Wo bleibt LGBTIQ-Vielfalt in den Schulen in Baden-Württemberg?
Queere Identitäten finden bisher im Unterricht offenbar kaum Berücksichtigung, bemängelt der LSVD
Seit vier Jahren sind neue Bildungspläne für die Schulen in Baden-Württemberg in Kraft. Mit ihnen hatte das Kultusministerium sechs Leitperspektiven verankert, darunter auch für das Thema «sexuelle und geschlechtliche Vielfalt». Das Ergebnis ist laut LSVD nach vier Jahren: enttäuschend.
In einem Antrag fordert die Grünen-Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg jetzt eine Überprüfung der Umsetzung und eine Studie zur Situation von LGBTIQ-Jugendlichen und -Lehrerkräften im Bildungsbereich. Eine Stellungnahme des Kultusministeriums, die dem LSVD vorliegt, lässt vermuten, dass LGBTIQ-Identitäten bisher in Schule und Unterricht eher keine Berücksichtigung fanden, heisst es in einer Pressemitteilung vom Dienstag.
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«Totalausfall» an Schulen in Baden-Württemberg «Es ist sehr enttäuschend, dass das Kultusministerium es in mehr als drei Jahren nicht geschafft hat, die Lebensrealitäten von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transsexuellen, Transgendern, Intersexuellen und queeren Menschen in Schule, Unterricht und Lehrkräftefortbildungen zu berücksichtigen, geschweige denn fachbezogene Ansprechpersonen in der Schulverwaltung zu schaffen oder sich für das Lehrpersonal beratend von aussen zu suchen. Das gleicht einem Totalausfall.» Bereits 2016 habe man vor fehlender Verbindlichkeit und Überprüfbarkeit gewarnt, nun sehe man sich in seinen Befürchtungen bestätigt», erklärt Kerstin Fritzsche aus dem LSVD Baden-Württemberg. Ein offener Umgang mit LGBTIQ fehlt übrigens auch an Berliner Schulen (MANNSCHAFT berichtete).
Wie der Antwort von Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) zu entnehmen sei, werde erst jetzt am Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung eine Handreichung erstellt. Diese solle dann vermutlich im Herbst für Schulpsycholog*innen und Beratungslehrer*innen verfügbar sein. (Nicht dass es um die Bildungspolitik bundesweit besser bestellt wäre – MANNSCHAFT berichtete).
Gesellschaftliche Vielfalt gehört zum heutigen Alltag, auf den Schule vorbereiten muss. Das ist originärer Bestandteil ihres Bildungsauftrags, damit Kinder und Jugendliche ein positives und akzeptierendes Selbstbild entwickeln und sich gegen Diskriminierungen behaupten können. Über die Vielfalt sexueller und geschlechtlicher Identitäten muss sachlich und angemessen informiert werden, im Schulunterricht, aber auch in Schulbüchern.
In Baden-Württemberg wurden die neuen Lehrpläne 2016/17 extra so angelegt, dass diese Leitperspektive nicht nur für den Biologieunterricht gilt, sondern fächerübergreifend. Im Schulalltag ist das offensichtlich nicht der Fall.
«In anderen Bundesländern gibt es das Projekt SchLAu – schwul-lesbische Aufklärung in der Schule, das von Schulämtern unterstützt wird und von Schulen angefragt werden kann. Leider gibt es eine solche landesweite Initiative in Baden-Württemberg nicht. Aber auch der LSVD oder das LGBTIQ-Landesnetzwerk werden selten für Expertise oder Workshops angefragt. Gibt es hier einen Austausch, so beruht der sehr punktuelle Kontakt auf persönlichem Engagement von Lehrkräften, Schulleitungen und lokalen Initiativen oder Vereinen.»
In einem so grossen Flächenland wie Baden-Württemberg reiche das nicht. «Deswegen befürworten auch wir eine Studie zum Stand der Umsetzung der Bildungspläne. Nur wenn wir wissen, wie die Lebens- und Lernrealität von LGBTIQ-Kindern und -Jugendlichen aussieht, kann dafür gesorgt werden, dass alle ein angstfreies Lernklima vorfinden», so Fritzsche weiter.
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Für Schulen und andere Bildungsinstitutionen ist die Anwendung der Leitperspektiven teils schwierig und konfliktreich. Hier würden Ansprechpersonen aus der Community und mehr Unterstützung sicherlich helfen. Als Beispiel nennt der LSVD das Theaterstück «Ein Känguru wie du», das 2017 am Theater Baden-Baden lief. Mit der Inszenierung des Stücks wollte Intendantin Nicola May durchaus die neuen Bildungspläne stärken. In dem Stück gehe es um ein schwules Känguru, das Diskriminierung erfährt. Eigentlich ideal, meint der LSVD, um Toleranz und Akzeptanz zu fördern,
Frühsexualisierung durch ein Känguru? Doch die Plätze blieben leer und die angebotene theaterpädagogische Begleitung wurde nicht wahrgenommen. Warum? Eltern wollten nicht, dass ihre Kinder das Stück wegen angeblicher «Frühsexualisierung» besuchten. Dabei gehe es in dem Stück überhaupt nicht um Sexualität, sondern um Freundschaft. Das Stück wurde nach einigen Vorstellungen abgesetzt, eine Diskussion oder Aufarbeitung dazu fand nicht statt, so der LSVD.
«Eine Schule, die ähnliches vorhat, wird sich drei Mal überlegen, ob sie sich sehenden Auges in solch eine ziellose Auseinandersetzung begibt. Die Bildungsinstitution Theater vielleicht auch. Das ist doch schade! Schwule Sau! als Beschimpfung auf dem Schulhof ist hingegen nach wie vor noch sehr real», bilanziert Vorständin Kerstin Fritzsche.
Ein Land wie Schottland ist da schon viel weiter. Hier wird ab 2021 die Geschichte der LGBTIQ-Bewegung und die Förderung der Akzeptanz queerer Jugendlicher fester Bestandteil des Schulstoffs sein (MANNSCHAFT berichtete).
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