«Eine Art Gay Mafia gab es in Hollywood durchaus»
Alan Poul produzierte unter anderem die Erfolgsserien «Tales of the City» und «Six Feet Under»
Regisseur und Produzent Alan Poul ist seit über 30 Jahren im US-amerikanischen Seriengeschäft dabei. Ein Gespräch über schwule Netzwerke in Hollywood, die Verlierer in Zeiten der Diversität und sein neues Baby «Eddy.»
Alan, in den Medien klang es immer so, als sei «The Eddy» in erster Linie das neue Projekt von Oscargewinner Damien Chazelle. Wessen Baby ist die Serie denn nun? Hier muss ich gleich mal ausholen, denn dieses Projekt ist auf eine andere Weise entstanden als alle anderen Serien, an denen ich bisher beteiligt war. Und das waren viele.
Nur zu! Die Entwicklung von «The Eddy» fing quasi von hinten an. Wir begannen mit der Musik, und das Drehbuch entstand am Schluss – also genau andersherum als gewöhnlich. Ende 2013 drückte mir der Songwriter Glen Ballard (der mit Alanis Morissette, Michael Jackson, Christina Aguilera, Katy Perry u.a. gearbeitet hat, Anm. d. Redaktion) eine CD in die Hand, mit den Worten: Diese Songs habe ich für eine Serie geschrieben, die in einem Jazzclub im heutigen Paris spielen soll.
Das war alles? Ja, er hatte ansonsten keine Story, keine Figuren, nichts. Aber die Songs waren fantastisch – und die Band, die Glen nur für diesen Zweck gegründet hatte, war live einfach grossartig.
Die glücklichste kleine Sextankstelle von Hollywood
Mir kam sofort Damien Chazelle in den Sinn, obwohl dessen Schlagzeugerfilm «Whiplash» damals gerade erst abgedreht war. Doch dank seines ersten Films «Guy and Madeline on a Park Bench» wusste ich, wie sehr er Jazz liebt. Ausserdem ist er halb Franzose! Er fand die Idee super, Glens Band gefiel ihm ebenfalls, deswegen war er sofort mit an Bord. Weil er aber auch schon in der Vorbereitung zu «La La Land» steckte, brauchten wir auf jeden Fall einen Drehbuchautor, den wir in Jack Thorne fanden. So kann man also, um deine Frage zu beantworten, sagen, dass Glen, Damien, Jack und ich alle vier die Eltern des Babys «The Eddy» sind.
Und wie hast du aufgeteilt, wer welche Folgen inszeniert? Da gab es gar keine langen Diskussionen. Es war immer klar, dass Damien die ersten beiden übernimmt und ich die letzten beiden. Für die vier Folgen in der Mitte wollten wir auf jeden Fall zwei französische Regisseur*innen, am liebsten Frauen. Und wurden dann in Houda Benyamina und Laila Marrakchi fündig, die beide fantastisch sind.
Du inszenierst seit bald 20 Jahren Serienepisoden, als Produzent bist du noch länger tätig. Was antwortest du, wenn du nach deinem Beruf gefragt wirst? Hängt davon ab, welchen Wochentag wir gerade haben (lacht). Aber im Ernst: Ich sage einfach beides, Produzent und Regisseur. Die Regie ist eigentlich das, was mir am meisten Spass macht. Mehr Erfahrung und Erfolg habe ich allerdings als Produzent. Deswegen ist es nur richtig, beide Jobs anzugeben.
