«Shwule Grüsse vom Balkan» (31) – Rio calling

Jascha wird befördert

Foto: Claudio Luiz Castro/Unsplash
Foto: Claudio Luiz Castro/Unsplash

Neues aus unserer Kolumne «Shwule Grüsse vom Balkan»: Jascha wollte eigentlich bloss die Pizza ausliefern. Aber mit einem Schlag von hinten endete die letzte Folge abrupt.

Was bisher geschah … 

Nach dem Schlag in den Nacken kommt Jascha langsam zu sich. Er findet sich auf einem dicken Ledersessel in einem grossen Salon wieder. An Händen und Füssen gefesselt, öffnet er seine Augen. Sein verschwommener Blick fällt auf einen Mann in einem dunklen Anzug. «Wie war Ihr Nickerchen, Herr Kokot?», fragt ihn der unbekannte Mann, dessen Stimme Jascha beim Eintreten in die Villa vernommen hat, bevor er niedergestreckt wurde.

Jascha kennt diese Stimme. Sie gehört Jorge de la Verga, dem CEO von Alpminera, einem internationalen Rohstoffkonzern mit Sitz in der Schweiz und Sponsor der Fussballnationalmannschaft. Alens Nationalmannschaft. Bei den Recherchen rund um Alens HIV-Infektion ist Jascha über eine brisante Geschichte des Sponsors gestolpert: Jorge de la Verga war damals in blutige Geschäfte mit Warlords im Kongo verwickelt. Für den Rohstoff-Deal kamen Hunderte Minenarbeiter um, als diese sich gegen die Warlords und Alpminera auflehnten. Doch diese Geschichte durfte Jascha nicht weiter verfolgen – auf Anweisung der Verlagsleitung: Alpminera hatte zu diesem Zeitpunkt ein millionenschweres Anzeigenpaket bei mehreren Medien des Verlags gebucht. Dabei wäre genau das die Story gewesen, um den Durchbruch als Journalist zu machen.

«Endlich treffen wir uns mal persönlich», fährt de la Verga fort. «Was soll das hier? Warum halten Sie mich fest?», fragt Jascha angespannt. «Möchten Sie auch einen?» De la Verga bietet Jascha einen Cognac an. «Dauert das hier länger? Dann ja.» Jaschas patzige Antwort amüsiert de la Verga: «Ich sehe schon, Sie haben Humor. Hier, bitte.» De la Verga reicht Jascha den Cognac, nachdem er einem seiner Wachleute im Salon zugenickt hat, Jaschas Handfesseln zu lösen. Jascha nippt an seinem Cognac: «Ich nehme an, Sie haben mich nicht niederschlagen lassen, damit wir zusammen einen Cognac trinken. Was wollen Sie also von mir?» «Sagen wir es so: Ich möchte Ihnen ein Angebot machen.»

De la Verga setzt sich Jascha gegenüber in einen anderen Ledersessel: «Es geht um die unschöne Sache, die sich in Kongo ereignet hat.» «Unschöne Sache? Sie meinen den Massenmord an den Minenarbeitern, den Ihre Warlords verübt haben?» Jascha blickt angewidert zur Seite, als de la Verga nochmals zu seinem Angebot ansetzt: «Eben, die unschöne Sache, habe ich doch gesagt. Glauben Sie mir, mir wäre es lieber gewesen, wenn es keine Toten gegeben hätte. Allerdings haben Sie Kenntnis davon und arbeiten nicht mehr für Ihren Verlag wegen der Falschberichte. Es wäre ein Leichtes, Ihre Recherchen anderen Medien zu verkaufen, nicht wahr? Das wäre um einiges lukrativer als Ihre Pizzakurier-Karriere.»

