«Dank Onlyfans sehe ich Pornos, die die Realität abbilden»
Mit Pornos Geld verdienen: eine Arbeit wie jede andere?
Eddy und Flo haben Lust auf ihre Lust. Nebenberuflich drehen sie Pornoclips für die Plattform Onlyfans und wünschen sich, dass niemandem mehr das Gesicht entgleist, wenn sie darüber sprechen.
Onlyfans hat sich verselbstständigt beziehungsweise sein Angebot – wie es sich in Konsumgesellschaften gehört – mehr und mehr der Nachfrage angepasst. Was ursprünglich als Plattform begann, um Fans von Musiker*innen, Schauspieler*innen und anderer Stars die Möglichkeit zu geben, mittels zahlungspflichtiger Abonnements Zugriff auf exklusive Inhalte zu erlangen, ist zu einer der wichtigsten digitalen Einnahmequellen für Sex-Arbeiter*innen geworden. Unter anderem auch für Eddy und Flo.
Der Grund, weshalb sich User einen Account bei Onlyfans anlegen, ist in den meisten Fällen einer der Folgenden: Man ist auf der Suche nach explizit pornographischem Bild- und Videomaterial, man möchte mit den Creators dieses Materials direkt in Verbindung treten, zum Beispiel über Chatfunktionen oder buchbare, virtuelle Einzelsessions, oder man will selbst entsprechende Dinge anbieten. Obwohl das Internet von verschiedensten Pornoseiten überflutet zu sein scheint, liegt der Reiz für viele Onlyfans-Konsument*innen und -Akteur*innen im vermeintlich besonders glaubwürdigen Profil des Portals.
Statt geskripteten High-End-Produktionen, hinter denen Regisseure, Studios und Marketingmaschinerien stehen, entscheidet bei Onlyfans die Community selbst, was online gestellt wird. Darunter befinden sich Einblicke in die Schlafzimmer potenzieller Nachbar*innen, selbstgedrehte Clips von Pornostars, die der Branche den Rücken zugewandt haben, oder auch intime Auszüge aus dem erotischen Leben von Prominenten, die Onlyfans zunehmend als lukrativen Nebenverdienst für sich entdeckt haben.
Wege ins Business «Ich hatte schon vor der Pandemie als Escort angefangen und suchte neben meinem Job im Einzelhandel nach anderen Einkommensquellen», verrät Eddy (Instagram: @edftmxx). Der 26-jährige Brite stellt seit 2020 regelmässig Content bei Onlyfans ein.
«Anfangs nur Solo-Videos, dann, als ich vor zwei Jahren nach London zog, begann ich auch, mit anderen Leuten zu filmen». Seine Co-Darsteller*innen findet Eddy via Social Media, vor allem mithilfe von X (ehemals Twitter). «Das ist der beste Ort, um Werbung zu machen», erklärt er.
Flo (Instargam: @fkfbrln), ehemaliger Kandidat bei «Prince Charming», Podcaster («Stadt. Land. Schwul.») und hauptberuflich Krankenpfleger, sieht das ähnlich. Er nutze ebenfalls X, um Männer zu rekrutieren, mit denen er für Onlyfans Sex vor der Kamera haben kann. Die klassische Pornoindustrie reize ihn – trotz oder gerade wegen einiger Ausflüge in selbige – nicht. «Dieses Gestellte und Statische hat überhaupt keinen Spass gemacht».
«Dank Onlyfans sehe ich endlich auch Pornos, in denen die Realität in Bezug auf Alter, Körperformen und Kinks abgezeichnet wird.»
Flo
Nachdem ihm zunehmend Freunde davon berichteten, sich bei Onlyfans registriert zu haben, machte sich der Berliner kundig und entdeckte, dass die Plattform eine willkommene Alternative darstellte, seine exhibitionistische Ader auszuleben. «Ich freue mich, dass so viele queere Menschen dadurch Erfolg und Anerkennung erleben. Dank Onlyfans sehe ich endlich auch Pornos, in denen die Realität in Bezug auf Alter, Körperformen und Kinks abgezeichnet wird, und nicht nur das, was Studiobosse gerade für angesagt halten.»
