland.

Die neue Progress-Pride-Fahne, die Valentino Vecchetti entworfen hat (Foto: Intersex Equality Rights UK / Instagram)
Die neue Progress-Pride-Fahne, die Valentino Vecchetti entworfen hat (Foto: Intersex Equality Rights UK / Instagram)

«Wer Geld hat, geht einfach ins Ausland und lässt sein Kind dort operieren» Zwar sei seit Mai 2021 verboten, «Kinder mit Varianten der Geschlechtsentwicklung» zu operieren, wenn der Grund für die Operation allein die Anpassung an weibliche oder männliche Normen ist. Jedoch gäbe es keine rechtliche Definition, was genau eine «Variante der Geschlechtsentwicklung» darstelle. Veith sieht hier die Gefahr, dass Mediziner*innen «da auch Dinge ganz geflissentlich übersehen können» und so weiterhin intergeschlechtliche Kinder ohne eine medizinische Notwendigkeit operiert werden könnten. Ausserdem gebe es keine Regelungen für den Fall, wenn die Operationen ausserhalb Deutschlands durchgeführt würden. «Wer Geld hat, geht einfach ins Ausland und lässt sein Kind dort operieren», sagt Veith.

Auch Veith sieht das Verhältnis zur Medizin für viele intergeschlechtliche Menschen schwierig. Denn ihre Körper werden von Mediziner*innen oftmals als fehlerhaft eingeordnet, weil sie nicht eindeutig in die Kategorien weiblich oder männlich passen.

Dabei liege das Problem nicht bei den intergeschlechtlichen Menschen, «sondern an dem verstellten Blick, den die meisten auf das Spektrum natürlicher Geschlechtlichkeit haben», so Veith.

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