Florian David Fitz: «Man muss sein Kind halt lieben. Fertig»

Neu im Kino: «Oskars Kleid»

Oskars Kleid (Foto: Pantaleon Films/Erfttal/Warner Bros)
Oskars Kleid (Foto: Pantaleon Films/Erfttal/Warner Bros)

Kurz vor Weihnachten läuft «Oskars Kleid» im Kino an. Florian David Fitz ist hier als Vater eines trans Kindes zu sehen. Im Interview spricht er über Ausgrenzungserfahrungen im Film, über Gendern und Deadnaming.

Florian David Fitz, geboren 1974 in München, gehört dank Filmen wie «Männerherzen», «Willkommen bei den Hartmanns», «Der Vorname» oder «Das perfekte Geheimnis» schon lange zu den erfolgreichsten Schauspielern des deutschen Kinos. Seit er zur Tragikomödie «Vincent will Meer» auch das Drehbuch schrieb, ist er hinter der Kamera genauso aktiv wie davor und führte unter anderem bei «Jesus liebt mich», «Der geilste Tag» oder «100 Dinge» auch Regie.

Nach Sönke Wortmanns Filmen «Eingeschlossene Gesellschaft» und «Der Nachname» ist der Zwillingsvater nun in «Oskars Kleid» bereits zum dritten Mal in diesem Jahr auf grosser Leinwand zu sehen (MANNSCHAFT berichtete). Wir sprachen mit Fitz, der abermals auch das Skript des Films verantwortete, per Videotelefonat.

Herr Fitz, stimmt es, dass Ihr neuer Film «Oskars Kleid» seinen Ursprung in einem Foto hat? Das ist richtig. Ich habe das Bild gesehen und dachte: das wäre doch ein tolles Ende für einen Film und jetzt ist es genau die letzte Einstellung in Oskars Kleid, deswegen will ich jetzt auch nicht spoilern, was zu sehen ist. Ich habe damals auch absichtlich nicht gelesen, wie es zu diesem Bild gekommen ist, ich wollte mir selber eine spannende, rührende, witzige, traurige Reise zu diesem Schlussbild ausdenken. Ich habe dann mal später nachgelesen. In der Realität war es völlig anders.

Herausgekommen ist dabei nun die Geschichte eines Kindes, das im Körper eines Jungen geboren wurde, sich aber als Mädchen fühlt. Haben Sie einen persönlichen Bezug zu dieser Thematik? Nein, aber schon vor sechs oder sieben Jahren, als ich besagtes Foto gesehen habe, war dieses Thema virulent. Seitdem hat sich ja die Debatte nochmal gehörig angeheizt. Ich fand das hochinteressant, und je mehr man sich in so eine Geschichte einarbeitet, desto näher geht sie einem dann ja auch. Das ist das Schöne an unserem Beruf: dass wir uns in alle möglichen Leben hineinbegeben und so auch etwas Neues lernen können.

Nun ist das Thema nicht nur sehr präsent, sondern bedarf auch einer grossen Sensibilität. Ganz allgemein, wenn man von Transidentität erzählt, aber mit Blick auf Kinder natürlich noch einmal ganz besonders. Hatten Sie keine Angst, womöglich etwas falsch zu machen? Das erste Mal mit dieser Sorge konfrontiert wurde ich bei «Vincent will Meer». Da hiess es, dass Betroffene und vor allem Eltern protestieren würden und niemand eine Komödie zu diesem Thema sehen wolle. Aber am Ende wurde es dann plötzlich der Film überhaupt für die Tourette-Community. Seither habe ich, auch wenn es vielleicht naiv ist, das grösste Vertrauen darin, dass man eigentlich nichts falsch machen kann, wenn sich einer Geschichte mit offenem Herzen nähert. Und wenn das Thema für Kontroversen sorgt, dann ist es genau mein Job, diese kontroversen Aspekte im Film auch auf den Tisch zu legen. Das ist doch gerade spannend.

