«Wir klinken uns aus der Evolution» – Neues von den Einstürzenden Neubauten
U.a. singt Blixa Bargeld über seinen trans Sohn
Die Einstürzenden Neubauten sind seit Jahrzehnten eine Inspiration auch für die internationale Musikszene. Mit ihrem jüngsten Album «Rampen» definieren sie gleich mal ein neues Genre.
Von Gerd Roth, dpa
Mit Rampen kennen sich die Einstürzenden Neubauten aus. Bei ihren Konzerten gibt es für diese musikalischen Reisen ins Ungewisse nur minimale Verabredungen. Etwa wer beginnt, vielleicht auch eine Tonfolge. «Mal sehen, wo es einen hinschiesst», beschreibt es Sänger Blixa Bargeld. «Die Rampe als Bestandteil des Sets hat uns nie verlassen.» Nun ist ein musikalisch starkes und überaus hörbares Album aus 15 dieser Tonkreationen entstanden. «Rampen (apm: alien pop music)» erscheint an diesem Freitag (5. April).
Für ein Album brauchen Bargeld, Alexander Hacke, N.U. Unruh, Rudolf Moser und Jochen Arbeit sonst mehr Zeit. Auf selbst geschaffenen Instrumenten – der Bestand füllt nach 44 Bandjahren eine Lagerhalle – tasten sie sich sonst experimentierend zu neuen Stücken. «Da wir diese Rampen alle auf der Tour 2022 gespielt haben, haben sie auch alle dasselbe Instrumentarium», sagt Bargeld im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. «Wir mussten also nur dasselbe Instrumentarium wie auf der Tour im Studio aufbauen und konnten alle diese Rampen darauf spielen.» Auch im Studio ist alles live. «Wir arbeiten auf die Dinosaurier Methode: Wir sind alle im selben Raum, spielen alle gleichzeitig und hören uns.»
Für das Album haben die als Inspiration der internationalen Musikszene geltenden Neubauten einen Genrebegriff kreiert: APM. «Das ist Alien Pop Musik, Popmusik für Aussenstehende, Popmusik für Außerirdische, Popmusik für Fremdartige, Seltsame. Also die, die sich von der Popmusik, die an den Populismus grenzt, nicht repräsentiert fühlen.»
Bargeld gründete 1980 die Einstürzenden Neubauten. Über die Jahrzehnte gewann die Band internationalen Einfluss, dessen Wirkung mit dem von Kraftwerk verglichen werden kann. Mit den selbst entwickelten Instrumenten verbindet die Band Industrial, maschinellen Noise, Gothic-Rock-Elemente – und aktuell sowas wie Pop. Prägend sind auch die Texte von Bargeld. Multilinguale Phrasen, Fragmente, Bruchstücke lässt der Sänger einfliessen. «Ich arbeite nicht thematisch, also ist die Sprache eher zufällig», sagt er. «Vor den Konzerten habe ich mir aus meinem Vorrat an Notizen ein paar neue Fragmente rausgesucht. Es ist einfach egal, ob Englisch oder Deutsch oder eben Berlinerisch von mir aus.»
«Besser isses» hat Bargeld ursprünglich für Patricia Kaas geschrieben. Er sollte der französischen Sängerin ein Duett schreiben, es wurde ein Break-up-Song mit der minimalistischen Zeile «Ich ohne dich, du ohne mich. Besser isses». Aus Paris kam keine Reaktion mehr.
Breiteren Raum nimmt die jüngste Auseinandersetzung von Bargeld mit Genderfragen ein. «Mein Kind ist ein trans Junge. Deswegen habe ich mich natürlich noch intensiver damit beschäftigt», sagt der Musiker. Das habe er vorher auch schon getan. «Es hat nur noch mal eine noch aktuellere und noch radikalere Wendung genommen.» In «Triboliten» heisst es: «Ich, du, ich, du, ich, du – Fossilien, die wir beide sind, noch ungetrennt».
Für Bargeld kein leichtes Thema: «Ich musste ewig dran arbeiten, bis ich zu dem Schluss kam, was ich damit mache. Ich mache da eine Tür auf, wo vorher keine war, eine Absage an jede Form von Biodeterminismus. Das hört sich alles sehr hochgestochen an, aber ich mache es ja singbar.» Im Song «Gesundbrunnen» heisst es dann: «Korrigieren wir das Bild», – und «Wir üben das Neue, ganz ausserhalb der Biologie». Zugleich markiert der Text auch Grenzen menschlicher Begrifflichkeiten: «Meine Sprechwerkzeuge wollen mich nicht mehr.»
Zudem hat sich Bargeld mit Identität befasst, etwa der «Beziehung von Hermes und Herkules als Crossdresser», wie er im Interview mit dem Tagesspiegel (+) erzählt hat. «Wie bei Ovid in ‹Herkules‘ Tod› trägt der starke Mann ein Kleid, das sich in seine Haut brennt. ‹Non-binary›, fiel mir als Abschluss ein. Über dieser Schichtung der Begriffe bewege ich mich weiter bis zu dem aktuellen Song ‹Gesundbrunnen›, in dem es um biologischen Determinismus geht, ausgehend von den radikalen Essays des trans Mannes Paul B. Preciado.» Das sei ein Gedankenzug, dem er über Jahre folge.
Judith Butler soll der Adorno-Preis aberkannt werden.Das fordert u.a. der queer-jüdische Verband Keshet (MANNSCHAFT berichtete)
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