EU-Strafen gegen Ungarn und Polen werden wahrscheinlicher
Grund ist u.a. das Gesetz gegen «Werbung» für LGBTIQ
Können Polen und Ungarn die drohende Kürzung von EU-Geldern mit Hilfe einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof abwenden? Ein Rechtsgutachten bezieht zu dieser Frage jetzt deutlich Stellung. In Warschau und Budapest ist man wenig erfreut. Von Marek Majewsky, dpa
Die EU-Kommission hat am Donnerstag die zweite Phase ihres Vertragsverletzungsverfahrens gegen den EU-Mitgliedstaat Ungarn eingeleitet. Grund sind diskriminierende Gesetzesänderungen, die es verbieten, «Werbung» für LGBTIQ zu machen (MANNSCHAFT berichtete).
Die Kommission erklärt, dass sie die offizielle Reaktion Ungarns auf ihre erste Mitteilung für unzureichend hält und hat daher die zweite Phase des Vertragsverletzungsverfahrens eingeleitet, indem sie Ungarn ein Schreiben übermittelt hat, in dem sie verlangt, dass die Gesetze geändert werden, weil sie gegen EU-Recht verstossen.
Katrin Hugendubel vom LGBTIQ Dachverband ILGA-Europe erklärte: „Die ungarische Regierung verdreht immer wieder die Fakten und erklärt, dass sie mit diesen Änderungen Kinder schützt und dem Willen ihrer Bevölkerung entspricht. Beide Aussagen sind offensichtlich falsch. Die Änderungen sind ein Angriff auf die Rechte von Kindern sowie die Rechte von LGBTIQ-Personen. Entgegen den Änderungen, die den Willen der Bevölkerung widerspiegeln, wächst in Ungarn die Unterstützung für die Gleichstellung von LGBTI-Personen. (MANNSCHAFT berichtete).
Zudem wird es wahrscheinlicher, dass Ungarn und auch Polen EU-Mittel wegen mutmaßlicher Verstösse gegen rechtsstaatliche Prinzipien gekürzt werden können. Denn ein wichtiges Rechtsgutachten empfiehlt dem Europäischen Gerichtshof, Klagen der beiden Länder gegen eine neue EU-Sanktionsregel abzuweisen. Die Regierungen in Warschau und Budapest argumentieren unter anderem, dass es keine geeignete Rechtsgrundlage für den sogenannten Rechtsstaatsmechanismus gebe. Sie fürchten Strafen mit Hilfe des neuen Mechanismus, weil ihnen Kritiker vorwerfen, die Justiz entgegen der EU-Standards zu beeinflussen.
Die Gutachten am EuGH sind zwar rechtlich nicht bindend, oft folgen die Richter am höchsten Gericht der EU ihnen aber. Generalanwalt Campos Sánchez-Bordona legt in dem am Donnerstag veröffentlichten Dokument dar, dass der Mechanismus aus seiner Sicht eine geeignete Rechtsgrundlage habe und auch mit anderen Grundsätzen des EU-Rechts vereinbar sei. «Unter diesen Umständen schlägt der Generalanwalt dem Gerichtshof vor, die von Ungarn und Polen erhobenen Nichtigkeitsklagen abzuweisen.»
Entsprechend ungehalten reagierten Regierungsvertreter aus Warschau und Budapest: «Das ist eine Verletzung der Rechtsstaatlichkeit», schrieb Polens Vize-Justizminister Sebastian Kaleta am Donnerstag auf Twitter. Es sei naiv gewesen, darauf zu vertrauen, dass die EU-Institutionen fähig zur Selbstbeschränkung seien. Ungarns Justizministerin Judit Varga bezeichnete die neue EU-Regel auf ihrer Facebook-Seite als «Rechtsstaats-Erpressung». Sie betonte, dass das Gutachten noch kein Urteil, sondern eine Meinung darstelle. Ein Urteil könnte in einigen Wochen oder Monaten erfolgen.
Konkret sieht der Rechtsstaatsmechanismus vor, dass EU-Staaten Mittel aus dem Gemeinschaftsbudget gekürzt werden können, wenn wegen Verstössen gegen rechtsstaatliche Prinzipien wie die Gewaltenteilung ein Missbrauch von EU-Geldern droht. Die Regierungen in Ungarn und Polen befürchten, dass das neue Verfahren vor allem gegen sie eingesetzt werden soll.
Das nun veröffentlichte Gutachten folgt aber nicht den Argumenten der Kläger, vielmehr stellt es klar, dass der Begriff Rechtsstaatlichkeit unter dem neuen Mechanismus den Mindestanforderungen an «Klarheit, Genauigkeit und Vorhersehbarkeit» genüge und somit dem Grundsatz der Rechtssicherheit entspreche.
Europaabgeordnete von FDP und Grünen erneuerten kurz nach Bekanntgabe des Gutachtens ihre Forderung, dass die EU-Kommission den Rechtsstaatsmechanismus unverzüglich anwenden sollte. Das Europaparlament hatte vor gut einem Monat die EU-Kommission bereits vor dem EuGH verklagt, weil sie noch nicht tätig geworden ist. Die EU-Kommission will den Mechanismus aber erst auslösen, wenn es ein Urteil zu den Klagen gibt.
Mit Ungarn und Polen gibt es schon seit Jahren Streit, weil sie sich ausweislich etlicher Gerichtsurteile nicht an EU-Recht halten. So baut Polens nationalkonservative PiS-Regierung seit Jahren das Justizsystem um. Die EU-Kommission hat wegen der Reformen bereits mehrere Vertragsverletzungsverfahren gegen die Regierung in Warschau eröffnet.
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