«Uns wird ein erfülltes Leben von Grund auf abgesprochen»

Katha und Anni schreiben ein Buch über Asexualität und Aromantik – Teil 1 unserer «Wünsch dir was»-Aktion

(Symbolbild: Unsplash)
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Nicht nur in Liebesromanen und TV-Schnulzen: Romantische Beziehungen und Sex sind allgegenwärtig und es wird stumm vorausgesetzt, dass alle Menschen ein Bedürfnis danach haben. Doch dem ist natürlich nicht so. Katha und Anni etwa sind asexuell und verorten sich beide auf dem aromantischen Spektrum. Sie wären froh gewesen, hätten sie schon früher von Aromantik und Asexualität erfahren – deshalb schreiben sie nun selber ein Buch darüber. Anlässlich unserer Jubiläumsaktion haben sich die beiden ein Interview gewünscht und diesen Wunsch erfüllen wir (passend zur aktuellen Ace Week 2020) selbstverständlich gerne.

Katha labelt sich seit sechs Jahren als asexuell und seit etwas kürzerer Zeit als quoiromantisch. Sie studiert Gender and Queer Studies und ist aktivistisch für Aromantik und Asexualität unterwegs. Anni ist aroace und weiss das seit etwa drei Jahren auch. Sie studiert Theaterwissenschaft, schreibt, singt und spielt selbst Theater.

Logo von Anni und Katha auf Twitter.
Logo von Anni und Katha auf Twitter.

Katha, du identifizierst dich als quoiromantisch. Zunächst ganz banal die Frage: Was ist unter diesem Begriff zu verstehen – und was eben nicht. Katha: Das aromantische als auch das asexuelle Spektrum umfassen eine Fülle von Labeln, Grauzonen und Freiräumen. Quoi- als generelles Label bedeutet, dass eine Person etwas für sich nicht einordnen kann oder möchte. Es gibt zum Beispiel die Label quoigender oder quoisexuell. Eine andere Vorsilbe dafür ist «wtf-» vom englischen Ausdruck «what the fuck». In meinem Fall eben «wtf-romantisch», was das Gefühl ganz gut zum Ausdruck bringt. Ich kann für mich nicht bestimmen, ob ich schon mal romantische Anziehung verspürt habe. Für mich äussert sich das als eine Menge Fragezeichen mit einem «Error-Sound» im Kopf: «Vorhandene Emotion kann nicht identifiziert werden!» Als ich erkannt habe, dass ich das auch gar nicht muss, war das eine grosse Erleichterung. Das Label gibt mir die Gewissheit, nicht künstlich nachforschen zu müssen, was dieses Gefühl denn jetzt wirklich ist, weil es okay ist, dass ich die Frage für mich beantworten kann und muss. Sie ist auf mich sozusagen gar nicht anwendbar.

Und was bedeutet aroace zu sein? Anni: Aroace ist die englische Abkürzung für aromantic-asexual, also aromantisch und asexuell. Das sind zwei verschiedene Dinge, die aber begrifflich ähnlich funktionieren: Ein aromantischer Mensch verspürt wenig bis keine romantische Anziehung zu anderen Menschen; ganz ähnlich verspürt ein asexueller Mensch wenig bis keine sexuelle Anziehung zu anderen Menschen. Für mich persönlich bedeutet dies, dass ich mich zum Beispiel nicht verliebe, dass ich Leute nicht «heiss» oder «sexy» finde und insgesamt kein Verlangen nach Sex oder einer romantischen Beziehung habe. Das bedeutet aber nicht, dass das jetzt allgemeingültige Erfahrungen sind – zum Beispiel sind nicht alle Aros auch automatisch ace und andersherum. Ohne jetzt hier im Einzelnen alle Vorurteile und Stereotype wiedergeben zu wollen, möchte ich trotzdem ein paar «besorgte» Fragen beantworten: Ja, ich bin sehr glücklich. Nein, ich bin nicht traurig und einsam. Nein, ich versuche nicht, damit irgendetwas anderes zu verstecken. Und nein, ich glaube nicht, dass sich das bei mir jemals ändern wird.

 

«Asexuelle und trans Menschen fühlen sich deutlich einsamer»

 

