«Glühendes Feuer»: Ein sehr schwuler Blick auf die Feuerwehr
Mit einer Netflix-Serie und einem Hollywoodfilm startet der Mexikaner Polo Morín nach dem Zwangsouting neu durch
Die Karriere des mexikanischen Schauspielers Polo Morín erlebte nach einem Zwangsouting 2016 einen Absturz. Jemand hatte ihn erst erpresst, Masturbationsaufnahmen aus einer Webcam-Session veröffentlicht und dann Bilder von Morín und seinem Freund auf Facebook gepostet. Jetzt erlebt der 31-Jährige ein Comeback – und zwar global.
Von der Welt der südamerikanischen Telenovelas bekommt man ja in Europa oft nicht viel mit, es sei denn Netflix übersetzt eine entsprechende Serie und bietet sie einem internationalen Publikum an. Wie im Fall der schräg-komischen Familiengeschichte «Blumige Aussichten», um einen Floristen-Clan mit bisexuellem Sohn, der sich nicht zwischen promiskem Leben und seinem Dauerliebhaber entscheiden kann. Der zugleich der Anwalt der Familie ist. Chaos ist vorprogrammiert. (Sehr sehenswert und sehr komisch.)
Morín begann seine TV-Karriere 2010 mit Anfang 20 mit der Serie «La rosa de Guadalupe» und wurde dann schnell von Telenovela zu Telenovela weitergereicht. Dabei schlugen dem Mexikaner mit den leuchtend blauen Augen und blonden Haaren die Herzen vieler weiblicher Fans zu, und für sie kultivierte er das Image des heterosexuellen «Heartthrob».
Bis 2014 jemand versuchte, ihn wegen seiner Homosexualität zu erpressen. Die Drohung: Entweder Morín zahlt grössere Summen Geld oder Nacktaufnahmen von ihm aus einer Webcam-Session würden veröffentlicht, die er mit seinem damaligen Freund abgehalten hatte und bei der man ihn vor der Kamera masturbieren sieht.
«Wir Männer masturbieren. Tut mir leid, dass das so ist» Als sich Morín weigerte, die geforderte hohe Summe zu zahlen, weil er ahnte, dass solche Forderungen nicht aufhören würden, wenn er sich einmal darauf einlässt, wurden Screenshots öffentlich. Allerdings sah man auf diesen nur Morín und nicht sein Gegenüber.
Er sagte damals: «Wir Männer masturbieren. Tut mir leid, dass das so ist.» (Das dazugehörige Dreiminutenvideo ist inzwischen auf verschiedenen Pornoseiten gelandet, man sieht Morín darin ohne den heutigen Hard Body und mit zersauselten Haaren sowie mit «full frontal nudity», plus Erektion.)
Dieser erste Vorfall schien seiner Karriere noch keinen Schaden zugefügt zu haben. Doch dann wurde im Dezember 2016 sein Emailkonto gehackt und Bilder von Morín und seinem Freund auf seiner ebenfalls gehackten Facebook-Seite gepostet.
Jetzt sagt Morín dazu rückblickend in einem Interview mit der britischen Zeitschrift Attitude: «Es waren einfach nur ein paar Schnappschüsse von uns beiden auf Reisen. Wir waren in Spanien.» Das sei zu der Zeit gewesen, als er selbst über ein Coming-out nachgedacht habe. «Aber ehrlich gesagt war ich nicht wirklich bereit dafür.»
Er hatte schon mit seinen Produzent*innen und Chefs darüber gesprochen, sagt er. Denn er wollte mit einem öffentlichen Coming-out anderen das Vorbild sein, das er selbst als junger Mann in Mexiko nicht hatte. «Aber ich hatte echt Angst, dass ich danach nie wieder in Mexiko Arbeit finden würde», so Morín zu Attitude.
Influencer ohne Follower*innen Nach dem Zwangsouting verlor Morín mehr als 100.000 Follower*innen auf seinen Social-Media-Kanälen. Wer schon mal mit Influencer*innen zu tun hatte, der weiss, was für eine Katastrophe das für sie ist. Allerdings war Morín fortan einer der bekanntesten schwulen Schauspieler Mexikos. Und er schaffte es, nach und nach bei Instagram eine neue Gefolgschaft aufzubauen. Inzwischen sind es zwei Millionen Menschen. Was er kürzlich mit einem Post feierte.
Auch seine Karriere nahm langsam wieder Fahrt auf. Auch wenn er «sich schmerzlich bewusst ist, dass die LGBTIQ-Situation in seiner Heimat sich nur sehr langsam verändert», so Attitude. «Die stark religiös geprägte Gesellschaft in Lateinamerika hat noch einen weiten Weg vor sich, bevor LGBTIQ dort voll akzeptiert sein werden», meint die britische Zeitschrift.