Gerade hast du betont, dass du für «The Eddy» unbedingt Frauen hinter der Kamera haben wolltest. Überhaupt spielte Diversität in deinen Serien – «My So-Called Life – Willkommen im Leben», «Six Feet Under», «Tales of the City» – immer schon eine Rolle. Wacht die Branche allmählich auf? Stimmt, ich habe schon auf Diversität gesetzt, lange bevor das zum guten Ton gehörte! Und natürlich finde ich grossartig, welche Veränderungen in der Film- und Fernsehbranche gerade stattfinden, denn wir waren diesbezüglich wirklich rückständig! Aber so etwas schüttelt man auch nicht mal eben aus dem Ärmel. Als Produzent ist es einerseits die oberste Aufgabe, dass bei der Qualität keine Abstriche gemacht werden. Andererseits müssen wir ganz gezielte Anstrengungen unternehmen, wenn wir in dieser Hinsicht tatsächlich etwas bewirken wollen. Diese Gratwanderung ist nicht ohne – es gibt auch Verlierer.
Wie meinst du das? Ich kenne durchaus Leute in unserer Branche, die aktuell manche Jobs nicht bekommen, weil sie weisse Männer sind. Das finde ich – wenn man das grosse Ganze betrachtet – vollkommen okay. Hier findet gerade eine grundlegende Kurskorrektur statt, die richtigstellen will, was über Jahrzehnte schief lief in Sachen Gleichstellung. Und so etwas geht nun einmal nicht ohne Opfer über die Bühne, das wissen selbst die Betroffenen. Ich habe aber natürlich Mitgefühl für einzelne Personen, denen dadurch Nachteile entstehen.
Hast du als offen schwuler Mann eine besondere Verantwortung empfunden, LGBTIQ-Figuren in deinen Serien zu schaffen? Ohne Frage, vor allem zu Beginn meiner Karriere. Nichts lag mir so sehr am Herzen, einfach weil es in den 90er-Jahren noch viel zu wenige solcher Figuren zu sehen gab. Eine positive und wahrheitsgetreue Darstellung von queeren Themen war die absolute Ausnahme – und daran etwas zu ändern, war meine selbsterklärte Aufgabe. Heute hat sich zum Glück so viel getan, dass sich für mich die Prioritäten ein wenig verschoben haben. Wenn selbst heterosexuelle Kolleginnen wie Shonda Rhimes in ihre Serien wie «Grey’s Anatomy» oder «How to Get Away With Murder» darauf achten, genug LGBTIQ-Figuren zu zeigen, dann braucht es mich nicht mehr unbedingt dafür. Deswegen kann ich jetzt auch jede andere Form von Diversität in den Fokus nehmen.
«Nicht wenige der Agenten und Manager, die ihren Klienten abrieten, schwule Rollen zu spielen oder sich zu outen, waren selbst schwul.»
Deine Karriere begann im Hollywood der 80er-Jahre. Konnte man damals geoutet sein? Hinter der Kamera war es für Schwule und Lesben in Hollywood nie so schwierig wir für Schauspieler*innen. Gerade schwule Männer waren ja immer eine treibende Kraft in dieser Branche und mussten sich dort viel weniger verstecken als in anderen Bereichen der Gesellschaft. Ich selbst erinnere mich an keine Situation, in der ich wegen meiner sexuellen Identität diskriminiert oder verunglimpft wurde. Im Gegenteil habe ich in der Filmindustrie damals zum ersten Mal in meinem Leben überhaupt eine Art von Community und Zusammenhalt erlebt. Das Klischee von der «Gay Mafia» in Hollywood ist zwar übertrieben, aber in der Tat gab es ein Netzwerk. Schwule Produzenten, Regisseure, Agenten und Autoren haben sich ausgetauscht und gegenseitig geholfen.
Erste schwule Hauptfigur in einem Animationsfilm von Pixar
Nur die Schauspieler blieben aussen vor . . . Absolut. Und in dieser Hinsicht konnte man durchaus auch beobachten, wie das mit dem schwulen Selbsthass funktioniert. Nicht wenige der Agenten und Manager, die ihren Klienten abrieten, schwule Rollen zu spielen oder sich zu outen, waren selbst schwul.