Gibt es noch mehr Sprüche und Fragen, die ihr immer wieder hören müsst? Sind Menschen auf dem aromantischen Spektrum sogar Diskriminierung ausgesetzt? Katha: Menschen auf dem Aro-Spektrum erleben tagtäglich Diskriminierung. Die Leute gehen ja davon aus, dass eine Person nicht glücklich sein kann, wenn sie keine romantische Beziehung hat oder zumindest auf der Suche danach ist. Uns wird ein erfülltes Leben also von Grund auf abgesprochen. An Aussagen fällt mir so einiges ein, die basieren meistens auf der Tatsache, dass nicht geglaubt wird, dass es Aromantik gibt. «Ist das nicht eine Sozialphobie?» Nein. «Aber du hattest doch schon Partner*innen!» Irrelevant. Wahlweise: «Du findest noch die richtige Person» oder «Aber was, wenn du dich doch mal verliebst?» Irrelevant, aber schön, dass du zeigst, wie wenig du mich und meine Identität respektierst. «Verspürst du keine Liebe?» ist mein Favorit. Hier wird romantische Liebe als einzige Möglichkeit verstanden, Liebe zu empfinden, was einfach absurd ist! Anni: Gerade dieser Fokus auf romantischer Liebe zeigt sich besonders penetrant in Filmen und Büchern. Im Prinzip immer dann, wenn irgendwo ein romantischer Subplot auftaucht – was quasi immer und überall der Fall ist. Blöde Sprüche bekomme ich selbst bisher selten ab. Ich muss einfach häufig erklären, was aroace bedeutet. So geht es vielen Aros und Aces – die wandelnden Wörterbücher der Gesellschaft! Zum Glück sind die Leute in meinem Umfeld bisher sehr verständnisvoll und unterstützend gewesen – oder wissen halt nichts von meiner Orientierung. Ich kenne aber natürlich viele blöde Sprüche und unlustige Witze aus dem Internet und aus Erzählungen von anderen.

Was müsste die Gesellschaft und die LGBTIQ-Community im Besonderen besser machen? Katha: Ich würde mir wünschen, dass Allos, ob sie nun queer sind oder nicht, sich mit Aromantik und Asexualität auseinandersetzten. Wenn Allos zuhören würden, was aspec Menschen zu sagen haben und wenn sie bereit wären, über die Orientierungen, deren Kämpfe und Geschichten zu lernen, wäre uns schon viel geholfen. Einfach mal im Hinterkopf behalten, dass nicht alle romantische oder sexuelle Anziehung verspüren und dass dies nicht «abnormal» oder «unnatürlich» ist. Normativität und Naturalisierung sind immer Scheisse, also gilt es auch, Allonormativität entgegenzugehen und diese Form von Naturalisierung abzulehnen. Das Ermüdende ist dabei auch, jetzt speziell die queere Community betreffend, dass das genau die Kämpfe sind, die andere Orientierungen beziehungsweise Communities genauso kämpfen oder kämpfen mussten. Die Problematik von Normativität und Naturalisierung sowie Formen von Unterdrückung sind also bekannt. Trotzdem scheint jede Community selbst damit fertig werden zu müssen, wenn andere schon weiter sind. Ich wünsche mir Empathie und Solidarität. Anni: Ich glaube, dass ein Bewusstsein und ein grundlegendes Verständnis die ersten wichtigen Schritte sind. Und daran arbeiten wir gerade noch, obwohl es schon viele Fortschritte gibt. Besonders innerhalb der queeren Community muss das «Gatekeeping» aufhören und es muss Safe Spaces für aro- und acespec Leute geben. Besonders über Discord haben sich jetzt im letzten halben Jahr recht viele, teilweise neue und virtuelle Treffpunkte gebildet, aber die sind dann halt meist spezifisch nur für Aros und Aces ausgelegt. Destigmatisierung ist auch ein grosses Thema – besonders gegenüber Leuten, die nicht aroace, sondern nur aro oder nur ace sind, also alloaro beziehungsweise alloace. Speziell die ace-Community darf auch gern weiter daran arbeiten, mit dem Übergehen und damit dem Unsichtbarmachen von Aros aufzuhören. Die Gesellschaft insgesamt täte, glaube ich, gut daran, romantische Beziehungen nicht als Lösung für alle Probleme anzusehen; dafür müsste vermutlich erst mit der Hierarchisierung von Beziehungen aufgehört werden. Aber das ist nicht wirklich aspec-spezifisch und würde allen guttun.

Wärt ihr froh gewesen, hättet ihr früher von Asexualität und Aromantik erfahren? Katha: Die Gesellschaft ist nicht nur hetero- und cisnormativ, sie ist auch allonormativ. Allonormativität beschreibt die gesellschaftlich verankerte Vorstellung, alle Menschen seien alloromantisch und allosexuell, also nicht-aspec. Das ist eine genauso toxische Ideologie wie Cis- und Heteronormativität. Im Gegensatz zu einigen anderen Sexualitäten und Transgeschlechtlichkeit – ausgenommen nicht-binäre Geschlechtsidentitäten – sind Aromantik und Asexualität aber gesellschaftlich überhaupt nicht bekannt und somit nicht denkbar. Da kommt es oft vor, dass aspec Menschen gar nicht die Möglichkeit haben zu verstehen, was los ist, weil das Wissen ihnen schlicht verwehrt wird. Das ist eine Form von Diskriminierung. Stattdessen fühlen sie sich kaputt, krank oder weniger menschlich, weil dies das Bild ist, das ihnen über sich vermittelt wird. Zumindest ich kann von mir sagen, dass das Gedankengänge waren, die ich vielleicht hätte vermeiden können, hätte ich früher gewusst, dass es Aromantik und Asexualität gibt. Anni: Genau das! Ich wäre froh gewesen zu wissen, dass es so etwas überhaupt gibt, bevor ich zugestimmt habe, in einer romantischen Beziehung zu sein. Denn ich wusste zu dem Zeitpunkt, da ich gefragt wurde, dass ich die andere Person nicht liebe, aber ich dachte, das würde sich wahrscheinlich schon irgendwie ergeben. Spoiler: hat es nicht. Ich hätte gerne vorher gewusst, dass es Aromantik gibt und dass Leute nicht zwingend eine romantische Beziehung eingehen müssen, um sein zu können, und dass es okay ist, eigentlich keine Antwort auf die Frage «Willst du mein*e Freund*in sein» zu haben und deswegen nicht mit einem Gefühl von «öh, klar, schätze ich mal» die Frage zu bejahen. Das hätte mir viele Selbstzweifel und der anderen Person vermutlich viel Schmerz erspart. So musste ich mir von einer guten Freundin mehrfach bestätigen lassen, dass dieses Verlieben tatsächlich nicht nur in Filmen und Büchern passiert und dort als bequeme Handlungsidee immer und immer wieder recycelt wird, wie ich zuvor gedacht hatte.