Sichtbarkeit mal anders Als trans Mann bemerkt auch Eddy, dass Onlyfans ein breiteres Spektrum an Geschmäckern und Präferenzen bedient als andere Kanäle, wenngleich es noch zu Unterrepräsentationen kommt. «Es gibt ein paar von uns, aber natürlich sind wir den cis Darsteller*innen zahlenmässig weit unterlegen. Trans Personen wurden schon immer in Pornos dargestellt, aber ein Vorteil von Onlyfans und anderen Creator-Websites ist, dass wir selbst kontrollieren können, was wir tun und wie wir uns vermarkten.»
«Ich drehe authentische Videos, die zeigen, dass trans Männer nicht immer unterwürfige Jungs sind, sondern dass wir auch dominant sein können.»
Eddy
Das bringt Eddy die Freiheit, sich mal zu fetischisieren und Stereotype zu bedienen, dann aber auch wieder kritischer mit seiner Identität umzugehen. «Meine Sichtbarkeit ist für mich sehr wichtig geworden. Ich stehe zu meiner eigenen Sexualität, und ich drehe authentische Videos, die zeigen, dass trans Männer nicht immer unterwürfige Jungs sind, sondern dass wir auch dominant sein können.»
Mit seinen Clips will Eddy dazu beitragen, die User*innen zum Nachdenken zu bringen und dass sie die Ideen, die in den Köpfen herumschwirren, kritisch bewerten. «Wir existieren, wir sind sexuelle Wesen, wir sind heiss und wir sind begehrenswert.» Das Darstellersein sei ausserdem an viele schöne Momente geknüpft. Vom Kennenlernen neuer Menschen über Modelljobs, Einladungen zu Podiumsdiskussionen und zahlreiche Reisen bis hin zu ersten Auszeichnungen.
«Die Arbeit hat mir so viele Chancen eröffnet», reflektiert Eddy. «Ehrlich gesagt bin ich ziemlich zufrieden damit, wie die Dinge laufen, und ich möchte noch lange so weitermachen. Ich experimentiere ständig mit verschiedenen Geschäftsmodellen, mit der Art und Weise, wie ich meine Accounts verwalte, meine Videos filme und bearbeite.» Wichtig ist ihm, seine Inhalte stets interessant zu halten, unabhängig davon, was das schlussendlich finanziell einbringt. «Ich setze mir nie bestimmte Ziele in Bezug auf Einkommen oder Prozentsätze.»
Traum von Reichtum Für viele andere ist Geld hingegen der essenzielle Motor, Zeit und Musse in Onlyfans zu investieren. Schliesslich glauben viele, dass sich mittels Sex schnell und einfach das Bankkonto füllen lässt. «Onlyfans ist Arbeit. Es ist nicht damit getan, die Beine breitzumachen und die Kamera draufzuhalten», gibt Flo jedoch kritisch zu bedenken.
«Videos müssen editiert und geschnitten werden, man muss umherfahren, um möglichst divers zu bleiben, die Liste ist lang. Ehrlich gesagt, war der finanzielle Aspekt erstmal zweitrangig für mich, weil ich niemals meinen Job im Krankenhaus aufgegeben hätte. Dafür liebe ich den zu sehr.» Letztendlich sei Flo trotzdem überrascht gewesen, was Onlyfans ihm am Ende des Monats überwiesen habe. Wieviel das genau ist, wollen weder Flo noch Eddy sagen.
Eddy kennt die oft unrealistischen Vorstellungen ebenfalls. Ihn stört genauso wie Flo, dass viele unterschätzen, wie anstrengend es ist, sich ernsthaft und längerfristig als Darsteller zu etablieren. «Das Arrangieren von Drehs, das Filmen, die Verwaltung der sozialen Medien, es erfordert Mühe und Organisation», so Eddy.