Auf welche Projekte bist du rückblickend besonders stolz? Ich liebe natürlich alle meine Babys. Aber wenn ich eines besonders hervorheben müsste, dann vermutlich «Six Feet Under». Die Arbeit daran war ohne Frage eine einzigartige Erfahrung. Alan Ball und ich haben von der ersten bis zur letzten Folge die komplette Serie verantwortet, und unser Team – samt der Schauspieler*innen – war ein wunderbar eingeschworenes Grüppchen. In unserem sogenannten Writers’ Room gab es bei den letzten drei unserer fünf Staffeln keine einzige Veränderung, was bei einer Serie eigentlich nie der Fall ist. Ausserdem waren das damals aufregende Zeiten: der Beginn des neuen goldenen Serienzeitalters. Das Vertrauen und die Freiheiten, die uns vom Sender entgegengebracht wurden, waren einzigartig.
Dieser Tage lässt man gerne Erfolge von früher wieder aufleben, du selbst hast das mit «Tales of the City» bereits gemacht. Kannst du dir etwas Vergleichbares auch bei «Six Feet Under» oder anderen Serien vorstellen? Eigentlich bin ich kein Fan von solchen Reboots, Remakes und Fortsetzungen. Der Grund, warum wir es bei «Tales of the City» gemacht haben, war vor allem die Tatsache, dass es ja auch nach den alten Staffeln noch weitere Bücher von Armistead Maupin gab. Und dass Laura Linney mit dabei war. Ohne sie als Mary Ann Singleton hätte es die neuen Folgen nie gegeben! Aber bei «Six Feet Under» hat Alan Ball genau aus dem Grund in der letzten Folge gezeigt, wie alle sterben: Damit es eben keinen Reunion-Film oder so geben kann!
Als Regisseur hast du nicht nur einzelne Episoden für «The Newsroom» oder «Grace & Frankie» gedreht, sondern auch den Spielfilm «The Back-up Plan» mit Jennifer Lopez. Hast du das Interesse am Kino seither verloren? Der Film mit J. Lo damals hat weltweit viel Geld eingespielt, aber die Kritiker*innen haben ihn verrissen. Deswegen waren die einzigen Projekte, die man mir danach anbot, andere romantische Komödien. Darauf wollte ich mich einfach nicht festlegen lassen, zumal ich beim Fernsehen an Geschichten arbeitete, die ungleich spannender und komplexer waren. Ich habe mir also geschworen, erst wieder einen Kinofilm zu drehen, wenn ich ein kleines Projekt finde, das mir wirklich am Herzen liegt.
So wie die Verfilmung von Nick Hollerans legendärem Schwulenroman «Dancer from the Dance», die vor ein paar Jahren mal angekündigt war? Genau. An der arbeite ich seit sechs Jahren – und ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass der Film auch gedreht wird. Genau wie ein Biopic über Discostar Sylvester, das ich ebenfalls vorbereite. Allerdings ist es heutzutage mühsam, kleine, unabhängige Filmproduktionen auf die Beine zu stellen. Und die spannenden Serienprojekte nehmen Zeit in Anspruch. Aber ich bin dran an der Sache, keine Sorge!
Alan Poul
Als Produzent von Filmen wie «Black Rain» oder «Candyman» begann Alan Poul in den 80er-Jahren in Hollywood seine Karriere, bevor er für Fernsehserien wie «Tales of the City» oder «My So-Called Life – Willkommen im Leben» verantwortlich zeichnete und nicht nur aus queerer Sicht TV-Geschichte schrieb. Später zog es den heute 66-Jährigen auch als Regisseur hinter die Kamera, wo er unter anderem Episoden von «Six Feet Under», «Big Love» oder zuletzt die Neuauflage von «Tales of the City» inszenierte. Auch bei der neuen Serie «The Eddy» (ab 8. Mai bei Netflix) mit André Holland (aus «Moonlight»), Tahar Rahim und dem lesbischen Shootingstar Amandla Stenberg zieht Poul als Produzent und Regisseur gleichermassen die Fäden
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