Tim Kruger: «Wir sind keine seelenlosen Zombies»

Vom Pornodarsteller zum Pornoproduzenten. Während andere Studios den Sprung ins digitale Zeitalter verpasst haben, kann Tim Kruger von seiner Website TimTales.com gut leben.

Tim, wie hat sich das Geschäft mit Pornos in den letzten Jahren verändert? Für mich hat sich eigentlich nicht viel geändert. Ich mache nach wie vor genau das, womit ich auch angefangen habe. Natürlich sind die Qualität und die Technik besser geworden. Für andere Firmen hat es sich insofern geändert, als der Fokus mehr auf der Onlinevermarktung liegt. Es geht nicht mehr unbedingt darum, wie viele DVDs verkauft wurden.

Wie unterscheidet sich deine Plattform TimTales von anderen Pornostudios? In erster Linie will ich, dass sich meine Darsteller mögen und beim Sex auch Spass haben. Das kommt auch im Video besser rüber. Ich versuche, ihre Vorlieben zu berücksichtigen, und frage sie, mit wem sie gerne drehen würden. Bei anderen Studios wird das oft vorgeschrieben.

Auch beim Drehen gebe ich nicht viele Anweisungen. Ich lasse die Models machen, was sie auch privat tun würden, wenn sie jemanden treffen oder eine Date haben. Es herrscht eine entspannte Atmosphäre und es sind nur die Leute am Set, die auch wirklich benötigt werden.

Foto: Patrick Mettraux
Foto: Patrick Mettraux

Mit der Ankunft des Internets hat man der Porno­branche den Tod vorausgesagt. Weshalb hat sich dieses Urteil nicht bewahrheitet? Für einige grosse Firmen hat sich das sehr wohl bewahrheitet. Studios wie «Raging Stallion» und «Falcon» sind bankrott gegangen. Grosse Produktionsfirmen von Heteropornos haben sie günstig aufgekauft und weitergeführt. Es existieren nicht mehr allzu viele Studios, die noch gänzlich in schwuler Hand sind. Deshalb bin ich stolz, dass ich mit meiner Website nach wie vor so erfolgreich bin.

Dank sozialen Medien wie Tumblr kann jeder seine eigene Pornografie ins Netz stellen. Siehst du das als Konkurrenz an? Solange jeder nur seine eigenen Pornos ins Netz stellt, finde ich das sogar gut und ich schaue mir das auch gerne mal an abends vor dem Schlafengehen (lacht).

Ist die Onlinepiraterie ein Problem für dich? Gerade auf Seiten wie Tumblr werden Filme anderer Pornofirmen illegal verbreitet, und das sehe ich natürlich nicht sehr gerne. Soweit es mir möglich ist, gehe ich dagegen vor. Ich arbeite jeden Tag in der Woche, um ein gutes Produkt auf den Markt zu bringen. Ich lebe tatsächlich davon und betreibe das nicht nur als Hobby, wie viele denken. Deswegen bin ich schon der Meinung, dass man bereit sein sollte, dafür ein paar Euros zu zahlen. Dasselbe gilt übrigens auch für Musik und Kinofilme.

«Solange man selber noch halbwegs ansehnlich ist, kann man den Job schon eine Weile machen.»

Als Pornodarstellerin gehört man mit 25 zum alten Eisen. Wie sieht das bei Männern aus? Gibt es bei schwulen Pornodarstellern ein Ablaufdatum? Bei Männern gibt es das nicht wirklich, solange man genug Fans hat, die einen sehen wollen. Solange man selber noch halbwegs ansehnlich ist, kann man den Job schon eine Weile machen. Ich hoffe also, dass ich in der Branche noch ein paar Jahre vor mir habe (lacht).

In den letzten Jahren haben mehrere schwule Pornodarsteller Suizid begangen. Kannst du dir vorstellen, welcher Aspekt des Jobs sie in den Freitod getrieben hat? «Welcher Aspekt des Jobs» finde ich eine schlechte Formulierung. Der Selbstmord dieser Darsteller hat weniger mit der Branche, sondern mit der Person selbst zu tun. Ich glaube, dass sich mehr Verkäufer, Bankangestellte und Menschen aus anderen Branchen das Leben nehmen als schwule Pornodarsteller. Wenn es doch geschieht, liest man darüber in diversen Foren, Zeitungen und Blogs, und man erhält den Eindruck, dass sich aussergewöhnlich viele Darsteller in der Pornobranche umbringen, weil der Job so furchtbar ist. Ich bin jetzt mehr als zehn Jahre dabei und mir fällt kein Aspekt ein, der einen dazu treiben könnte. Im Gegenteil, ich finde, der Job ist weitaus attraktiver und abwechslungsreicher als so manche Vollzeitstelle im Büro.