 

MANNSCHAFT sucht die Queeros 2020

 

Nun habt ihr ja selbst ein Buchprojekt gestartet. Anni: Im Buch wird es vor allem um Aromantik und Asexualität gehen: Was ist das? Was ist das nicht? Gibt es das tatsächlich? Wir wollen ausserdem zeigen, dass es für beide Orientierungen eine Geschichte gibt, die nicht erst im 21. Jahrhundert begann. Es wird aber auch um ein paar alternative Beziehungsmodelle gehen. Zum Beispiel um queerplatonische Beziehungen, die zwar jedem Menschen offenstehen, aber besonders für die Aspec-Community sehr wichtig sind. Zudem wird es ein paar wundervolle Gastbeiträge von Menschen, die sich auf dem Aspec verorten, geben, um die Vielfalt dieser Orientierungen besser zu repräsentieren.

Wie sieht dabei eure Arbeitsweise aus und wie weit seid ihr schon? Katha: Der Einfachheit halber haben wir die Themen aufgeteilt und arbeiten seitdem beide so ein bisschen parallel: Anni hat sich als Aro die Aromantik vorgeknöpft und ich die Asexualität. Den Rest haben wir dann nach Interessensgebiet, eigener Erfahrung oder einfach nach Zeit aufgeteilt. Zwischen unseren individuellen Recherchen und Schreibsitzungen schliessen wir uns immer mal wieder kurz, lassen die andere über Textentwürfe schauen oder schmeissen zum siebten Mal das Kapitel zur Diskriminierung über den Haufen, weil doch wieder noch was Neues dazu aufgetaucht ist.

Welche Ziele verfolgt ihr damit? Anni: Auf die Existenz von Aromantik und Asexualität aufmerksam zu machen. Dies direkt mit Erklärungen, ganz vielen Informationen und weiterführenden Quellen – und das möglichst zugänglich. Mir ist es tatsächlich mit der Zeit immer wichtiger geworden, einen historischen Ansatz einzubauen, weil der häufig übersehen, ignoriert oder gar geleugnet wird. Katha ist ein Fokus auf die Enttarnung und Benennung von Diskriminierungsformen wichtig, damit aspec Menschen sich besser dagegen wehren und Allos lernen können, was sie besser vermeiden sollten. Katha: Insgesamt soll das Buch ein Einstiegswerk werden und für alle einen Mehrwert haben: für Leute, die selbst aro und/oder ace sind und mehr über das Aspec lernen wollen. Für Leute, die sich mit ihrer eigenen Orientierung unsicher sind und im Buch vielleicht gesuchte Antworten finden. Und für Leute, die lernen und gute Verbündete sein wollen.

Hallelujah! Franziskus macht sich für homosexuelle Partnerschaften stark

An diesem Sonntag beginnt die Ace Week 2020. Was läuft da so? Anni: Die Ace Week als jährliche Veranstaltung hat in diesem Jahr zehnjähriges Jubiläum, was unter dem Motto «Our History» gefeiert wird. Wir werden auf jeden Fall versuchen, davon so viel wie möglich mitzunehmen und zu lernen. Katha: Weil wir das Manuskript im Frühjahr einreichen werden und so ein Buchprojekt einen grossen Zeitaufwand mit sich bringt, zelebrieren wir die Ace Week etwas weniger aufwendig. Letztes Jahr hatten wir auf unserem Twitteraccount @acearovolution jeden Tag einen Infothread zu verschiedenen Themen veröffentlicht. Die werden diese Woche definitiv als Retweets wieder auftauchen. Bis zum 30. Oktober wollen wir zudem Fragen sammeln, die wir in unserem ersten «Q&A» beantworten werden. Falls dieses Interview also die eine oder andere Frage aufgeworfen hat, könnt ihr Anni und mir gerne schreiben!

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