«Unser Anliegen ist gutes inklusives, queeres, postmigrantisches Kino»

«Futur Drei»-Hauptdarsteller Benjamin Radjaipour über seinen Erfolgsfilm und eigene Erfahrungen mit Homophobie und Rassismus

Eine Szene aus Futur Drei (Bild: Salzgeber)
Eine Szene aus Futur Drei (Bild: Salzgeber)

«Futur Drei» erzählt eine Geschichte, die auf eigenen Erfahrungen des Kollektivs basiert. Gemeinsam haben sie einen Film geschaffen, der eine Lebensrealität abbildet und von einer paradiesischen Zukunft träumt. Das Interview mit dem aus Tübingen stammenden Hauptdarsteller Benjamin Radjaipour.

Ein Urteil reisst Parvis in «Futur Drei» aus seinem bequemen Leben mit langen Partys und gelegentlichen Grindr-Dates. Eigentlich hat der junge Mann alles, was er sich wünscht, trotzdem liess er etwas aus einem Laden mitgehen. 120 Sozialstunden muss er nun ableisten, in einem Wohnprojekt für Flüchtlinge. Als Sohn von Exil-Iranern soll er sich dort als Übersetzer nützlich machen.

Szene aus «Futur Drei» (Foto: Salzgeber)
Szene aus «Futur Drei» (Foto: Salzgeber)

Als Parvis leicht tänzelnd auf das Haus zugeht, fällt er sofort auf. Mit seinen blondierten, beinahe orangen Haaren, dem selbstbewussten Auftreten und seiner «I don’t really care»-Haltung, sorgt er für einen Bruch im Alltag des Wohnprojekts. Für die Geschwister Amon und Banafshe ist er eine willkommene Abwechslung.

Der Coming-of-Age-Film von Faraz Shariat feierte am 23. Februar 2020 seine Premiere im Rahmen der Berlinale.

Benjamin, wer ist Parvis aus deiner Sicht? Ich würde sagen, Parvis ist ein sehr junger Mensch. Er hatte das Privileg bei Eltern aufzuwachsen, die bereits wirtschaftlich angekommen sind in Deutschland. Er ist sehr selbstbewusst, aber seiner Privilegien ist er sich hingegen weniger bewusst. Ich würde sagen, er hat einige Blind Spots, vor allem zu Beginn des Films.

UMFRAGE DER WOCHE: Hund, Katze oder …?

Erkennst du Gemeinsamkeiten zwischen dir und der Figur? Auf jeden Fall, diese Intersektionalität, sich mit einer Migrationsgeschichte auseinandersetzen zu müssen, obwohl man selbst nicht eingewandert ist, queer zu sein und damit in Deutschland aufzuwachsen. Sich eigentlich ganz eingebettet zu fühlen in eine Art Deutschsein und doch anders zu sein, das haben wir gemeinsam. Ich sehe da viele Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede.

Was sind die Unterschiede zwischen euch? Ich bin inzwischen ein bisschen älter als Parvis und ihm in einer gewissen Reflexion voraus, was bestimmte Themen angeht.

Welche Themen sind das? Ähnliche Erfahrungen, die du und Parvis in Deutschland machen? Wenn du damit den Rassismus, die Homophobie und so weiter ansprichst, auf jeden Fall. Ich glaube das sind Themen, die je nachdem in welchem Kontext man lebt, härter oder weniger hart ausfallen. Aber ich glaube das sind Aspekte des migrantisch-queeren Lebens, die halt überall stattfinden und denen man sich nur schwer entziehen kann.

«Selamlik» – Das Leben eines schwulen Geflüchteten

Wie ist es, in dieser Zwischenwelt zu leben? Es ist sehr unterschiedlich für unterschiedliche Leute, weil man je nach Identität mehr oder weniger Reibung mit dem System hat. Ich glaube das spricht für alle Erfahrungen, die auch wir im Film beschreiben, diese verschiedenen Generationen von Migrationen, diese Dualitäten, ich glaube das trifft auf jeden zu der Eltern hat, die nicht aus Deutschland stammen. Also dieses zwischendrin, eigentlich da sein, angekommen sein, zur Gesellschaft zu gehören und sich gelichzeitig immer in so einer Hybridzone zu befinden und eigentlich nie so richtig anzukommen.

Im Film wird Parvis angepöbelt, weil er nicht so gut Farsi spricht. Wie gut ist dein Farsi? Es ist ok, also ich spreche fliessend und ich kann mich unterhalten. Es nicht so viel gefragt, deshalb verkümmert es natürlich ein bisschen. Ich glaube, das kennen viele Leute, die eine zweite oder dritte Sprache sprechen. Das ist sie auch, diese Abgrenzung. Für die einen ist Parvis der Deutsche und für die anderen ist er der Ausländer.

