Sachsen wählt: «Schlimmstenfalls muss man den Laden zumachen»
Was blüht der queeren Community?
Am Sonntag wird in Sachsen gewählt. Was queerpolitische Vorhaben betrifft, so zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen den Parteien.
Der LSVD Sachsen ruft dazu auf bei der Landtagswahl Parteien zu wählen, die sich ernsthaft für die Sicherheit und Freiheit von queeren Menschen einsetzen. Der LSVD hat im Vorfeld der Wahl die queerpolitischen Positionen der kandidierenden Parteien ausgewertet. Die Ergebnisse bieten Wähler*innen eine Orientierungshilfe, welche Parteien sich für die Rechte und Belange von LSBTIQ*-Personen einsetzen und welche eine diskriminierungsfreie und inklusive Gesellschaft fördern.
«Gerade in Zeiten, in denen Hass und Hetze gegen queere Menschen zunehmen und rechtsextreme sowie populistische Kräfte, teils unterstützt durch internationale Akteure wie Russland, an Einfluss gewinnen, ist es wichtiger denn je, mit unserer Stimme für eine offene und solidarische Gesellschaft einzutreten», so Ahmed Bejaoui aus dem Vorstand des LSVD Sachsen. «Unsere Analyse zeigt deutliche Unterschiede zwischen den Parteien. Nur wer sich für eine konsequente freiheitliche Queerpolitik ausspricht, will realen Fortschritt und Gleichberechtigung für alle Menschen.»
Bejaoui weiter: «Es geht nicht nur darum, wer regiert, sondern auch, wie wir als Gesellschaft miteinander leben wollen – und ob wir uns einer zunehmenden Radikalisierung entgegenstellen.»
MANNSCHAFT hat beim Queeren Netzwerk Sachsen nachgefragt, die Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) ist der Dachverband der sächsischen LGBTIQ-Organisationen. Im Freistaat machten sich Queers natürlich Sorgen, aber das sei keinesfalls neu. «Sachsen ist ein konservatives Bundesland mit einer Hardliner-CDU. Schon bei den letzten Landtagswahlen wurde ein starkes Wahlergebnis der AfD antizipiert – und es hat sich bestätigt, sie wurde zeitstärkste Partei hinter der CDU. Die Zustimmung für die AfD in der Bevölkerung hat sich aber in den letzten 5 Jahren verstärkt – derzeit beobachtet man ja das Kopf-an-Kopf Rennen beider Parteien. Sicher sind wir uns jedoch, dass die AfD keinen Ministerpräsidenten stellen wird und auch nicht als Koalitionspartner in Frage kommt. Die Angst kommt dann ins Spiel, wenn man an die Verluste von Fördergeldern denkt, man im Laden einkürzen oder ihn schlimmstenfalls zu machen muss.»
Vor allem aber werde das normale Leben queeren Menschen in Sachsen erschwert. «Wir wissen, es war nie leicht hier in Sachsen (gerade im ländlichen Raum) und grosse Verbesserungen der Lebenslagen queerer Menschen sind in Sachsen in den letzten 5 Jahren nicht eingetreten. Gerade aber werden Sicherheit und Sichtbarkeit hart gegeneinander ausgespielt. Immer mehr kleine und mittelgrosse Städte zeigen Flagge, es spriessen viele kleine CSDs außerhalb der grossen Städte aus dem Boden. Man sieht also, queere Menschen wollen ihre Existenz nicht mehr verstecken und das ist ein grossartiges Zeichen!»
Gleichzeitig, und auch nicht erst in Form von Angriffen und Gegenprotesten bei CSDs durch Nazis (MANNSCHAFT berichtete), werde dieses Erstarken durch einen rechtskonservativen Backlash unterminiert. «Das heisst, dass nicht nur Menschen, die unsere Existenz ablehnen, gegen uns aufmarschieren, sondern auch Unverständnis und Ablehnung seitens politischer Kräfte (Gender-Verbote der CDU), der Medien (verzerrte Debatte um das Selbstbestimmungsgesetz) und Teile der Bevölkerung (erhebliche Zunahme gruppenbezogen menschenfeindlicher Einstellungen) zu spüren ist.»
Wenn man hier nicht mehr leben und arbeiten kann, ist das ein absolutes Armutszeugnis für unser Bundesland.
Wenn das dazu führe, dass Menschen wegziehen möchten, sei das jeweils eine ganz individuelle Entscheidung, die auch wohl nicht nur queere Menschen betreffe. «Wenn man hier nicht mehr leben und arbeiten kann, ist das bitter und ein absolutes Armutszeugnis für unser Bundesland.»
Mittelalte schwule Cis-Männer dürften sich insgesamt weniger bedroht fühlen als junge, nicht-binäre Menschen, einfach weil sie im öffentlichen Diskurs mehr angekommen sind und ihre Rechte (etwa bei der Ehe für alle) etablierter sind als bei jüngeren Gesetzesänderungen wie dem SBGG. «Gleichzeitig sind jüngere queere Menschen durch die Nutzung von Social Media vulnerabler, da Hasskommentaren im Netz ausgesetzt.»
Gleichzeitig spüre man aber auch viel positive Kraft, es gebe «Trotz und Gegenwind gegenüber dem Erstarken der Rechten. Das ist gut und wichtig und auch manchmal nur machbar, wenn man gut organisiert und sozial stabil eingebunden ist. Nicht jede*r von uns hat das.»
Was die Zukufnt des LAG angeht: «Sowohl wir als Dachverband als auch unsere Mitgliedsverbände werden zum Teil noch ein bis zwei Jahre in die kommende Legislatur hinein gefördert. Zum anderen laufen auch viele Projekte Ende dieses Jahres aus. Wer gerade hiervon betroffen ist, sieht sich angesichts der Wahlen und des zu verhandelnden Doppelhaushalts 2024/2025 in einer prekären Lage, da überhaupt nicht sicher ist, ob im nächsten Jahr Gelder zur Verfügung stehen. Aber auch die noch abgesicherten Träger befürchten, dass eine mögliche neue Regierung wie aus BSW und CDU bereits gemachte Haushaltsentwürfe umschmeisst und auch dort den Rotstift ansetzt.»
Auch gehe das LAG davon aus, dass der neu verabschiedete Landeshaushalt nicht vor Mitte nächsten Jahres zu erwarten sei. Das bedeute, «dass auch hier nur mit Abschlagszahlungen Projekte begonnen werden können oder wenn Träger die Arbeit aus Rücklagen vorfinanzieren können. Ist das nicht der Fall, kann man schlichtweg nicht mit der Arbeit beginnen.» Als Folge drohten Arbeitslosigkeit und die Abwanderung von Personal.
Sachsen Ministerpräsident Kretschmer soll sich «laut gegen Queerfeindlichkeit» aussprechen. Der CDU-Politiker hält den CSD für eine Party (MANNSCHAFT berichtete).
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