Weniger MSM mit HIV neu infiziert, auch grössere Testbereitschaft
DAH zum HIV-Bericht des RKI: Erfolge ausbauen und Versorgungslücken schliessen!
Weniger HIV-Neuinfektionen, auch unter Männern, die Sex mit Männer haben (MSM) – aber die Prävention in Deutschland erreicht noch nicht alle Menschen. Die neue Bundesregierung muss Ankündigungen zur Verbesserung der Versorgung zügig umsetzen, fordert die Deutsche AIDS-Hilfe.
Die HIV-Neuinfektionen sind im Jahr 2020 in Deutschland deutlich zurückgegangen: von 2.300 im Jahr 2019 auf 2.000. Die Anzahl der geschätzten HIV-Neuinfektionen bei Männern, die Sex mit Männern haben (MSM) lag laut RKI im Jahr 2020 bei etwa 1.100, das ist ein Rückgang von 300 Neuinfektionen gegenüber dem Vorjahr.
Die Zahl der Menschen, die unwissentlich mit HIV leben, ist auf 9.500 gesunken – unter anderem dank verbesserter Testangebote. Zugleich könnte es noch weniger HIV-Infektionen und Aidserkrankungen geben, denn Schutzmöglichkeiten und medizinische Behandlung stehen noch nicht allen Menschen ausreichend zur Verfügung (MANNSCHAFT berichtete). Das ist die Essenz des Epidemiologischen Bulletins zum Thema HIV, das das Robert Koch-Institut am Donnerstag veröffentlicht hat.
«Auch wenn ein Teil davon mit Corona-bedingten Kontaktbeschränkungen zu tun haben dürfte, ist der Rückgang der Neuinfektionen ein Erfolg. Die HIV-Prophylaxe PrEP hat dazu ebenso beigetragen wie Testangebote, die zu frühen Diagnosen und Behandlungen von HIV-Infektionen führen. Diese erfolgreichen Wege müssen ausgebaut, Versorgungslücken geschlossen werden», sagt Sylvia Urban vom Vorstand der Deutschen Aidshilfe (DAH).
Vor allem die Testbereitschaft schwuler und bisexueller Männer in Grossstädten hat sich in den letzten Jahren verbessert. «Zu diesem Erfolg haben vielfältige gezielte Testangebote beigetragen. Es ist gelungen, mehr Menschen zu vermitteln, dass eine frühe Diagnose und Behandlung im Falle einer HIV-Infektion wichtig sind und die Möglichkeit eines gesunden und langen Lebens mit HIV eröffnen. Ermutigende Informationen zum HIV-Test und passgenaue Angebote für verschiedene Gruppen sind und bleiben ein essenzieller Bestandteil der Aidshilfearbeit», so Urban.
Trotz der Fortschritte hat dieses Anliegen aufgrund der weiterhin hohen Zahl an Spätdiagnosen nicht an Dringlichkeit verloren. Denn AIDS ist heute bei rechtzeitiger Diagnose vermeidbar. Und frühe Diagnosen sind auch deswegen wichtig, weil HIV unter Therapie auf sexuellem Wege nicht mehr übertragbar ist.
Seit September 2020 ist die PrEP für Menschen mit hohem HIV-Risiko eine Leistung der gesetzlichen Krankenkassen. Wie genau sich das auf das Infektionsgeschehen ausgewirkt hat, kann das RKI nicht beziffern. Da PrEP aber eine sehr zuverlässige Schutzmethode für Menschen mit hohem Risiko ist, steht ausser Frage, dass der Einsatz Infektionen verhindert hat. Das Potenzial der PrEP sei dabei noch nicht ausgeschöpft.
«Wir brauchen unter anderem mehr Praxen und Ambulanzen abseits der Ballungszentren, die PrEP verordnen und mehr Offenheit für diese Schutzmöglichkeit. Nicht alle Menschen, die sich mit PrEP schützen könnten, haben Zugang und sind mit dieser Möglichkeit bereits vertraut. In der Prävention werden wir noch breiter auf potenzielle Nutzer*innen zugehen», erklärt Sylvia Urban.