Morín war kürzlich in London, um bei Dreharbeiten zur Filmadaption des Romans «Red, White & Royal Blue» mitzuspielen (MANNSCHAFT berichtete über das Buch von Casey McQuiston). Darin geht es um Alex Claremont-Diaz, den «First Son» der ersten weiblichen US-Präsidentin, der sich bei einer Englandreise in den Enkel der Queen verguckt. Offiziell ist dieser Prinz Henry der Erzfeind von Alex, weil beide um die Aufmerksamkeit der Klatschpresse buhlen. Aber dann funkt es. Und eine transatlantische Liebesgeschichte zwischen Weissem Haus in Washington und Buckingham Palace in London bahnt sich ihren Weg. Und verursacht den Geheimdiensten auf beiden Seiten Kopfzerbrechen, weil sie zunehmend Schwierigkeiten haben, die Royal Romance unter Verschluss zu halten.
Uma Thurman als US-Präsidentin Morín spielt in dem Film Liam, den Ex-Partner von Alex Claremont-Diaz, der aus Eifersucht droht, die Liebenden in der Klatschpresse zu outen. Es ist eine Situation, mit der Morín bestens vertraut ist. Und auch wenn die Rolle vergleichsweise klein ist, so wird man Morín in dieser Amazon-Studios-Produktion doch neben einigen der bekanntesten aktuellen Jungstars wie Nicholas Galitzine («Handsome Devil») und Taylor Zakhar Perez («The Kissing Booth») sowie neben Uma Thurman als US-Präsidentin erleben (MANNSCHAFT berichtete über diesen Besetzungscoup).
Durch dieses Engagement in einem englischsprachigen LGBTIQ-Film ist Morín als Model und Schauspieler schon jetzt der internationalen LGBTIQ-Presse aufgefallen. Und wird sicher demnächst noch weitere Bekanntheit ausserhalb Mexikos erlangen.
Als er im Juli zum Dreh in London war, traf er sich mit Tom Daley und staunte über das glückliche Familienleben des Sportlers mit Ehemann und Kind. «Wenn ich in London leben würde, würde ich gern auch so leben wollen», sagt Morín zu Attitude. «Aber ich will ehrlich sein: In Mexiko scheint mir das keine gute Idee. Ich glaube es wäre nicht fair gegenüber einem Kind (wenn es zwei Väter hätte, Anm.), denn bei uns gibt es noch viel Homophobie. Das Kind würde in einer Umgebung aufwachsen, die geprägt ist von Gewalt und Schikane in der Schule.»
Morín wäre zwar gern Vater, sagt er, «aber nicht im Mexiko, so wie es derzeit ist». Zwar fühle er sich in Mexico City sicher, besonders weil er so bekannt dort ist und weil alle wissen, dass er schwul ist. Er postet auch regelmässig Bilder mit seinem aktuellen Partner Bernardo Abascal. Aber ausserhalb der Grossstadt im ländlichen Mexiko sei die Situation anders – und sie sei besonders für trans Personen extrem gefährlich, betont Molín.
Homophobie in der eigenen Familie Krasse Homophobie habe Morín auch in der eigenen Familie mit seinem Vater erlebt. Selbst wenn dieser die Äusserungen von damals inzwischen bereue und sich schon tausendmal entschuldigt habe, hinterlassen solche Bemerkungen Spuren. Morín weist darauf hin, dass es oft auch eine Frage der Bildung sei. Seine eigenen streng katholischen Eltern, die über wenig Bildung verfügen, wie Morín sagt, hätten ihn anfangs nicht so akzeptieren können, wie er sich das gewünscht hätte. Er hatte sich ihnen gegenüber schon mit 19 geoutet – also lange vorm öffentlichen Zwangsouting.
Bereits mit 14 hatte ihn seine beste Freundin angesprochen und gesagt: «Okay, Polo, ich weiss, dass du schwul bist. Du datest diesen anderen Typen, und ich will dir nur sagen, du musst da nicht alleine durch. Bitte sprich mit mir darüber.» Das habe ihm als Teenager sehr geholfen. Und es war später sein Vater, der ihm geraten habe, nicht auf die Erpressungsversuche einzugehen, erzählt Morín gegenüber Attitude.
Inzwischen ist für «Red, White & Royal Blue» die letzte Klappe gefallen, die Dreharbeiten sind offiziell beendet. Bis der Film rauskommt – Regie führt übrigens der Star-Dramatiker Matthew Lopez, der den LGBTIQ-Klassiker «Das Vermächtnis» geschrieben hat (MANNSCHAFT berichtete über die deutschsprachige Erstaufführung) – wird es noch etwas dauern.
«Donde Hubo Fuego» Wer bis dahin Polo Morín in einer grösseren Rolle sehen will, hat dazu seit 17. August auf Netflix Gelegenheit. Dort ist die Telenovela «Glühendes Feuer» an den Start gegangen (Originaltitel «Donde Hubo Fuego»).
Darin geht es um eine Gruppe von unfassbar sexy aussehenden Feuerwehrmännern, die gleich zum Start der ersten Folge nackt für einen Kalender posen und ihre Muskeln flexen. Später sieht man sie – in 39 (!) Folgen von jeweils 35 Minuten – regelmässig beim Duschen, beim Fitnesstraining und natürlich beim Sex. Man könnte sagen, die Serie sei bewusst aus einem «schwulen Blick» heraus gefilmt, denn die Männer sind wahrlich pornografisch in Szene gesetzt. Polo Morín ist einer davon, der aber trotz perfektem Sixpack und immer perfekt sitzendem Haar nicht im Zentrum der Geschichte steht.
