«Nicht-binäres Leben ist noch ein blinder Fleck in der Gesellschaft»
Neu auf ZDFneo: «Becoming Charlie»
In den Medien sind für gewöhnlich nur Frauen und Männer zu sehen. Das soll sich jetzt ändern. Die neue Mini-Serie «Becoming Charlie» beleuchtet das Leben einer nicht-binären Person.
Von Daniel Josling, dpa
Wer bin ich? Wo gehöre ich hin? Fragen, auf die viele Menschen irgendwann in ihrem Leben versuchen eine Antwort zu finden. Für Charlie, gespielt von Lea Drinda («Wir Kinder vom Bahnhof Zoo»), sind diese Fragen besonders drängend. Denn Charlie fühlt sich weder als Frau noch als Mann. «Becoming Charlie» konfrontiert und berichtet mit Charme und Witz die Probleme, denen sich non-binäre Menschen – also Menschen, die sich weder als Frau noch als Mann identifizieren – ständig stellen müssen. Die Serie läuft am Dienstag ab 20.15 Uhr auf ZDFneo.
Charlie ist Anfang Zwanzig und lebt mit Mutter Rowena (Bärbel Schwarz) in einem Plattenbau in Offenbach. Rowena hat weder ihr eigenes Leben noch die Finanzen der Familie im Griff. Deshalb jobbt Charlie bei einem Essenslieferdienst, um Geld für einen Neuanfang zu sparen. Denn Charlie will unbedingt raus aus der Platte. Doch dann löst ein Streit in der Familie eine Kettenreaktion aus und legt Charlies Pläne zunächst auf Eis. Auf der Suche nach dem eigenen Ich wird Charlie immer wieder aus der Komfortzone katapultiert. Nur im Rap findet Charlie eine Konstante und ein Ventil für die eigenen Gefühle.
«Becoming Charlie» ist ein gutes Beispiel, wie das öffentlich-rechtliche Fernsehen versucht, mehr junge Leute zu erreichen und gleichzeitig ihre Mediatheken zu stärken (MANNSCHAFT berichtete). Mini-Serien sollen den hippen Streaming-Anbietern aus den USA etwas Paroli bieten. «Becoming Charlie» ist eine sogenannte Instant-Serie. Das heisst, sie ist in einem beschleunigten Produktionsprozess entstanden – zwischen Konzeption, dem Drehstart im Januar 2022 und der Veröffentlichung im Mai lagen nur wenige Monate.
«Nicht-binäres Leben ist nach wie vor ein blinder Fleck in weiten Teilen unserer Gesellschaft», sagt Lion H. Lau, verantwortlich für das Drehbuch. Dies habe auch damit zu tun, wen Fernsehen zeige und wen nicht. Lion bezeichnet sich selbst als non-binär und möchte mit dem Skript zur Serie zur Aufklärung beitragen. Lion sei es wichtig gewesen, dass die erste Serie mit einem nicht-binären Hauptcharakter auch von einer Person geschrieben wird, die selbst nicht-binär sei.
Beim ZDF war man für das Projekt durchaus offen, so Lion gegenüber MANNSCHAFT. «Nicht nur weil man sich ja auf die Fahnen schreiben kann: Wir sind die ersten, die das Thema fiktiv aufbereiten. Das hat sich einfach nie jemand vorher getrau im deutschen Fernsehen, wo man ja immer sehr vorsichtig und ängstlich und zögerlich ist. Aber das ZDF hatte aber auch wirklich grosse Lust auf den Stoff.»
Hätte eine cis Person diese Rolle bekommen, hätte ich meinen Namen aus den Credits genommen.
Das Casting sei herausfordernd gewesen. Denn für Lion war klar: Die Hauptfigur muss von einem Menschen gespielt werden, der Charlies Erfahrungsperspektive teilt – vor allem, was das Leben im nicht-binären Spektrum angehe. Lion war es ernst: «Hätte eine cis Person diese Rolle bekommen, hätte ich meinen Namen aus den Credits genommen.»
In sechs Folgen gehen die Zuschauer*innen nun gemeinsam mit Charlie auf einen teilweise lustigen und zugleich emotionalen Selbstfindungstrip: ein zeit- und altersloses Thema, das jeden Menschen beschäftigt.
In der nächsten MANNSCHAFT-Ausgabe (Sommer 2022) folgt ein ausführlicher Artikel über nicht-binäre Personen in den Medien. Zum Abo-Shop
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