HIV-Konferenz in Duisburg: So geht Vielfalt!
Erstmals nehmen auch Geflüchtete teil
«Gemeinsam Unterschiede feiern – sichtbar, streitbar, stark» – unter diesem Motto veranstaltet die Deutsche Aidshilfe (DAH) von Donnerstag bis Sonntag in Duisburg Europas grösste Konferenz zum Leben mit HIV. Rund 400 Menschen mit und ohne HIV setzen sich mit der Vielfalt der HIV-Community auseinander und erarbeiten Strategien gegen Diskriminierung.
Dabei ist die Vielfalt so gross wie nie: Erstmals nehmen auch geflüchtete Menschen mit HIV aus der Ukraine an den «Positiven Begegnungen» teil, erstmals stammt mehr als die Hälfte der Teilnehmenden ursprünglich nicht aus Deutschland. «Vielfalt war schon immer eine grosse Stärke der HIV-Community. Uns eint das gemeinsame Ziel: eine Gesellschaft, in der HIV-positive Menschen ganz selbstverständlich leben können – ohne Berührungsängste, Abwertung und Benachteiligung», sagt Winfried Holz vom Vorstand der Deutschen Aidshilfe.
Bundestagspräsidentin Bärbel Bas ist als Duisburgerin und Mitglied der AIDS-Hilfe Duisburg/ Kreis Wesel Schirmfrau der Positiven Begegnungen. Sie schreibt in ihrem Grusswort: «Keinen zurücklassen, niemanden verurteilen – mit diesem Ansatz hat die Aidshilfe deutschlandweit viel Vertrauen aufgebaut. (…) Wer alle Betroffenen erreichen will, muss die Vielfalt unserer Gesellschaft anerkennen und in ihr einen Gewinn sehen.»
Das ist leider noch lange nicht selbstverständlich. Bei der Studie «positive stimmen 2.0» gaben 2020 90 Prozent der Befragten an, sie könnten gut mit ihrer HIV-Infektion leben. 95 Prozent berichten jedoch von mindestens einer diskriminierenden Erfahrung in den letzten 12 Monaten aufgrund von HIV. Menschen mit HIV werden dabei oft aufgrund mehrerer Persönlichkeitsmerkmale gleichzeitig diskriminiert, zum Beispiel wegen ihrer sexuellen Orientierung, geschlechtlichen Identität oder durch rassistische Zuschreibungen. 65 Prozent der Befragten gaben an, dies treffe auf sie zu. (MANNSCHAFT berichtete zum offenen Umgang mit HIV)
Konferenzleiterin Heike Gronski, Referentin für das Leben mit HIV bei der Deutschen Aidshilfe, erklärt: «Bei den Positiven Begegnungen finden Menschen zusammen und schaffen einen Raum, in dem wir alle ganz wir selbst sein, Kraft schöpfen und den Wert verschiedener Perspektiven kennenlernen können. Das hilft auch dabei, mit Diskriminierungserfahrungen umzugehen. Schon immer war uns wichtig, gerade auch die Menschen in unserer Community willkommen zu heissen, die aus grosser Not geflüchtet und nach Deutschland gekommen sind.»
DAH-Vorstand Winfried Holz betont: «Bezüglich der medizinischen Versorgung geflüchteter Menschen ist die Politik gefragt: Unverzichtbar ist eine vollwertige medizinische Versorgung für alle Menschen, unabhängig von der Staatsbürgerschaft oder dem Aufenthaltsstatus. Menschen ohne Aufenthaltspapiere zum Beispiel haben oft keinen Zugang zum Medizinsystem. Die Folge sind vermeidbare Aids-Erkrankungen.»
Versorgungslücken in Duisburg und NRW In Duisburg und anderen Städten in Nordrhein-Westfalen ist zudem die Versorgung von Menschen mit HIV nicht ausreichend, es drohen weitere Lücken. Marie Schellwat, Geschäftsführerin der AIDS-Hilfe Duisburg / Kreis Wesel, erklärt: «In der Region Duisburg gibt es nur noch einen HIV-Schwerpunktarzt. Wir benötigen dringend eine Perspektive für die ärztliche Versorgung HIV-positiver Menschen. Ferner ist die Finanzierung der örtlichen Aidshilfen in NRW vielfach nicht mehr gesichert, sodass Begleitungs- und Beratungsangebote in Gefahr sind. Wir fordern auf Landesebene eine Erhöhung der Zuwendungen und eine langfristige und auskömmliche Förderung der Vereine und Initiativen, die Menschen mit HIV unterstützen.»
Mit ihrer Vielfalt und einem solidarischen Umgang miteinander hat die HIV-Community schon immer ein gutes Beispiel für eine offene, diverse Gesellschaft gegeben. Bei den Positiven Begegnungen ziehen sehr verschiedene Menschen an einem Strang: schwule Männer, Drogen konsumierende Menschen, heterosexuelle Frauen und Männer, trans Menschen, Migrant*innen aus Ländern, in denen HIV häufig vorkommt, und mit HIV geborene Jugendliche – um nur einige Gruppen zu nennen. Zu den Teilnehmenden gehören auch Mitarbeiter*innen von Aidshilfen und andere Menschen, die beruflich oder privat mit dem Thema HIV zu tun haben.
Lilian Petry, HIV-Aktivistin aus Saarbrücken, die in der Vorbereitungsgruppe der Positiven Begegnungen mitgearbeitet hat, sagt dazu: «Ich freue mich sehr, dass wir uns nach der langen Covid-Pause endlich wieder persönlich zusammenkommen können – für die Selbsthilfe ist das sehr wichtig. Viele von uns sehen sich nur bei den Positiven Begegnungen. Hier können wir unsere Vielfalt erleben, uns kennenlernen und Akzeptanz in unserer Community durch persönliche Begegnungen entwickeln. Das ist eine wichtige Grundlage, um auch nach aussen gegen Diskriminierung, Rassismus und andere Formen von Ausgrenzung einzutreten – und so das Leben von Menschen mit HIV zu verbessern.»
Leben mit HIV heute In Deutschland leben laut Robert Koch-Institut ungefähr 91.400 Menschen mit HIV (MANNSCHAFT berichtete). Dank hoch wirksamer Therapien haben Menschen mit HIV bei rechtzeitiger Behandlung heute eine normale Lebenserwartung und können leben wie alle andere Menschen. Unter Therapie ist HIV nicht mehr übertragbar; Menschen mit HIV können daher auch auf natürlichem Wege Kinder zeugen und zur Welt bringen.
Grund für Diskriminierung sind oft Berührungsängste und falsche Vorstellungen vom heutigen Leben mit HIV. PoBe-Schirmherrin Bärbel Bas bringt die Herausforderung auf den Punkt: «Wir brauchen mehr Wissen über neue Therapie- und Schutzmöglichkeiten – in der gesamten Bevölkerung. Wir müssen ein realistisches Bild vom Leben mit HIV vermitteln und mit überholten Vorstellungen aufräumen.»
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