ESC 2023: 12 Songs zum Merken – oder gleich wieder Vergessen
Unser Experte Martin Wyss wagt eine Siegerprognose
Nächste Woche ist ESC, und du weisst noch nicht, was Sache ist? Unser ESC-Experte Martin Wyss bringt dich in einem sehr persönlichen Schnellbriefing auf den neusten Stand.
Text: Martin Wyss
Ich freue mich, für MANNSCHAFT wieder als ESC-Experte am Start zu sein. Damit du beim ESC-Viewing auch genügend Gesprächsstoff hast, versorge ich dich mit den denk(un)würdigsten Entsendungen nach Liverpool. Am Ende gebe ich dir auch meinen persönlichen Gewinntipp ab. Aber Achtung: Für verlorene Wetten übernehme ich keine Haftung!
Was du über die neuen Regeln wissen musst Für die diesjährige Austragung in Liverpool gelten neue Regelungen, wie die veranstaltende Europäische Rundfunkunion (EBU) letztes Jahr mitgeteilt hat (MANNSCHAFT berichtete). Neu entscheiden im Halbfinale ausschliesslich die Zuschauer*innen darüber, welche Länder ins Finale einziehen. Neu ist auch, dass ESC-Fans ausserhalb des Eurovision-Gebiets für ihre Favoriten abstimmen können. «Ihre Stimmen werden addiert und in Punkte umgewandelt, die sowohl im Halbfinale als auch im Grossen Finale das gleiche Gewicht haben wie ein teilnehmendes Land», hiess es. Die Stimmabgabe erfolge in diesen Fällen online über eine sichere Plattform, als Beleg gelte eine Kreditkarte des Wohnortes.
#1 Wer für gute Laune sorgt: Gustaph «Because of You» (Belgien) Mit Queerness, Voguing und ganz viel Neunzigerjahre-House liefert Gustaph den diesjährigen Feel-Good-Song. Mehr muss ich da nicht sagen: Ein toller Beitrag, der beim mehrmaligen Hören nur noch besser wird.
#2 Wer die Powerballade liefert: Marco Mengoni «Due Vite» (Italien) Wenn Italien etwas kann, dann sind es Balladen. Und «Due Vite» geht besonders unter die Haut. Marco Mengoni ist zum zweiten Mal dabei, vor zehn Jahren schaffte er es in Malmö mit «L’Essenziale» – ebenfalls eine Ballade – auf den siebten Platz. Schön, dass er wieder dabei ist. Und schön zum Anschauen ist er auch (dieses Jahr mit Bart!).
#3 Wer enttäuscht: The Busker «Dance (Our Own Party)» (Malta) Balletttänzerinnen, umfallende Waschmaschinen und Kuhkostüme: Aus Malta werde ich dieses Jahr nicht schlau. Und der Justin-Bieber-Verschnitt scheint auch nicht recht zu wissen, was er mit diesem Song genau will. Der Funke springt nicht rüber. Malta beim ESC bedeutet für mich: füllige Frauen, die ergreifende Balladen singen. Das vermisse ich dieses Jahr!
#4 Wer die Gelegenheit verpasst hat: Remo Forrer «Watergun» (Schweiz) Die Schweiz geht mit einem taktisch schlau gewählten Anti-Kriegssong ins Rennen (MANNSCHAFT berichtete). Remo Forrer singt gut live, der Aufbau der ersten Hälfte des Lieds klingt vielversprechend und schürt Erwartungen auf grosse Dramatik. Leider fehlt nach der ersten Highnote das Gänsehautfinale, der Song ist 30 Sekunden zu kurz geraten. Für die Top 10 sollte es aber reichen.
#5 Wer besser zuhause geblieben wäre: Alessandra «Queen of Kings» (Norwegen) Mit «Queen of Kings» schickt Norwegen eine Uptempo-Ballade nach Liverpool. Wobei Alessandra eigentlich gleich zuhause bleiben kann: Live singt sie schrecklich, das zeigt das folgende Video aus Amsterdam. Sie muss noch viel üben, wenn sie das bis nächste Woche packen will.
#6 Wer für eine Überraschung sorgen könnte: Teya & Salena «Who the Hell is Edgar?» (Österreich) Ich habe keine Ahnung, was hier abgeht, aber dieses Lied ist geil und definitiv etwas, was man von Österreich nicht erwartet hätte (MANNSCHAFT berichtete). Ob dieser wirre Song das Zeug für den Überraschungserfolg hat oder im Meer der ESC-Beiträge untergeht, zeigt sich spätestens bei der Liveshow. Eines ist klar: Mit diesen zwei crazy B*tches will ich abfeiern!