Manche nehmen an, dass ich ständig für Sex zu haben sei
Laut Flo kommt hinzu, dass sich die Tatsache, öffentlich Intimität auszuleben, auch auf das eigene Sexleben auswirkt. Denn andere haben Vorstellungen davon, wie es mit Sexarbeitenden im Bett ablaufen müsse. «Was mir mittlerweile oft passiert, ist, dass Männer aufgeregt sind, wenn sie mich persönlich treffen. Ich kann die Situation aber meist mit ein, zwei Sätzen entspannen. Viele erwarten von uns, dass wir 24 Stunden, sieben Tage die Woche horny sind! Ich bin zwar ein sehr sexueller Mensch, aber manchmal habe auch ich keinen Bock.» Eddy schliesst sich dem an: «Manche nehmen an, dass ich ständig für Sex zu haben sei, aber ich denke, dass ich ziemlich klar Grenzen setze». Inwiefern unterscheiden sich nun aber die öffentliche und die private Sexualität?
Wo Grenzen aufweichen (können) «Obwohl ich meine Arbeit geniesse, trenne ich klar zwischen dem Sex, den ich dafür habe, und meinem Privatleben», sagt Eddy. Er sucht zudem keine Affären, da er mit seinem Freund verpartnert ist. Dieser sei neben anderen Creators und Kund*innen, die dafür bezahlten, auch der einzige, mit dem er Sex habe.
Bei Flo verhält es sich anders. «Interessanterweise unterscheidet sich der Sex überhaupt nicht», antwortet er. Flo ist es wichtig, dass er seinen Followern keine Kunstfigur verkauft. «Alles, was ich in der Öffentlichkeit sage und zeige, bin zu hundert Prozent ich. Das Einzige, was beim Sex für Onlyfans anders ist, dass ich immer ein wenig die Kamera im Auge behalten muss. Die Leute sollen ja was erkennen können.»
Doch auch dabei seien Fehler erlaubt. Perfektionismus führe zu Langeweile. Kleine Fehler hielten indes die Spannung aufrecht, witzelt der volltätowierte Pfleger, der übrigens noch nie von Patient*innen auf seine Sexarbeiter-Karriere angesprochen wurde. Stattdessen interessieren sich die meisten eher für seine früheren TV-Intermezzi, was aber auch mit Vorurteilen einhergeht.
«Nicht nur im Zuge von Onlyfans, sondern generell auch wegen meines Auftretens bei Social Media und den Teilnahmen bei diversen TV-Formaten höre ich nicht selten, ich sei selbstverliebt und arrogant.» Das ärgert Flo, denn er erlebt sich als das Gegenteil. «Ich bilde mir nichts darauf ein, in der queeren Welt eine gewisse Bekanntheit zu haben. Natürlich ist das schön fürs Ego, aber meine Miete bezahlt das nicht. Zudem weiss ich, wo ich herkomme!»
Geld verdienen mit Onlyfans
Wer denkt, mit Onlyfans schnell reich werden zu können, irrt sich. Die Zahlen und Fakten:
- 2023 verzeichnete die Plattform über 200 Millionen User*innen und über 2 Millionen Creators
- Im Durchschnitt verdient ein Creator monatlich 180 US-Dollar
- Rund 16’000 Creator nehmen monatlich 4’000 US-Dollar ein
- Rund 300 Creator verdienen im Jahr über 1 Million US-Dollar
- Die Top 10 der Creator sorgen für 73 % aller Einnahmen
- Der Creator behält 80 % seiner Einnahmen, 20 % gehen an Onlyfans
- Ein durchschnittliches Onlyfans-Konto hat 21 Fans.
