Geschichten von Freiheit, Verbundenheit und Widerstand
Drei Bücher, drei Geschichten – von der Suche nach Selbstbestimmung, der Kraft weiblicher Solidarität und dem Umgang mit chronischen Grenzen
Ob eine autofiktionale Graphic Novel, ein Essay über revolutionäre Frauenfreundschaften oder ein intimes Memoir über Long Covid und Transness – diese Werke berühren, inspirieren und fordern heraus.
Claus Daniel Herrmann – Pinke Monster In welches Regal? Zu den autofiktionalen Coming-of-Age Graphic Novels oder Romanen, die das Aufwachsen Jugendlicher in Verbindung setzen zu der Glaubenslehre, den ideologischen Überzeugungen und Dogmen ihrer Umgebung.
Wie sieht es aus? Pinke Monster beginnt wie ein Film – ohne Worte, aber mit bildlicher Tonspur: akustische Signale, ein aussagekräftiger 90er-Jahre Musiksoundtrack aus Take That, Jamiroquai und REM, aber eben auch die Abwesenheit von gewohnten Geräuschen eines funktionalen Familienlebens.
Die Panels sind grosszügig, nahe und flächig in schwarz-weiss und Graustufen, bis die Sonderfarbe Pink einbricht und Akzente setzt. Diese unterstreichen Franks individuelle und emotionale Entwicklung – die zunehmende Sicherheit, was seine Sexualität angeht und seine Gefühle für den Schulkameraden Michael.
Worum geht es? Franks Vater leidet an Depressionen, nichts scheint zu helfen und so greift seine Frau nach einem Strohhalm. Sie wendet sich an Thea, eine Heilerin. Theas fragwürdige Methoden, negative Energien zu vertreiben, treffen zunächst auf Franks von Horrorfilmen inspirierte Zeichnungen, dann auf seine Beziehung zu Michael, Franks Schulkamerad und Schwarm . . .
Wie finden wir es? Wunderbar klar und geradlinig entrollt sich eine Geschichte, die nichts an Aktualität verloren hat: Wo der Glaube zu einem geschlossenen Zirkel wird, ist kein Miteinander möglich. Folgerichtig kann eine gesunde Emanzipation nur mit einem Befreiungsschlag gelingen. Dass «Pinke Monster» dabei weder bedrückend schwer noch erklärungslastig daherkommt, ist der feinen Ironie zu verdanken, der belastbaren Beziehung zwischen Frank und seiner Mutter und der geschickten Szenenkonzeption. – Graphic Novel, Reprodukt Verlag, 208 Seiten
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Franziska Schutzbach – Revolution der Verbundenheit Worum geht es? Ein leidenschaftliches Plädoyer für ermutigende Frauenbeziehungen. Die Soziologin Franziska Schutzbach zeigt mit fesselnden Beispielen aus Vergangenheit und Gegenwart, Essays und Briefen, wie Frauen trotz Spaltung Revolutionen ermöglicht haben. Wie sie patriarchale Strukturen in Alltag und Politik lockerten, weil sie sich verbündeten und befreundeten. Sie beschreibt, was möglich ist, wenn Frauen sich an anderen Frauen orientieren.
Wir finden: Stark als Werk und stärkend im Ton. Schutzbach balanciert zwischen erlesenen Quellen, persönlichen Briefen und revolutionärer Absicht. Sätze wie «Wir alle sind tief in Machtverhältnisse verstrickt und stehen nie einfach als rundum Gute ausserhalb der Gesellschaft. Auch unterdrückte Menschen üben Unterdrückung aus.» beweisen seitenweise, dass die Autorin auf dem Boden bleibt, während sie ihre Rakete aus Buchstaben und Haltung zündet. – Sachbuch, Droemer Knaur, 320 Seiten
Selma Kay Matter – Muskeln aus Plastik
Worum geht es? Das erste deutschsprachige Chronic-Illness-Memoir. Kay ist schwer verknallt – und schwer erkrankt. Auf den Crush folgt jedes Mal ein Crash, auf starkes Herzklopfen Migräne, auf Knutschen Gliederschmerzen. Während Kay versucht, den Folgen von Long Covid zu entkommen, bringen nur die Sehnsucht nach Aron und der Wunsch nach einem starken, androgynen Körper Linderung. «Muskeln aus Plastik» beschäftigt sich mit chronischer Erkrankung und Transness – und der Art und Weise, wie unsere Gesellschaft über «gesunde» Körper nachdenkt und spricht.
Wir finden: Das Debüt von Selma Kay Matter reizt mit seiner intuitiven Feder, fernab von formalen und intellektuellen Traditionen – eine dünne Linie entlangfahrend zwischen Lust und Schmerz. Für alle, die sich an junger Sprache erfreuen und nicht vor Seiten zurückschrecken, die ab und an einen Überhang an Quellenverweisen vorweisen. – Essay, Hanser Berlin, 240 Seiten
Der vielfach preisgekrönte iranisch-amerikanische Autor Abdi Nazemian hat einen neuen Roman vorgelegt, der die Geschichte einer Familie aus dem Iran erzählt und den Umgang mit Homosexualität analysiert auf drei Zeitebenen: 1939, 1978 und 2019 (MANNSCHAFT berichtete).
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