#7 Wer die Pinkelpause einläutet: Monika Linkytė «Stay» (Litauen) Ich habe mir diesen Beitrag angesehen, um ihn dir zu ersparen: Die Leinwand zeigt irgend ein Tribal Design, die Frauen stehen im Kreis und wiederholen mantra-artig «Čiūto tūto». Machen die Werbung für eine Sekte? Jetzt ist ein guter Zeitpunkt für die Rauch- oder Pinkelpause. Gern geschehen.
#8 Wer etwas kalkuliert wirkt: Lord of the Lost «Blood & Glitter» (Deutschland) Zwei Jahre nach Måneskin schickt Deutschland mit Lord of the Lost zum ersten Mal eine Metalband zum ESC (MANNSCHAFT berichtete). «Blood und Glitter» ist schön aufgemacht, die Melodie ist nicht schlecht und auch die Kostüme dürften gut ankommen. Nur textlich («Blood and glitter, sweet and bitter, saint and sinner») lässt der Song etwas zu wünschen übrig. Ich würde sagen: 12 Punkte gibt es garantiert von Finnland!
#9 Wer das Politische reinbringt: Let 3 – Mama ŠČ! (Kroatien) Du musst kein Kroatisch können, um diese inoffizielle Putin-Parodie zu verstehen. Spätestens wenn die fünf Männer in Schminke und Militäruniformen die Atombomben auf die Bühne bringen, weisst du, was es geschlagen hat. Ich bin erstaunt, dass der angeblich so unpolitische ESC diesen Beitrag zugelassen hat. Die gewagte Nummer wird für einige Lacher sorgen und dürfte weit vorne landen.
#10 Wer ihr Potenzial verspielt: La Zarra «Évidemment» (Frankreich) Mit La Zarra haben wir eine weitere Sängerin, die live einfach nicht die Töne trifft. Entweder das oder die Technik bei der Eurovision Preparty in Madrid hat total versagt. Schade, denn mit «Évidemment» macht Frankreich vieles richtig: Eine starke Hymne an die Grande Nation, viel Dramatik und ein Hauch Édith Piaf. Frankreich gehört wie Deutschland zu den Big 5 mit einem sicheren Platz im Finale. La Zarra bleibt also das Halbfinal erspart. Unseren Ohren auch.
#11 Wer gewinnen könnte: Käärijä «Cha Cha Cha» (Finnland) Finnlands Beitrag hat alles, was es für einen Sieg braucht: eine eingängige Melodie und einen gutaussehenden Sänger mit dem nötigen Glam-Punk. Der Song errinnert an die finnische Band Lordi, die den ESC 2006 mit «Hard Rock Hallelujah» gewonnen hat. Ob Käärijä mit südländischem «Cha Cha Cha»-Flair den Sieg in den hohen Norden holen kann?
#12 Wer gewinnen wird: Loreen «Tattoo» (Schweden) Nach ihrem Triumph 2012 mit «Euphoria» hat Loreen grosse Chancen, den Sieg auch dieses Jahr für Schweden zu verbuchen. «Tattoo» folgt dem gleichen Rezept wie «Euphoria» und ist ein sehr guter Song – ich wage sogar zu behaupten der beste beim diesjährigen ESC. Loreen ist eine ausgezeichnete Live-Sängerin. Im Vorentscheid performte sie unter einem schwebenden Bildschirm, der langsam in die Höhe gezogen wurde. Ich bin gespannt, ob sich unter dem grossen Zeitdruck in der Liveshow die Bühne so schnell umbauen lässt.
Am 9. und 11. Mai geht es los mit den ESC Halbfinals, das grosse Finale ist am 13. Mai. Mehr über die einzelnen Kandidat*innen erfährst du hier.
Falls du vom Eurovision nicht genug kriegst: Am 12. Juni steht in Zürich die queere Veranstaltungsreihe «Verzaubert» ganz im Zeichen des ESC. Von versteckten Botschaften bis zu Liedzeilen mit gesellschaftspolitischer Sprengkraft: Die Schweizer ESC-Teilnehmer*innen Michael von der Heide und Sandra Studer nehmen das Publikum mit auf eine musikalische Reise von Abba bis Zypern und präsentieren ihre ganz persönlichen Geschichten und Erfahrungen mit dem weltweit grössten Musikwettbewerb.
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