PrEP – «Weil niemals alle Schwulen beim Sex Kondome nutzen»
Seit einem Jahr wird die HIV-Prophylaxe in Deutschland von den gesetzlichen Kassen übernommen
Seit einem Jahr wird die PrEP von den gesetzlichen Kassen in Deutschland übernommen. Bis Juni 2020 wurden rund 60.000 Packungen an Arzneimitteln mit der Wirkstoffkombination Tenofovirdisoproxil/Emtricitabin abgegeben, teilte das Gesundheitsministerium auf MANNSCHAFT-Anfrage mit. Mit dem Hamburger HIV-Aktivisten Nicholas Feustel ziehen wir Bilanz und schauen, was die Zukunft bringt.
«Dass die PrEP von der Krankenkasse bezahlt wird, ist eine gute Idee, weil sie eines der vielen Bausteine in unserem Präventionsbaukasten ist – ein sehr erfolgreicher Baustein», sagt Feustel. «Dadurch dass die Kosten übernommen werden, kann man sie möglichst vielen Menschen zugänglich machen.» Bei der Präexpositionsprophylaxe handelt es sich um eine Betreuung und Medikamentenabgabe an Menschen, die nicht mit HIV infiziert sind, aber einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind, daran zu erkranken.
Positiv bewertet er nach einem Jahr PrEP auf Rezept die weitere Normalisierung von PrEP in der für Deutschland wichtigen Hauptzielgruppe der schwulen Männer. Es sei schliesslich Realität, dass niemals alle Schwulen beim Sex Kondome nutzten.
«Diese Grundsatzdiskussion, wie es sie in Foren oder bei Facebook oft gab, ob PrEP eine gute oder schlechte Idee ist – das ist weniger geworden. Oft wurde die Diskussion ja ziemlich moralisch geführt. Es sind heute nicht mehr diese Grabenkämpfe, die noch 2019 stattgefunden haben.» Von allen, die in der HIV-Präventionswelt arbeiten, dürften jetzt die allermeisten an Bord sein, glaubt Feustel.
«Ob alle Ärzt*innen, die die PrEP verschreiben dürfen, auch davon überzeugt sind, weiss ich nicht. Da höre ich noch manchmal sehr abenteuerliche Geschichten.» So wurde vereinzelt in Foren berichtet, dass sich Ärzt*innen mit Verweis auf Corona weigerten, die PrEP zu verschreiben. «Da hiess es dann: Du sollst doch sowieso das Haus nicht verlassen und keinen Sex haben, deshalb verschreibe ich dir auch keine PrEP.»
Tatsächlich gebe es auch Ärzt*innen, die die PrEP nur mit einem Zähneknirschen verschreiben oder ihre Ablehnung entsprechend vermitteln. «Da ist dann die Frage: Wie oft hat der PrEP-Nutzer Bock darauf, immer mit dem Gefühl aus der Praxis zu gehen, er mache etwas moralisch Verwerfliches. Die Konsequenz ist dann vielleicht: Dann mache ich es eben nicht mehr, ist mir zu blöd.»
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Dazu kommen anderen Hürden. Denn wer privat krankenversichert ist, muss selber zahlen. Eine Übersicht, welche Kassen die PrEP übernehmen, gibt es nicht. «Einige tun es aus Kulanz. Aber es ist immer unterschiedlich und wohl auch einzelfallbezogen», sagt Feustel. «Die Kassen hängen das auch nicht an die grosse Glocke. Die privaten sind eben nicht dazu verpflichtet.»
Und was die Kostenübernahme bei der gesetzlichen Versicherung angeht: Verschreiben dürfen die PrEP nur bestimmte Ärzt*innen, nach einer gewissen Fortbildung zum Thema. Wie auf dem Online-Portal der Ärztezeitung nachzulesen ist, muss eine Genehmigung der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung (KV) gemäss der Qualitätssicherungsvereinbarung HIV / Aids vorliegen oder alternativ etwa «eine mindestens 16-stündige Hospitation in einer ambulanten oder stationären Einrichtung zur medizinischen Betreuung von HIV- / Aids-Patienten, die unter der Leitung eines Arztes mit PrEP-Genehmigung der KV steht und jährlich regelmässig durchschnittlich 50 HIV- / Aids-Patienten pro Quartal medizinisch betreut».
Das wundere ihn nach wie vor, sagt Feustel. «Die PrEP zu verschreiben, das ist jetzt nicht Rocket Science. Dafür gibt es gute und klare Leitlinien. Und durch diese Einschränkung ergeben sich immer noch regionale Versorgungslücken. Da findest du manchmal meilenweit niemanden, der die PrEP auf Rezept verschreiben darf.»