Deswegen steht im Zentrum des Films der geschiedene Polizist, der mit der Identitätsfindung seines Kindes erst einmal nicht so viel anfangen kann? Ich wollte die Geschichte auf jeden Fall aus der Warte von jemandem erzählen, der eher von der Strasse kommt und sich noch nicht mit diesem Thema auseinandergesetzt hat. Jemand, der seinen Alltag in dieser männlich konnotierten Welt verbringt und dann zuhause mit diesem unglaublich selbstbewussten Kind konfrontiert wird, das nur durch seine Anwesenheit all das irgendwie hinterfragt. Darin liegt schliesslich das komödiantische Potential. Und trotzdem ist es eben nicht so, dass dieser Typ alles einfach nur noch nicht verstanden hat und bloss Bullshit sagt.

Im Gegenteil sind seine Argumente sehr valide, sie kommen aus dem echten Wunsch, ein guter Vater zu sein, auch wenn das von aussen manchmal schmerzhaft aussieht. Und wenn man mit vielen Betroffenen und den Angehörigen spricht, wird klar: egal was man macht, es kommt zu Dilemmata. Es gibt nicht die eine richtige Lösung, wie man sich zu verhalten hat. Ausser natürlich: zuhören, offen bleiben und das Kind weder in die eine noch in die andere Richtung pushen! Man muss sein Kind halt lieben. Fertig.

Dann ist das auch die Botschaft Ihres Films? Da muss man immer vorsichtig sein. Sobald man zu didaktisch wird und möchte, dass der Zuschauer mit einer Lehre nach Hause geht, kommt zu viel Schulfernsehen heraus. Mir geht es vielmehr darum, dass die Leute sich 90 Minuten lang in einer anderen Welt befinden. Die Tränen einer anderen Person weinen, über sie und mit ihr lachen, sich mit den Problemen anderer Menschen auseinandersetzen. Und sich dadurch vielleicht ein kleines bisschen mehr öffnen. Mehr muss es gar nicht sein.

Ein Vorwurf, der „Oskars Kleid“ schon im Vorfeld gemacht wurde, ist der des Deadnaming. Im Filmtitel wird also der alte Name des Kindes genannt statt jenem, in dem es sich in seiner neuen Identität wiederfindet. Verstehen Sie die Kritik? Sie meinen, neben dem Vorwurf der anderen Seite, dass wir einen Werbefilm für Trans machen? (Lacht) Für mich steckt dahinter ein Denkfehler, der vielleicht auch schon wieder ein Symbol für unsere jetzige Zeit und die gegenwärtige Diskussionskultur ist. Ein Filmtitel nimmt normalerweise nicht das Ende vorweg, sondern beschreibt den Konflikt am Anfang der Geschichte. Nach der Logik müsste «Findet Nemo» heissen: «Alles gut, wir haben ihn gefunden».

Gleichzeitig tun Sie doch aber das, was zumindest vorübergehend auch der Vater im Film tut. Sie setzen sich über den Wunsch Ihrer jungen Protagonistin hinweg, oder? Sie meinen, der Filmtitel soll nicht mehr die auslösende Frage stellen, sondern den Wunsch einer der fiktiven Figuren in der Geschichte erfüllen? Wir sollen das Ende an den Anfang schreiben? Dem folge ich nicht ganz. Am Anfang des Filmes weiss der Vater ja noch gar nichts von allem, was kommt. Er hat nach seinem Wissensstand einen Sohn, der Oskar heisst, der plötzlich ein Kleid trägt. Wir haben absichtlich die Perspektive des Vaters eingenommen, da sie noch nicht erzählt wurde und die Chance bietet, auch Leute von der Strasse zu locken, die kein Vorwissen zum Thema haben. Einfach die Frage zu stellen: was würdest du an seiner Stelle machen? Ist doch toll, wenn wir die auch mit auf die Reise nehmen können.