Die dreht sich um einen Magic-Mike-artigen Stripper namens Poncho, der nach dem Tod seines Bruders zur Feuerwehr geht, um dort auf der Wache herauszufinden, wer der Mörder seines Familienangehörigen ist, der als Investigativjournalist unterwegs war um Polizeikorruption aufzudecken. Die Polizei wiederum hat einen Brandstifter geschützt, so scheint es. Iván Amozurrutia als Poncho und Antoni Sotillo als sein Feuerbekämpfungskollege Molina (der seine Freundin überredet, eine Dreierbeziehung auszuprobieren) sind optische Knaller. Da ist es fast egal, wie absurd die Geschichte sich dreht und wendet. Die Betonung liegt auf fast.
Aus schwuler Sicht ist besonders spannend, dass es eine Liebesgeschichte zwischen Fabio (gespielt von Nahuel Escobar) gibt, dem Sohn der Witwe eines Feuerwehrmanns, die neben der Wache wohnt und Zimmer an junge Damen vermietet, und dem Feuerwehrmann Gerardo. Dass sich da was anbahnt, ahnt man schon früh, als Fabio als Designstudent (!) für Gerardo etwas strickt. «Gera» (gespielt von Daniel Gama) muss erst noch seine Freundin verlassen, die von allem nichts ahnt und ihn über ein Teleskop anschmachtet, wenn er im Hof der Wache oberkörperfrei umherläuft. Er muss seinen homophoben katholischen Eltern erklären, dass er keine klassische heteronormative Familie gründen wird, und er muss seinen Kollegen auf der Wache klar machen, was los ist.
Wer nicht alle 39 Folgen schauen will, kann gleich zur letzten springen und ein herzerwärmendes Finale erleben. So viel Spoiler sei erlaubt: Die Lovestory von Fabio verläuft nicht im Sand. Ein Fan hat bereits ein Best-of von Fabio und Gerardo auf YouTube zu einem Video zusammengeschnitten:
«Kommt drauf an, wie lang dein Schlauch ist!» Und gerade weil Polo Morín betont, wie viel Homophobie es in der mexikanischen Gesellschaft nach wie vor gebe, ist es erfreulich zu sehen, wie diese Themen in «Glühendes Feuer» angesprochen und gelöst werden. Auch wenn manche Dialoge (bei Netflix deutsch synchronisiert verfügbar) scharf auf der Kippe sind. Etwa wenn ein Feuerwehranwärter fragt: «Kann ich Feuerwehrmann werden?» Antwort: «Kommt drauf an, wie lang dein Schlauch ist!»
Trotz Nebenrolle wird man Polo Morín in der Serie nicht übersehen, er ist diesmal allerdings in rein heterosexuelle Affären verwickelt. Und bildet trotzdem am Ende eine nicht konservativ-katholischen Mustern entsprechende Familie.
Im Attitude-Interview sagt Morín: «Ich bin Netflix so dankbar, dass sie mir erklärten, sie sehen mich nicht als den ‹schwulen Schauspieler›. Sie sehen mich als Schauspieler, der einfach schwul ist. Und es ist ihnen egal. Ich habe in ‹Wer hat Sara ermordet?› eine schwule Rolle übernommen, und das war toll. Das hat mir Spass gemacht und war echt cool. Aber dann haben sie mich gefragt, ob ich einen Feuerwehrmann und Stripper spielen möchte, der hetero ist. Und ich habe gesagt: ‹Natürlich, ich bin schliesslich Schauspieler.›»
«Homosexualität definiert mich nicht» Morín meint, es sollte nicht entscheidend für die Rollenangebote sein, ob man hetero, homo oder queer ist. «Das bestimmt nicht, wer du bist», sagt er zu Attitude. «Okay, es ist schon Teil dessen, wer du bist, genauso wie die Tatsache, dass ich klein und blond bin. Das macht aus, wer ich bin, aber es definiert mich nicht.»
Attitude hat Polo Morín mit Fotos von Kosmas Pavlos aufs Cover der September/Oktober-Ausgabe geholt. Man darf gespannt sein, in was die Welt ihn als nächstes zu sehen bekommt. Ob’s mit «Glühendes Feuer» weitergeht nach einem wirklich spektakulären Magic-Mike-Finale, in dem alle Feuerwehrmänner anfangen, als Stripper vor kreischenden Frauen aufzutreten, muss man abwarten. In Deutschland schaffte es «Glühendes Feuer» immerhin auf Anhieb unter die Top-10-Titel in der Kategorie «Serie».
«Wer hat Sara ermordet?» ist bei Netflix ebenfalls mit Polo Morín verfügbar. Und falls sich jemand für die LGBTIQ-Geschichte von Mexiko interessiert, der kann beim Streaming-Giganten den Film «Ball der 41» sehen, über eine historische Vereinigung von homosexuellen Männern in Mexico City, die Anfang des 20. Jahrhunderts den ersten grossen LGBTIQ-Skandal in Südamerika auslösten (MANNSCHAFT berichtete).
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