Eine Zeitlang hat er solche Klagen aus dem Raum Karlsruhe gehört; da habe es nur eine Praxis gegeben, wo man die PrEP bekam. «Andernorts waren die wenigen Praxen schon vor Corona sehr überfüllt; man hatte teils Wartelisten von drei bis sechs Monaten, bis man mit seiner PrEP anfangen konnte. Und derjenige, dem sie geholfen hätte, ist bis dahin vielleicht schon positiv.“
Es gebe auch noch immer ein uneinheitliches Prozedere bei den Ärzt*innen, etwa was die regelmässigen Tests auf sexuell übertragbare Infektionen (STI) angeht. «Ich höre immer wieder, es würden keine Rektalabstriche gemacht werden – die sind wichtig, um Gonokokken- und Chlamydieninfektionen zu erkennen. Das ist insgesamt noch ein Flickenteppich – das könnte besser werden.»
Ein Argument gegen die PrEP war immer, dass durch das Weglassen von Kondomen dadurch die Verbreitung anderer STIs steigen, etwa von Syphilis und Tripper. «Die aktuellen Zahlen sind aber wegen Corona sehr verzerrt. Es gibt gerade kein repräsentatives Bild», sagt Feustel.
Laut Robert Koch-Institut ist die Zahl der Syphilis-Infektionen von Januar bis Juli bundesweit von rund 3400 auf rund 3200 gesunken. In einigen Bundesländern aber ist die Zahl im selben Zeitraum gestiegen, etwa in Berlin von 651 auf 690.
Die dpa berichtete kürzlich, dass der Berliner Arzt Sven Schellberg einen Syphilis-Anstieg um rund 30 Prozent beobachte. «Während der Corona-Zeit hat die Zahl der Erkrankungen zugenommen, für die man etwas längere Kontakte braucht», erklärte Schellberg angesichts des bevorstehenden Welttages Sexuelle Gesundheit am 4. September. Man träfe sich nicht mehr zu Quickies, «sondern eher im kleinen Kreis von fünf bis zehn Personen» und verbringe mehrere Stunden zusammen. Problem: Längere Sexualkontakte begünstigten die Übertragung der Syphilis, so der Arzt aus Berlin-Mitte.
Wirbel um Studie: Steigt mit PrEP Risiko für Syphilis und Co.?
HIV-Aktivist Feustel würde es begrüssen, wenn in Deutschland auch eine anlassbezogene PreP verschrieben werden würde. «Bisher gibt es die PrEP nur für die tägliche Einnahme. Die anlassbezogene PrEP könnten zumindest cisgender MSM gut nehmen, zu deren Sexualverhalten die tägliche PrEP nicht passt. Das alternative Einnahme-Schema ist vielleicht etwas komplexer, das muss dann eben gut erklärt werden.»
Die Zukunft könnte auch andere Neuerungen bringen. Zum einen dank einer Weiterentwicklung der Wirkstoffe, die weniger Auswirkungen auf Nieren und Knochendichte haben – zu den bekannten Nebenwirkungen gehört auch Durchfall, Übelkeit und Schwindelgefühl.
Spritze statt Tablette? Und bereits getestet werde die sogenannte Injectable PrEP – die PrEP als Spritze und mit Depotwirkung. «Die Studien sind abgeschlossen, da könnte es zur Zulassung kommen. Man muss schauen, wir gross der Bedarf ist.» Der Vorteil sei hier, dass man nicht mehr jeden Tag eine Tablette nehmen muss, sondern nur noch alle zwei Monate eine Spritze vom Arzt bekommt.
«In etwas weiterer Ferne liegt die PrEP als Implantat, das etwa streichholzgross ist und unter der Haut eingesetzt wird. Bis zu einem Jahr wird der Wirkstoff in den Körper abgegeben.»Diese Variante gebe es schon bei der Schwangerschaftsverhütung.
Des weiteren gibt es für Frauen die HIV-Prophylaxe als Vaginalring, die aber wohl nicht in Deutschland zugelassen werde, so Feustel. Der Ring lasse sich günstig und zahlreich herstellen, doch in Europa dürfte der potenzielle Markt zu klein sein. «Der Ring hat etwa die Grösse eines zusammengerollten Kondoms und wird vaginal eingeführt, wo es dann ein paar Wochen bleibt. So soll die HIV-Übertragung vom Mann auf die Frau verringert werden.» Zielmarkt sie die Subsahara-Zone in Afrika. Im Jahr 2018 starben in der Region rund 470.000 Menschen an AIDS und den damit einhergehenden Erkrankungen wie etwa Tuberkulose.
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Das Gute an den Weiterentwicklungen, so Feustel: «Es gibt immer mehr Optionen. Jede*r, der oder die von PrEP profitieren könnte, findet eine geeignete Möglichkeit, sich zu schützen.»
Nach ersten Pilotversuchen in einzelnen Städten will China Truvada im ganzen Land zugänglich machen. Ein wichtiger Erfolg für chinesische LGBTIQ-Aktivist*innen, die nun hoffen, dass die PrEP nicht zu teuer wird (MANNSCHAFT berichtete).
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