Es ist nicht immer leicht Eddy sagt, dass (teils anonyme) Beleidigungen leider zum Geschäft gehörten, wenn man Sexarbeit betreibe. Darüber hinaus sei er sich aber auch bewusst, dass nicht jede Ablehnung offen kommuniziert werde. «Ich kann mir vorstellen, dass ein grosser Teil der Ablehnung unbemerkt von mir geschieht. Oft werde ich abgewiesen oder ignoriert, wenn ich jemanden anschreibe und frage, ob er einen Film drehen möchte, aber ich bin mir sicher, dass die meisten Autoren ähnliche Erfahrungen machen.»
Zum Glück sei ihm – genauso wie Flo – bisher keine physische Gewalt zuteilgeworden. Ein Erlebnis ganz anderer Art, eins, dessen Ärger noch nachwirke, ereignete sich hingegen im letzten September. «Ich versuchte damals, in die USA zu reisen. Nach meiner Ankunft wurde ich inhaftiert, über meine Arbeit befragt und nicht ins Land gelassen. Ich glaube, es lag an einer Gesichtserkennungssoftware oder meinen Ausweisdaten. Sie lassen niemanden einreisen, der in den letzten zehn Jahren Sexarbeit verrichtet hat.»
Eddy sei daraufhin 24 Stunden lang in einer Zelle festgehalten und dann abgeschoben worden. «Damals war es beängstigend und entmenschlichend, aber jetzt bin ich vor allem wütend über die Ungerechtigkeit, denn ich habe nie gegen Gesetze verstossen. Es war einfach eine Diskriminierung meiner Arbeit.»
Vorverurteilung, juchhe! Der Fall von Eddy zeigt, dass Sexarbeit bei Weitem noch nicht in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Onlyfans und ähnliche Angebote werden gern in eine schmuddelige, moralisch verwerfliche Ecke gedrückt. Das wird sich nicht ändern, wenn wir uns als Gemeinschaft nicht aktiv dagegen einsetzen.
Ob jemals eine tragfähige Akzeptanz entstehen wird, bleibt fraglich. «Ich wünsche mir, und da spreche ich durchaus unsere eigene Community zuerst an, dass wir aufhören, Sexarbeiter*innen zu verurteilen und abzustempeln», erklärt Flo. Bei Onlyfans Inhalte einzustellen, gehöre aus seiner Sicht enttabuisiert, zumal laut Statistik die Mehrheit regelmässig entsprechende Videos und Fotos konsumiere.
«Niemand muss verstehen oder toll finden, was ich mache, aber es zu respektieren, wäre ein wichtiger Schritt.»
Flo
«Niemand muss verstehen oder toll finden, was ich mache, aber es zu respektieren, wäre ein wichtiger Schritt. Ich zwinge keinen, meinen Account zu abonnieren und meine Videos zu schauen. Mir ist es wichtig, ganz offen mit der Thematik umzugehen und davon zu erzählen. Zum Beispiel in unserem Podcast. Veränderung fängt immer bei einem selbst an», erzählt Flo und schliesst damit, dass er so lange weiter Content produzieren werde, wie er Lust darauf habe.
«Onlyfans hat dazu beigetragen, die Online-Sexarbeit zu normalisieren, aber es liegt noch ein weiter Weg vor uns», ergänzt Eddy. «Menschen haben eine Abneigung gegen die Vorstellung, ihren Körper zu verkaufen›, wobei ich mich viel mehr gedemütigt und entmachtet fühle, wenn ich im Einzelhandel für einen Mindestlohn arbeiten muss.»
Auch Eddy wolle versuchen, weiter gegen das Schweigen, Verbote und Stigmatisierungen vorzugehen, indem er transparent mit seiner Tätigkeit umgehe. Denn wie Flo treibt auch ihn die Vision einer Zukunft an, in der man bei einem Abendessen oder einer Party auf die Frage «Was machst du beruflich?» mit «Ich bin Sexarbeiter*in!» antworten kann, ohne dass das Gesicht des Gegenübers wie automatisch entgleist.
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