Die wunderbare Georgette Dee spielt in «Oskars Kleid» eine Nebenrolle und sagt mit Blick auf aktuell geführte Debatten wie diese, dass ihr in Diskussionen heutzutage ein wenig der Humor fehle. Würden Sie das unterschreiben? Hm. Ich glaube schon ein bisschen. Und Georgette selbst würde das auch in echt so sagen. Es ist sehr interessant, sich mit Georgette über diese ganzen Debatten zu unterhalten, vom Gendern bis hin zu Identitätsdefinitionen. Denn sie weist dann immer sehr klar auf diesen grossen Widerspruch hin: einerseits plädieren alle für eine Öffnung, machen aber andererseits nur immer neue Schubladen auf, die teilweise sogar noch didaktischer sind als die alten. Da gähnt sie nur! Sie selbst hat sich noch nie definiert, sondern immer Freude daran gehabt, zwischen den Definitionen zu laufen. Genau das macht sie aus.

Jetzt ist natürlich nicht jeder mit dieser Kraft ausgestattet, auch das ist mir klar. Aber für unsere Geschichte war es toll, jemand älteren in diesem Film zu haben, mit einer wahnsinnigen Würde, Klugheit und Schönheit, bei der man sehen kann: So kann es gehen! Meine Sorge ist, dass wir tendenziell Ernsthaftigkeit und Ernst verwechseln. Nur weil mir ein Anliegen wichtig ist, schliesst das doch Humor nicht aus. Im Gegenteil: je existenzieller, desto wichtiger ist Humor.

Die Hauptrolle spielt neben Ihnen allerdings Laurì. Wie schwierig war es, für diese komplexe Kinderrolle die richtige Besetzung zu finden? Leicht war das nicht, und wir haben lange gesucht. Bei den meisten Kindern, die zum Casting kamen, wirkte dieser Umgang mit den verschiedenen Identitäten ein bisschen wie Verkleiden. Da hatte man das Gefühl, dass die vielleicht diesen Konflikt nicht wirklich verstehen oder nachempfinden können. Womöglich war manchen das Thema sogar irgendwie peinlich. Laurì entdeckten wir dann gar nicht beim klassischen Casting, sondern inmitten einer Schulklasse. Man merkte sofort, dass sie eine echt erstaunliche Person ist, die selbst ganz viel mitbrachte, was mit dieser Figur zu tun hatte, diesem störrischen, sehr klugen und eigenständigen, ja fast erwachsenen Kind. Dann sagte sie diese Sätze aus dem Drehbuch – und plötzlich hörten die sich wahr an. Und dieser Kern einer gefühlten Wahrheit ist ja gerade bei einem Film, der auch komödiantisch ist, ganz besonders wichtig.

Im Film treibt Ihre Figur nicht zuletzt die Sorge um, kein guter Vater zu sein? Kennen Sie die eigentlich auch oder gehen Sie den Alltag als Papa ganz entspannt an? Ich habe mal ein Pärchen, dessen Kinder ich wahnsinnig cool fand, gefragt, was ihr Geheimrezept ist, und bekam als Antwort ihr Credo: entspannte Eltern, entspannte Kinder. Genau das nehme ich mir seither auch immer vor. Natürlich kommt man regelmässig an Punkte, wo man denkt: Fuck, das war jetzt einfach scheisse, das muss irgendwie besser laufen. Das gehört halt auch dazu. Und natürlich gibt es auch beim Elternsein sehr oft erhitzte Gemüter. Aber entspannt bleiben tut uns, denke ich, allen eigentlich immer gut. Denn das heisst ja nicht, dass man nicht trotzdem ernsthaft bei der Sache ist und an sich arbeitet. Da ist er wieder, der Humor (lacht).

Würden Sie denn sagen, dass man ein anderer Mensch wird, sobald man Kinder hat? Oder ist es doch nur der Alltag, der sich radikal verändert? Ich glaube nicht wirklich, dass man ein anderer Mensch wird. Aber tatsächlich verändert sich der Alltag komplett. In meinem Film „Der geilste Tag“ hat mal eine Frau gesagt: die Achse, um die sich dein Leben dreht, ist plötzlich eine andere. Und genau so ist es. Man dreht sich nicht mehr nur um sich selbst, und das erlebe ich als eine sehr gesundende Erfahrung, die sicherlich niemandem schadet.

In «Friedmanns Vier» ist Tom Beck Vater eines trans Kindes. Die RTL+ Serie läuft seit Ende 2021 (MANNSCHAFT berichtete).

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