«Das mag sein. Aber wer soll mir nach den Falschberichten noch glauben? Ich werde journalistisch nie wieder Fuss fassen können.» In Jaschas Augen macht sich Resignation breit. «Nicht doch … Sie sind ein talentierter Mann, Herr Kokot. Sie haben bisher bloss ein paar falsche Entscheidungen getroffen. Aber damit können Sie hier und jetzt Schluss machen: Ich suche für mein Team jemanden mit ihren Fähigkeiten, der, sagen wir es mal so, den Mitbewerbern von Alpminera auf den Zahn fühlt.»

Jascha lacht und schüttelt ungläubig den Kopf. «Was sagen Sie dazu? Der Job ist sehr gut bezahlt, alle Spesen sind inbegriffen: Die Kosten für Ihre drei Apartments in Zürich, Peking und Rio, sämtliche Reisekosten, natürlich First Class, und was Sie sonst noch für Ihre Arbeit brauchen.» De la Verga umgarnt Jascha, der sich im falschen Film wähnt: «Sie wollen, dass ich Industriespionage für Sie betreibe? Warum sollte ich Ihr Angebot annehmen?» De la Verga steht auf und geht zur Bar, wo er sich einen weiteren Cognac süffisant lächelnd einschenkt: «Ich schätze, Sie können mein Angebot gar nicht ablehnen.»

De la Verga gibt erneut einem seiner Wachleute ein Zeichen, Jascha eine Mappe zu geben. Jascha öffnet die Mappe. Sein Gesicht versteinert sich. In der Mappe sind mehrere Bilder, auf denen seine Eltern zu sehen sind: Mal sind sie beim Einkaufen, mal in einem Restaurant oder dann wieder auf dem Weg ins Theater. «Sie beschatten meine Eltern und wollen mich für den Job erpressen, weil Sie meinen Eltern sonst was antun, stimmt’s?»

«Sehen Sie: Ich habe doch gesagt, dass Sie ein talentierter Mann sind und sehr gut kombinieren können». De la Verga lächelt Jascha an, wie es vermutlich der Teufel täte, wenn ihm jemand seine Seele verkaufen würde.

Jascha überlegt nicht lange und stimmt dem Angebot zu: «Und für wie lange soll ich diesen Job machen?» «Für mindestens ein Jahr. Das brauchen Sie, um genügend Informationen zu beschaffen. Danach schauen wir weiter. Und keine Bange: Nach diesem Jahr haben Sie die Wahl, ob Sie freiwillig bleiben oder weiterziehen – ganz ohne Nebenbedingungen.» De la Verga nippt wieder an seinem Cognac und ergänzt: «Der Vertrag liegt übrigens auch in der Mappe. Sie brauchen ihn nur zu unterzeichnen.»

Jascha überfliegt den Vertrag, stockt kurz bei der Lohnsumme, die sonst nur Cracks bei Techgiganten verdienen, und unterzeichnet ihn. De la Verga tut es ihm gleich und übergibt ihm eine Kopie des Vertrags: «Herzlich willkommen an Bord von Alpminera – stossen wir auf unsere erfolgreiche Zusammenarbeit an!» Beide stossen an. Jascha leert sein ganzes Cognacglas.

«Eine Sache noch», de la Verga wird wieder ernst, «Sie dürfen keiner Seele erzählen, in welcher Funktion Sie bei mir arbeiten. Offiziell sind Sie mein persönlicher Assistent, der für mich Termine und Events weltweit managt. Ausserdem geht in zwei Stunden Ihr Flug nach Rio für Ihren ersten Einsatz. Meine Männer bringen Sie zum Flughafen und statten Sie mit dem Nötigsten aus. Ihre Kündigung beim aktuellen Arbeitgeber haben wir gegen eine grosszügige Entschädigung auch schon vorgenommen.»

*Wir schreiben in dieser Kolumne «shwul» statt «schwul», um den Balkan-­Slang wiederzugeben. Weitere Hintergründe zur Kolumne «Shwule Grüsse aus dem Balkan» erfährst du im Interview mit dem Autor Predag Jurisic

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