Was passiert mit homophoben Kommentaren?
Sie sind der Schauplatz der hässlichsten Gedanken einer Gesellschaft: Die Leserkommentare einer x-beliebigen Medienplattform im Internet. Mannschaft Magazin hat versucht, sich einen Überblick über das Zensurverhalten einer Handvoll Schweizer Medien zu verschaffen. Zu einem eindeutigen Schluss zu kommen ist jedoch gar nicht so einfach.
Sich abschätzig über andere Bevölkerungsgruppen auszudrücken ist keineswegs ein neues Phänomen. Nur spielte sich das vor dreissig Jahren noch hinter vorgehaltener Hand ab. Dank Internet kann man sich heute mit einigen Tastaturschlägen die persönliche Meinung über Ausländer, Schwule und Asylanten von der Seele schreiben und per Mausklick auf der Pinnwand oder in der Leserkommentarspalte irgendeines Newsportals publizieren lassen.
Richtlinien sind möglich, Kontrolle auch? Mit dem Ziel, Onlinekommentare von SRF, Blick, Tages-Anzeiger und Watson auf homophobe Inhalte zu kontrollieren, gerät man schnell in eine Sackgasse. Ist ein Kommentar, in dem sich ein User über die Zelebrierung der Homosexualität aufregt, ein homophober Kommentar? Wie sieht es aus mit einem User, der sich gegen das Adoptionsrecht von gleichgeschlechtlichen Paaren ausspricht? Noch immer ist es gleichgeschlechtlichen Paaren in der Schweiz rechtlich untersagt, Kinder zu adoptieren. Die Angelegenheit wird in den kommenden Jahren ein heisses Eisen bleiben. Sich in der politischen Debatte gegen das Adoptionsrecht für Homosexuelle zu stellen bleibt demnach Meinungsfreiheit, auch wenn dies für Befürworter einer Diskriminierung der Menschenrechte gleichkommt.
Schwule «quälen» Kinder: Für SRF «unproblematisch» Einen grenzwertigen Kommentar publizierte das Onlineportal des Schweizer Radio und Fernsehen SRF zum Beitrag «Patrick Rohr: Rührende Liebeserklärung an seinen Ehemann» vom 6. November. Ein User namens M. Roe aus Gwatt schreibt: «Dass zwei Männer heiraten und dann noch Kinder haben sollten, ist das Absurdeste, was man sich im Leben vorstellen kann. Die Männer diskriminieren damit Frauen und quälen Kinder, die mit zwei Männern aufwachsen sollen.» Andrea Wenger, Leiterin Media Relations, sagt auf Anfrage zur Mannschaft: «Alle publizierten Kommentare wurden vor der Freischaltung von zwei Redaktoren auf ihren Inhalt geprüft und für unproblematisch befunden.» Sie fügt hinzu, dass beim Beitrag zu Patrick Rohr dutzende Kommentare wegen Verstössen gegen die «Netiquette» (wie das SRF sinnigerweise ihre Richtlinien nennt) nicht freigegeben wurden.Gemäss «Netiquette» von SRF sind ehrverletzende Beiträge oder solche mit rassistischen, diskriminierenden, sexistischen, pornografischen oder gewaltverherrlichenden Inhalten untersagt. Obwohl homophobe Inhalte gemäss Wenger ebenfalls nicht geduldet werden, ist das Wort in der «Netiquette» nicht aufgeführt. Es sei in absehbarer Zeit auch nicht geplant, «homophob» in der «Netiquette» aufzunehmen, so Wenger telefonisch gegenüber der Mannschaft.