Parvis und Amon schauen sich immer wieder lange an. Es knistert zwischen den jungen Männern. Banafshe bemerkt diese Anziehung ebenfalls. Doch sie hat noch ganz andere Sorgen: Ihr droht die Abschiebung zurück in den Iran. Trotzdem beginnt sie die beiden Männer zusammenzuführen und freundet sich mit Parvis an.

«Grey’s Anatomy»: So geht Corona-freundlicher Sex

Gemeinsam gehen die drei auf Partys und geniessen das Leben in Deutschland. Für kurze Zeit die Sorgen vergessen, lachend durch die Strassen ziehen und bei Parvis zuhause chillen. Die Gegenwart konnte schön sein, wenn die ungewisse Zukunft nicht wäre.

Ihr erzählt eine Geschichte, die auch autobiografische Aspekte des Regisseurs Faraz Shariat beinhaltet. Hast du deswegen einen gewissen Druck verspürt, dem gerecht zu werden? Faraz nennt es eine autofiktionale Geschichte, weil es diese Bezüge herstellt und zwar die Erfahrung, die er gemacht hat als Vorbild nimmt, aber sich dann eigentlich entwickelt in eine total neue Fiktion. Da wir auch sehr ausführlich darüber gesprochen haben, hatte ich nie so das Gefühl gehabt, dass es wie eine Last auf mir ist. Es sind ganz konkrete Anhaltspunkte, die man nutzbar machen kann um etwas Grösseres zu erzählen. Dadurch, dass seine Eltern auch die Eltern im Film gespielt haben und wir so viel gesprochen haben über die Dinge, könnte man sich so reinwerfen und es war nie negativ.

Hast du dich mit diesen Gesprächen auf die Rolle vorbereitet? Die Eltern habe ich erst beim Dreh kennengelernt, aber wir haben zwischen dem Zeitpunkt, als ich für das Projekt angefragt wurde und dem ersten Drehtag sind fast zwei Jahre vergangen und in der Zeit haben wir, vor allem Faraz und ich, viel gesprochen, was das für eine Figur sein soll, wo die uns vielleicht ähnelt, wo sie anders sein soll, alles solche Sachen die wir erzählen wollten. Da gab es schon viel Zeit mit Vorbereitung und solchen Gesprächen.

Wie bist du überhaupt zu dieser Rolle gekommen? Als ich 2016 angefragt wurde, habe ich noch Schauspiel studiert. Raquel Dukpa, die das Casting gemacht hat, hat mich einfach gefunden, weil sie junge Talente gesucht hatte, die Farsi sprechen können, aber auch eine gewisse Professionalität aufweisen. Und ich war einfach ein Schauspielstudent, der Farsi spricht und verfügbar war.

Man könnte sagen, du hattest ein wenig Glück. Ja klar, da hatte ich Glück. Aber man lernt sich auch kennen und da muss man schon eine Verbindung haben. Ich glaube schon, und Raquel sagt das auch immer, dass wir den Vorstellungen entsprochen haben, was Begabungen angeht. Es hat sich auch herausgestellt, dass wir politisch ähnlich gepolt sind und dieselben Dinge wollen von der Kunst. Das beschreiben die anderen auch ganz oft, dass im Laufe des Kennenlernens massgeblich war, dass man auf einer Ebene spricht und denkt.

Wart ihr überrascht, dass das Projekt ein solcher Erfolg ist? Was die Zahlen im Kino angeht und dass die Presse so viel darüber berichtet schon, vor allem auch wegen er Umstände gerade. Da fühlen wir uns sehr privilegiert, dadurch dass wir die Premiere auf der Berlinale noch vor dem Lockdown hatten. Somit hatten wir noch einen Antrieb, der uns längerfristig geholfen hat. Überrascht ist immer so ein Ding, man rechnet nicht damit, aber beim Machen haben wir schon gemerkt, was der Film für eine Kraft haben könnte und was für eine Kraft die Bilder haben könnten und wie sehr wir dafür eine Leidenschaft haben. Man ist jetzt nicht überrascht im Sinne von: Was? Die Leute mögen das? Wir lieben diesen Film und wir sind schon sehr überzeugt davon. Aber dass wir so oft besprochen werden, wie wir jetzt besprochen wurden, dass jetzt jeden Tag neue Dinge reinkommen, trotz der Pandemie, das ist schon auf eine Art sehr unerwartet.

