Rund 90 Festnahmen am Berliner CSD-Samstag
Rund 250’000 Menschen gingen auf die Strasse
Hunderttausende feiern fröhlich beim Christopher Street Day in Berlin. Die Macher*innen sind zufrieden. Als Überraschungsgast kommt am Abend Herbert Grönemeyer auf die Bühne und unterstützt die Forderungen der Community.
Text: Antje Kayser, dpa
Mit Glitzer und Regenbogen geschmückt haben Zehntausende Menschen beim 46. Berliner Christopher Street Day unter dem Motto «Nur gemeinsam stark – für Demokratie und Vielfalt» demonstriert. «Die Stimmung ist grossartig», teilten die Veranstalter*innen der Deutschen Presse-Agentur mit. «Wir haben mehr Menschen für queere Rechte auf die Strasse gebracht als erwartet.» Laut Schätzungen der Polizei vom späten Abend nahmen mindestens 250’000 Menschen teil. Zwei Tage zuvor hatte die Ibn Rushd-Goethe Moschee die Regenbogenfahne gehisst (MANNSCHAFT+).
Während die CSD-Hauptveranstaltung nach Polizeiangaben ausgelassen und friedlich verlief, gab es bei der zeitgleich stattfindenden, aber deutlich kleineren Kundgebung «Internationalist Queer Pride» in Berlin-Neukölln etliche Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Einsatzkräften, hiess es von der Polizei.
In der Spitze habe es bei dem Aufzug, bei dem Solidarität mit Palästina gefordert wurde, am Samstag 5.600 Teilnehmer*innen gegeben. Einige von ihnen hätten Glasflaschen und Farbbeutel auf Polizisten und Pressevertreter geworfen. Ausserdem seien strafbare Sprechchöre skandiert und Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gezeigt worden. 31 Personen seien vorübergehend festgenommen worden, darüber hinaus seien 37 Strafermittlungsverfahren eingeleitet worden.
Beim grösstenteils friedlichen Christopher Street Day selbst gab 58 vorübergehende Festnahmen. Gleich zu Beginn des CSD hatte die Polizei eine Gruppe Rechter ausgebremst, die versucht hatte, zum Aufzug zu kommen. Die rund 30 Menschen seien am Weiterlaufen gehindert und überprüft worden. Da es nicht habe ausgeschlossen werden können, dass die Gruppe homophobe oder transfeindliche Aktionen plante, seien die Menschen einem Bereitschaftsrichter vorgeführt worden und zunächst in Polizeigewahrsam gekommen.
Nach einem verregneten Start wurden die Schirme am Nachmittag gegen Sonnenbrillen getauscht, bevor es dann am Abend erneut schüttete. Dennoch dominierten gut gelaunte, mit Glitzer geschmückte und tanzende Menschen das Bild. «Der Regenbogen ist ein Naturphänomen» und «Pride not prejudice» (zu Deutsch: Stolz, nicht Vorurteil) war auf Schildern der Demo-Teilnehmenden zu lesen.
Sänger Herbert Grönemeyer spielte als Special Guest des Christopher Street Day am Abend vor dem Brandenburger Tor. «Zur Zeit werden Demokratien weltweit auf perfide Art und Weise durch fundamentalistische, faschistische Kräfte attackiert», sagte der Sänger auf der Bühne zum Abschluss der Veranstaltung. Rechte Kräfte arbeiteten gegen andere Lebensmodelle. «Lassen wir das nicht zu», rief Grönemeyer. «Kämpfen wir für eine progressive Welt, jeden Tag und Seite an Seite.»
Die Veranstalter*innen des CSD appellierten an die Politik, den Schutz queerer Menschen ins Grundgesetz aufzunehmen – diese Forderung unterstützte Grönemeyer auf der Bühne in Berlin. Artikel 3 im Grundgesetz müsse ergänzt werden um den Zusatz, «dass niemand wegen seiner geschlechtlichen und sexuellen Identität benachteiligt werden darf», sagte Grönemeyer. «Wir brauchen weiter viel Ausdauer und gemeinsam sehr viel Mut», rief der Sänger in die Menge.
«Die Community begrüsst die politischen Forderungen» Es sei die richtige Entscheidung gewesen, auf den politischen Forderungen zu bestehen, urteilten die Veranstalter*innen. «Die Community begrüsst das.» Die Veranstalter*innen des CSD appellieren an die Politik, den Schutz queerer Menschen ins Grundgesetz aufzunehmen. Die Änderung von Artikel 3 des Grundgesetzes müsse noch in dieser Wahlperiode kommen, forderte Aktivistin Sophie Koch in der Eröffnungsrede.
In Artikel 3 heisst es unter anderem: «Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.» Hier solle ergänzt werden, dass ausserdem niemand «wegen seiner sexuellen Identität» diskriminiert werden dürfe. Unterstützung erhielten die von Aktivist*innen von Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne), die ein Grussƒwort hielt.
Wegner: Bisher keine Mehrheit für Grundgesetzänderung Hinter den Kulissen hatte es zuvor Streitigkeiten gegeben: Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) hatte bei der Eröffnung des CSD im vergangenen Jahr angekündigt, sich für eine entsprechende Bundesratsinitiative einzusetzen. Aus Sicht der CSD-Organisator*innen ist seitdem nicht genug passiert. Wegner hielt deshalb nicht, wie es für den Regierenden Bürgermeister üblich ist, die Eröffnungsrede. Am Rande des CSD sagte Wegner dem RBB, er setze sich für eine schnelle Änderung ein, «am besten vor der Bundestagswahl». Es gebe aber bisher keine Mehrheit dafür.
Der CSD in Berlin gilt als eine der grössten Veranstaltungen der queeren Community in Europa. Die 75 Wagen und Dutzende Fussgruppen, die sich zu Lady Gagas «Born this way» in Bewegung gesetzt hatten, zogen bis zur Siegessäule. Von dort ging es zu Fuss weiter zur Abschlusskundgebung am Brandenburger Tor.
Am Abend traten dort noch diverse musikalische und künstlerische Acts auf, darunter auch Grönemeyer, der als Überraschungsgast angekündigt worden war.
Mehr: Verhöhung des letzten Abendmahls? Katholische Kirche unglücklich über Olympia-Eröffnungsfeier (MANNSCHAFT berichtete)
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