Facebookseite von Blick.ch passt AGBs an Anders bei der Facebookseite von Blick.ch: Am 17. November berichtete das Boulevardblatt über die Hochzeitspläne von «Divertimento»-Star Jonny Fischer und seinem Freund Michi. Auf der Facebookseite von Blick.ch erhielt der Beitrag über 400 Likes, und zahlreiche User beglückwünschten das Paar. Neben den vielen positiven Kommentaren gab es jedoch zahlreiche diskriminierende Bemerkungen, die eindeutig unter die Gürtellinie zielten. Blick.ch reagierte zwar richtig, aber zu langsam. Erst nach einem Tag waren die betreffenden Kommentare gelöscht und die dafür verantwortlichen User von der Seite verbannt, wie Blick.ch auf der Facebookseite kommuniziert. Mit dem Vorschlag, homophobe Inhalte in den AGBs zu verbieten, wandte sich die Mannschaft an Claudio Candinas, Social-Media-Verantwortlicher von Blick.ch. Mit Erfolg: Neu sind nebst obszönen, ausfälligen, belästigenden, bedrohenden sexistischen und rassistischen Einträgen auch homophobe verboten. «Ich spreche für das ganze Unternehmen, wenn ich sage, dass wir homophobe Kommentare genauso wenig tolerieren wie andere unsittliche Beiträge», so Candinas gegenüber der Mannschaft. «Somit ist es selbstverständlich – wenn auch traurig – dass wir diesen Zusatz aufnehmen. Schliesslich appellieren wir an eine erwachsene, offene und respektvolle Diskussionskultur auf unseren Portalen. Und dort hat Homophobie schlichtweg keinen Platz!» Dass der Zusatz für homophobe Kommentare in den AGBs bisher nicht enthalten war, sei letztlich damit zu erklären, dass die Redaktion noch nie in einem solchen Ausmass von homophoben Kommentaren konfrontiert worden sei wie beim Beitrag über Jonny Fischer. Candinas bedauert, dass aufgrund der Menge der unsittlichen Kommentare auch Nachrichtengruppen gelöscht werden mussten, in denen sich auch positive Kommentare befanden.
20 Min: Keine Kommentarfunktion mehr Schwulenfeindliche Kommentare sind auf Anfrage der Mannschaft beim Nachrichtenportal watson.ch kein Thema und gemäss Redaktionsleiter Franz Ermel «Einzelfälle». Auch beim Tages-Anzeiger machen gemäss Onlineredaktor Jan Rothenberger homophobe Kommentare unter den gelöschten Leserkommentaren einen Bruchteil aus: «Rassismus beispielsweise treffen wir öfter an». Sowohl bei watson.ch als auch beim Tages-Anzeiger ist es vorerst kein Thema, homophobe Inhalte in den AGBs ausdrücklich zu verbieten. Ein grösseres Thema ist Homophobie hingegen bei 20 Min. Laura Hüttenmoser, Ressortleiterin Community, schätzt, dass bei einem Artikel zum Thema Homosexualität rund ein Drittel aller Leserkommentaren gelöscht werden müssen. Die Flut an homophoben Kommentaren sei so gross, dass die Kommentarfunktion bei homosexuellen Themen gar nicht erst freigeschaltet werde. «Bei Artikeln, die sich mit Homosexualität oder homosexuellen Protagonisten beschäftigen, haben wir leider die Erfahrung gemacht, dass es viele problematische Kommentare gibt», so Hüttenmoser zur Mannschaft. «Die Mehrheit ist zwar anständig, aber es gibt trotzdem noch viele Idioten, die nicht mitbekommen haben, dass wir im 21. Jahrhundert leben und ihre beleidigenden Ansichten nicht erwünscht sind. Das gilt für Berichte zu Homosexualität genauso wie bei solchen zu Flüchtlingen oder Kriegen.» Auch bei 20 Min werden die AGBs in absehbarer Zeit nicht angepasst, wie Hüttenmoser bestätigt: «Homophobe Kommentare sind beleidigende Kommentare, daher werden diese gemäss unseren jetzigen Richtlinien bereits gelöscht.» Es ist ein schmaler Grat zwischen Meinung und Beleidigung, Meinungsfreiheit und Diskriminierung. Eine klare Linie gegen Diskriminierung und Diffamierung zu vertreten ist das eine, die konsequente Moderation von Leserkommentaren das andere. Der zitierte Leserkommentar auf SRF.ch ist fehl am Platz und Blick.ch hat mit einer 24-stündigen Reaktionszeit eindeutig zu spät reagiert. Die besten AGBs nützen nichts, wenn sie nicht konsequent durchgesetzt werden.
Dieser Artikel erschien in der Dezember-Ausgabe 2014 von Mannschaft Magazin.
[infobox title=’Update‘]Nach Erscheinen dieses Artikels macht Michael Tappeiner von der Tamedia Verlagsleitung unsere Redaktion darauf aufmerksam, dass die Online-AGBs von Tamedia homophobe Äusserungen wortwörtlich untersagen. «Diesbezüglich war Tamedia das erste grössere Medienhaus der Schweiz, welche eine entsprechende Formulierung aufgenommen hatte», so Tappeiner. Dass in den Kommentarregeln bei 20Min und Tages-Anzeiger homophobe Inhalte nicht erwähnt seien, hänge damit zusammen, dass es sich hierbei um eine verkürzte Version der Tamedia AGBs handle.[/infobox]
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