Die Zahl der Menschen, die sich durch intravenösen Drogenkonsum mit HIV infiziert haben, ist laut RKI-Bericht weiter leicht gestiegen und lag 2020 bei 370 Fällen. Anlass zur Sorge gibt die Nachricht des Robert Koch-Instituts, dass intravenös Drogen konsumierende Menschen nicht überall Zugang zu sterilen Spritzen und Konsumutensilien haben. Demnach ist die Finanzierung nicht überall gesichert.
«Versorgungslücken bei der Spritzenvergabe zeigen, wie stark die kommunale Drogenhilfe vielerorts unterfinanziert ist», so Sylvia Urban. «Wenn seit Jahrzehnten erfolgreiche Massnahmen zum Schutz vor HIV, Hepatitis und anderen Gesundheitsrisiken nicht mehr funktionieren, muss sofort Abhilfe geschaffen werden. Der Mangel führt unmittelbar zu vermeidbaren Infektionen!» Darüber hinaus sollten sterile Spritzen endlich auch in Gefängnissen verfügbar werden.
Nicht zuletzt empfiehlt das RKI einen geordneten Zugang zu einer angemessenen HIV-Behandlung für alle Menschen in Deutschland. Heute werden Menschen ohne Aufenthaltspapiere durch die so genannte Übermittlungspflicht oft davon abgehalten, medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen, weil sie sonst ihre Abschiebung fürchten müssten.
Im Koalitionsvertrag steht dazu: «Die Meldepflichten von Menschen ohne Papiere wollen wir überarbeiten, damit Kranke nicht davon abgehalten werden, sich behandeln zu lassen.»
Ausserdem: «Wir werden für Menschen mit ungeklärtem Versicherungsstatus, wie insbesondere Wohnungslose, den Zugang zur Krankenversicherung und zur Versorgung prüfen und im Sinne der Betroffenen klären.»
Dazu DAH-Vorstand Sylvia Urban: «Diesen Ankündigungen müssen nun dringend konkrete Taten folgen. Es geht um Leben und Gesundheit der betroffenen Menschen, aber auch darum, weitere HIV-Infektionen zu verhindern. Die neue Bundesregierung muss hier so schnell wie möglich Lösungen schaffen – ein Modell für die Versorgung dieser Menschen ist seit vielen Jahren überfällig.»
Zugleich ging die Zahl der Menschen, die bei der HIV-Diagnose bereits Aids oder einen schweren Immundefekt hatten, von 1.100 in 2019 auf 900 Fälle in 2020 zurück.
UNAIDS hatte für das Jahr 2020 das Ziel ausgerufen, dass weltweit 90 Prozent der Menschen mit HIV diagnostiziert sein sollten, davon 90 Prozent in Behandlung und davon wiederum 90 Prozent so effektiv, dass HIV nicht mehr nachweisbar ist. Dieses Ziel hat Deutschland erreicht: Mit 90 Prozent Diagnosen, 97 Prozent Behandlungs- und 96 Prozent Erfolgsquote. Für das Jahr 2025 hat UNAIDS 95-95-95 als neues Etappenziel ausgegeben.
Eine Steigerung früher Diagnosen wurde möglich, obwohl in Covid-Zeiten viele Testangebote in Gesundheitsämtern nicht zur Verfügung standen und die Checkpoints der Aidshilfen unter erschwerten Bedingungen arbeiteten. Das RKI empfiehlt nun zusätzlich zu den bestehenden Angeboten eine «aktivere Bewerbung von HIV-Einsende- und HIV-Selbsttests», auch um Testlücken abseits der Grossstädte zu schliessen. Mit dem Kooperationsprojekt s.a.m health hat die Deutsche Aidshilfe gerade eine innovative Form von Einsendetests auf HIV und Geschlechtskrankheiten etabliert. Mit wenig Aufwand von zu Hause aus und unabhängig von Kontaktbeschränkungen können Nutzer*innen ihre Proben per Post einschicken. Rund 700 Menschen machen davon bereits pro Monat Gebrauch – Tendenz steigend.
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