Was machst du in deiner Freizeit?  Ich wohne in Barcelona, und da bietet es sich natürlich an, mal zum Strand zu gehen oder einfach die Atmosphäre in der Stadt zu geniessen. Ich verbringe viel Zeit mit Freunden, aber bin auch gerne mal alleine und mache absolut gar nichts. Ausserdem reise ich sehr gerne.

«Mir macht meine Arbeit Spass, und das ist wohl die beste Voruassetzung, um glücklich zu sein.»

Wie sieht die Work-Life-Balance eines Pornodarstellers aus? Wie in jeder anderen Branche gibt es viel zu tun, wenn man seine eigene Firma hat. Ich kann mir meine Drehs und meine Arbeit relativ frei einteilen und somit auch mal das gute Wetter in Barcelona geniessen. Allerdings muss ich auch jederzeit verfügbar sein, falls es mal Probleme mit der Website oder dem Server gibt. Es spielt dann keine Rolle, ob das sonntags, im Urlaub oder mitten in der Nacht ist. Mir macht meine Arbeit Spass, und das ist wohl die beste Voraussetzung, um glücklich zu sein.

Einem Pornodarsteller wird viel Ausdauer und Standhaftigkeit abverlangt. Gibt es ein Geheimnis oder ist alles nur Übungssache? Spass am Job, und wenn das nicht helfen sollte, gibt es natürlich noch diverse Hilfsmittel wie Viagra und Co.

Wie hat deine Familie reagiert, als du ins Pornogeschäft eingestiegen bist?  Natürlich hat sie am Anfang erst mal leer geschluckt, als ich ihnen davon erzählt habe. Bis dahin hatten sie keine Berührungspunkte mit der Pornobranche gehabt. Allerdings sind meine Eltern wie auch die ganze Familie sehr offen und akzeptierend, sodass es nie ein Problem war. Solange ich glücklich bin mit dem, was ich mache, ist auch meine Familie glücklich und leistet mir jegliche Unterstützung, die ich brauche. Und mein jüngerer Bruder findet es total cool (lacht).

«In erster Linie drehe ich Pornos und keine Aufklärungs- oder Lehrvideos.»

Barebacking wird von vielen Präventionsstellen kritisiert. Auch in den Videos auf deiner Website wird nicht selten auf ein Kondom verzichtet.  In erster Linie drehe ich Pornos und keine Aufklärungs- oder Lehrvideos. In Pornofilmen zeigt man eine Fantasie, die man gegebenenfalls zuhause so nicht ausübt oder ausüben kann, und da gehört natürlich auch Barebacking dazu. Wir zeigen auf TimTales Filme mit und ohne Kondom. In der heutigen Zeit mit verlässlichen und schnellen Tests, HIV-Therapie und Präventionsmedikamenten sehe ich da keinerlei Probleme. Jeder Einzelne sollte sich darüber im Klaren sein, was er macht, und sich ausreichend über dieses Thema informieren. Präventionsverbände klären zum Beispiel darüber auf, dass der Schutz durch Therapie ebenso sicher ist wie ein Kondom.

Spürst du in der Gay-Community Berührungsängste oder gar Abneigung, wenn du dich als Pornoproduzent vorstellst? In der Community spüre ich so etwas eher selten. Natürlich gibt es Leute, die meinen, schlecht über andere reden oder blöde Sprüche klopfen zu müssen. Das sind aber genau die Leute, die in ihrem Profil «no fats, no fems» schreiben. Mit denen will ich auch nichts weiter zu tun haben. Die meisten Leute sind sehr offen, neugierig und unterstützend.

Was ist das grösste Klischee über die Pornoindustrie, das du entkräften möchtest? Vielleicht, dass nicht alle Pornodarsteller dauergeile, seelenlose Zombies sind, die 24/7 mit einer Latte rumlaufen, sondern Menschen wie jeder andere auch. Nur haben wir eben einen Job, der nicht ganz alltäglich ist.

Foto: Patrick Mattraux
Foto: Patrick Mattraux

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