Wer profitiert von diesem neuen Trend im Musikbusiness?
Alt und Jung arbeiten zusammen
Dieter Bohlen (70) hat mit dem bisexuellen Influencer Twenty4Tim (23) seinen Song «Cheri, Cheri Lady» aufpoliert. Die Zusammenarbeit steht für einen grösseren Trend.
Wenn man die Augen zusammenkneift und sich etwas mehr Haupthaar hinzudenkt, könnte man glatt an ein Wunder glauben. Im neuen Video zu «Cheri, Cheri Lady» sitzt ein junger Mann neben Dieter Bohlen, der mit etwas Fantasie durchaus dem früheren Thomas Anders ähnelt – glänzend-kräftiger Teint, blendend weisse Zähne, jugendliches Gesicht. Nur die Haare sind kürzer. Bevor Pop-Nostalgiker nun in Jubel ausbrechen und Bohlen-Skeptiker verstört werden: Nein, Modern Talking, das mit Streit implodierte Musik-Duo aus Bohlen und Anders, ist nicht wiedervereint. Der «Pop-Titan» hat einen Neuen, der an seiner Seite jenen Hit singt, den er mit Anders in den 80ern erstmals in die Charts hievte: Influencer Twenty4Tim. (MANNSCHAFT berichtete) Der Kölner hat 2,7 Millionen Instagram-Follower und sagenhafte 4,9 Millionen TikTok-Anhänger.
Die Neuaufnahme von «Cheri, Cheri Lady» des Gespanns, das fast 50 Jahre Altersunterschied hat, ist die neuste Ausprägung eines Phänomens, das sich in der deutschen Musikwelt breit gemacht zu haben scheint. Hits waren zuletzt oft auch Generationenprojekte. Ältere oder länger etablierte Künstler*innen gehen mit jüngeren Newcomer*innen oder aktuell angesagten Musikern zusammen. Das Ergebnis sind Chart-Erfolge.
Als Goldstandard dieses neuen «Age Gap»-Genres kann die Zusammenkunft von Altrocker Udo Lindenberg und dem Rapper Apache 207 betrachtet werden. Das ungleiche Duo, das rund 50 Jahre Lebenszeit trennt, flog mit «Komet» zur Jahreschartsspitze 2023. Für Lindenberg war es im zarten Alter von 76 Jahren der erste Nummer-eins-Hit der Karriere.
Kurz darauf folgte die nicht minder schillernde Kombination aus Alt-Komiker Otto Waalkes (75) und den beiden Rappern Ski Aggu und Joost. Waalkes tritt man nicht zu nahe, wenn man unterstellt, dass jüngeren Generationen bei Fragen zu seiner wahrlich verbrieften Lebensleistung wohl maximal das Wort «Holladihiti» einfallen würde. 2023 aber gab er Ski Aggu und Joost die Erlaubnis, sein Lied «Friesenjung» von 1993 in einer Dance-Version zu bearbeiten – ein Erfolg. «Für Komiker Otto Waalkes ist es die höchste Single-Platzierung überhaupt», meldeten im Sommer 2023 die Charts-Ermittler. Holladi-Hit-i!
«Ich würde schon sagen, dass es zugenommen hat – auch nicht nur in Deutschland. Es gab etwa auch die Zusammenarbeit von Lady Gaga mit Tony Bennett», sagt Musik-Professorin Barbara Hornberger von der Bergischen Universität Wuppertal. Offensichtlich gebe es eine intergenerationale Bewegung. «Dass bekannte Titel geremixt oder gecovert werden, das gab es schon oft. Meist tauchten dann aber die Originalstars darin nicht persönlich auf. Das ist nun anders.»
Wer profitiert von wem?
Die Frage, die über derartigen Projekten steht, lautet, wer eigentlich von wem profitiert. Die Älteren, die ihre alten Hits oder ihren bekannten Namen dank einer Frischzellenkur aus der TikTok-Generation einmal mehr in Geld verwandeln können? Oder die Jungen, die die oft noch im analogen Zeitalter aufgebaute Gross-Prominenz der Älteren nutzen, um ein Publikum zu erreichen, das jenseits ihrer eigenen, manchmal sehr überschaubaren Blase liegt?
«Die Beteiligten an solchen Zusammenarbeiten adeln sich in gewisser Weise gegenseitig. Damit vergrössert man auch gegenseitig die Reichweite», sagt Wissenschaftlerin Hornberger. Besonders interessant ist es für ältere Künstler*innen, deren Bedeutung – despektierlich gesprochen – heute darauf fusst, dass sie einfach noch da sind. Die sogenannten Legenden. «Wenn sie sich dann aber vor einem jüngeren Künstler*innen und einem jüngeren Genre verneigen, dann ändert sich das. Dann ist man nicht mehr nur der Opa, der früher einen Hit hatte. Sondern der Typ, der heute noch etwas Angesagtes zu bieten hat», so Hornberger. Zudem dürfe man nicht vergessen, wie hart das Musikbusiness sei. «Ökonomisch ergibt es einfach Sinn, weil mehr Publikum angesprochen werden kann», sagt sie.
In Deutschland nimmt der Trend zu
Helene Fischer, Deutschlands grösster Musikstar und eigentlich immer da, wo der Erfolg zu Hause ist, brachte vor einigen Monaten ihren Hit «Atemlos» noch einmal heraus, nun mit bisexuellen Rapperin Shirin David (MANNSCHAFT berichtete). Die beiden Frauen trennen zwar nur rund zehn Jahre, gefühlt aber Welten.
Dieter Bohlen, ebenfalls immer mit einem Ohr am Gleis des Musikmarktes, ist sogar schon mehrfach aktiv geworden. Vor fünf Jahren brachte er zum Beispiel schon einmal eine Neufassung von «Cheri, Cheri Lady» heraus, damals mit dem Berliner Rapper Capital Bra.
In eine ähnliche Kerbe schlägt das Werk «Pech & Schwefel», das Schlagerrocker Matthias Reim («Verdammt, ich lieb dich») mit dem Rapper Finch aufgenommen hat. Im Begleitmaterial sieht man Reim auf einem Motorrad – und Finch im Beiwagen. Eine bestechende Symbolik.
Auch der Ex-Puhdys-Sänger Dieter Birr – genannt «Maschine», 80 Jahre alt und einer der erfolgreichsten Musiker mit DDR-Wurzeln – hat mit 80 Jahren den alten Puhdys-Hit «Das Buch» noch einmal mit Sängerin Nessi (34) eingesungen.
Fast schon prophetisch wirkt vor diesem Hintergrund die Zusammenarbeit von Rapper Bushido und Schlagersänger Karel Gott, der 2019 starb. Schon 2008 nahmen sie zusammen das Lied «Für immer jung» auf. Gott schmachtete darin mit seiner «goldenen Stimme aus Prag» die Zeile: «Für immer jung, ein Leben lang für immer jung.» Es ist der Zustand, den wohl jeder Musikstar gerne hätte.
Mehr: 13 Jahre nach ihrer Gründung löst sich die Gay-SVP wieder auf. Präsident Beat Feurer findet, LGBTIQ-Menschen seien nun in der Gesellschaft «weitgehend akzeptiert» (MANNSCHAFT berichtete).
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