Der Film feierte anfangs Jahr Premiere an der Berlinale, gerade noch bevor alle Kinos wegen des Coronavirus geschlossen wurden. Kürzlich kam «Futur Drei» erneut heraus und feierte die Schweizer Premiere im Rahmen des Pink Apple Festivals. Das Festival läuft noch bis zum 15. Dezember weiter und zeigt «Futur Drei» am Samstag, 21. November in Zürich und das Wochenende darauf in Frauenfeld.

Willst du weiterhin Filme machen, oder zieht es dich zurück ins Theater? Theater ist eine grosse Leidenschaft und das werde ich auf jeden Fall nie aufgeben, muss ich auch gar nicht. Es war schon immer mein Wunsch Filme zu drehen und Filme zu machen.

Könntest du dir auch vorstellen, einen «Mainstream»-Film zu machen? Dieser Film ist schon so ein Indie-Film, der Mainstream-Ambitionen hat. Wenn Mainstream in der Zukunft so aussieht wie «Futur Drei», dann mache ich gerne nur noch Mainstream. Das ich auch der Anspruch unseres Kollektivs und der Arbeit die wir leisten, dass wir das Stigma von «Mainstream muss irgendwie so rassistisch, sexistisch, dumm sein» verändern können. Wir wollen etwas für die Masse machen und etwas tun, das sinnlich ist und nicht nur nachdenklich, sondern auch schön und geniessbar. Das wäre schon ein Anliegen, dass man so viel gutes, inklusives, queeres, postmigrantisches Kino wie möglich machen kann und dass es nicht immer nur so spartenmässig bleibt, so abseits der Norm passiert.

So halten es Serien bei Netflix und Co. mit der LGBTIQ-Sichtbarkeit

Wie ist dein Bezug zur LGBTIQ-Community? Ich bin selber queer und ich fühlte mich auch schon immer, bis hin zu Gender eigentlich, nie so angekommen. Ich konnte mich nie damit identifizieren was so gegeben war als Form. Ich habe aufgrund meiner Identität auch viel Diskriminierung erlebt, auch als Teenager. Das ist es halt einfach, ich bin Teil der Community und ich hatte lange Jahre den Anspruch, ich war mir dem gar nicht so bewusst, aber ich hatte unterbewusst den Anspruch einem bestimmten Publikum zu gefallen, weil ich so viele Dinge verinnerlich hatte.

Wie hat sich das nach aussen gezeigt? Ich habe versucht Versionen von mir zu sein, die nicht authentisch waren oder zumindest gefällig genug. Im Schauspielstudium ändert sich jetzt gerade viel, aber in der Menge ist es halt, was Gender angeht, ein rückständiger Betrieb. Studierende sind oft gezwungen klassisch codierte Geschlechterrollen zu übernehmen. Du sollst dich verfügbar und nutzbar machen für die Dinge, die in einem Stück gefragt sind.

Gehört das nicht zum Schauspiel, sich in eine Rolle zu begeben? Ich kann verstehen und anerkennen, dass es Teil der künstlerischen Flexibilität ist, alles bedienen zu können und sich in den Dienst der Schauspielkunst stellen. Aber als Dogma finde ich es problematisch. Ich weiss gar nicht wie oft es während dem Schauspielstudium passierte, dass Männer so krass an ihrer Stimme arbeiteten, es darf auf gar keinen Fall irgendwie feminin oder schwul klingen. Ich bin gerade so an einem Punkt, an dem mir das so immer mehr egal wird, weil es mir irgendwie wichtiger ist andere Identitäten in Betriebe und in die Öffentlichkeit zu pushen. Ich glaube, ich bin aber schon noch in einem Findungsprozess.

Wie sieht deine Zukunft aus? Das ist gerade die Frage mit Corona. Wann mache ich Theater, wann versuche ich Film zu machen und was ist noch möglich, was will ich vielleicht noch machen? Ich bin nicht mehr im Festengagement beim Theater, aber ich hätte einige Stücke, die ich weiterspielen müsste und das wird halt ständig verschoben oder abgesagt. Gerade versuche ich zu planen, die Zukunft ist aber noch sehr ungewiss. Wir wollen in diesem Kollektiv, mit dem wir «Futur Drei» gemacht haben, weiterarbeiten und diese Linie verfolgen und ein paar andere Formate oder andere Genres filmen oder auch andere Sachen ausprobieren. Vielleicht schreibe ich Musik, keine Ahnung, die Zukunft ist für mich genauso ungewiss, wie für die meisten Leute, die das jetzt lesen.

Unterstütze LGBTIQ-Journalismus

Unsere Inhalte sind für dich gemacht, aber wir sind auf deinen Support angewiesen. Mit einem Abo erhältst du Zugang zu allen Artikeln – und hilfst uns dabei, weiterhin unabhängige Berichterstattung zu liefern. Werde jetzt Teil der MANNSCHAFT!

Das könnte dich auch interessieren