«Ich begann mich zu fragen, wozu man eigentlich lebt»
Für seinen ersten Spielfilm «Moneyboys» erhielt C.B. Yi den Max-Ophüls-Preis 2022
C.B. Yis erster Langfilm «Moneyboys» handelt von einem Mann, der als Escort arbeitet, um seine Familie zu ernähren – diese akzeptiert das Geld, jedoch nicht seine Homosexualität. In Cannes feierte der Film letztes Jahr Weltpremiere und wurde seitdem mehrfach ausgezeichnet. Wir sprachen mit dem in Wien lebenden Regisseur.
C.B., «Moneyboys» ist dein erster langer Spielfilm. Wodurch wurdest du zu dieser Geschichte eines jungen Mannes inspiriert, der in China vom Land in die Grossstadt zieht und mit dem Geld, das er als Sexarbeiter verdient, seine Verwandtschaft unterstützt? Meine Auseinandersetzung mit dem Thema Prostitution und was es bedeutet, seinen Körper zu verkaufen, um andere zu finanzieren, begann, als ich vor 15 Jahren an der Filmakademie in Peking studierte. Da hatte ich ein paar Schauspielfreunde, die Sugardaddys oder -mommys hatten, um ihr Studium zu finanzieren. Aber ein Freund von mir entschied sich dazu, einen Sugardaddy zu finden, als seine Mutter schwer krank wurde und er schnell Geld auftreiben musste. Das hat mich damals sehr berührt. Und parallel begann ich mich mehr und mehr zu fragen, wozu man eigentlich lebt.
In welchem Sinne? Nicht nur mit Blick auf die Prostitution. Aber in China kommen allgemein wahnsinnig viele Menschen aus den Dörfern in die Stadt, arbeiten auf dem Bau, verdienen kaum etwas und werden nur ausgebeutet. Danken tut ihnen das niemand. Da frage ich mich schon: warum eigentlich? Dass man im vom Konfuzianismus geprägten China häufig nur für die Eltern sowie Mutter Staat, wie man dort sagt, zu leben scheint, kann man ja mal hinterfragen.
Ursprünglich wolltest du dich diesen Themen dokumentarisch widmen, nicht wahr? Meine erste Idee war es, den Film mit fünf echten Moneyboys zu drehen. Die Arbeitsweise des österreichischen Regisseurs Ulrich Seidl imponierte mir damals sehr, der häufig auf eine Mischung aus Dokumentation und Fiktion setzt. So etwas Ähnliches wollte ich unbedingt auch machen. Aber dann wurde mir, auch durch Gespräche mit Michael Haneke und anderen, immer bewusster, dass man als Regisseur auch die Menschen, die einem ihre Geschichte erzählen, beschützen muss. Denn man weiss nie, welche Nachwirkungen es für sie hat, wenn man sie und ihr Leben auf die Leinwand holt. Also entschied ich mich für die Fiktion. Auch, weil man mehr Freiheiten hat, eine Geschichte zu verdichten und intensiver zu erzählen.
Dein Film handelt dezidiert nicht von einem heterosexuellen Moneyboy, der sich an Männer verkauft, sondern von einem homosexuellen Protagonisten. Warum war dir das wichtig? Während meiner langjährigen Recherche lernte ich in China einen Wissenschaftler kennen, der über 2000 männliche Sexarbeiter interviewt hatte. Interessanterweise waren mehr als die Hälfte von denen nicht schwul. Aber ich wollte von einem jungen Mann erzählen, der homosexuell ist und deswegen von seinen Eltern nicht akzeptiert wird. Nicht nur wegen der Prostitution, die in China verboten ist. Allerdings wollte ich nicht vorgeben, worum es in «Moneyboys» nun geht. Jeder kann selbst entscheiden, auf welchen Aspekt er oder sie den Fokus richten will.
Kann man pauschal sagen, was in China das grössere Tabu ist: Sexarbeit oder Homosexualität? Sagen wir es mal so: Sexarbeit ist tatsächlich illegal in China, Homosexualität dagegen nicht. Zumindest in den Grossstädten gibt es eine Akzeptanz, wenn man nicht öffentlich darüber spricht. Man kann zum Beispiel in Peking lesbische Paare sehen, die auf der Strasse Händchen halten. Auf dem Land sieht es anders aus. Aber das ist in einem kleinen Kaff in Österreich eigentlich auch nicht anders. Wobei in asiatischen Ländern in der Provinz der soziale Druck die Sache noch schlimmer macht. In einem Dorf in Deutschland sieht man sich vielleicht mit Ausgrenzung und Diskriminierung durch einzelne konfrontiert, wobei man in China die ganze Gemeinschaft gegen sich haben kann.
Nicht ohne Grund hast du deinen Film nicht in China, sondern in Taiwan gedreht, oder? Ich habe zwei Jahre lang in China Schauspieler gecastet und wollte bekannte Darsteller für den Film gewinnen. Unter anderem traf ich einen berühmten Schauspieler, der – wie eigentlich alle - grosses Interesse an dem Projekt hatte. Und es war auch nie so, dass wir einen Film wie «Moneyboys» nicht in China hätten drehen dürfen. Aber in Laufe meiner Vorbereitungen veränderte sich dort die Stimmung, und dass diese Themen so tabuisiert werden, machte die Sache nicht einfach. Sieben Monate vor Drehbeginn riefen mich einige Schauspieler an und sagten mit verschiedenen Begründungen ab. Meinen Protagonisten Fei sollte aber sowieso der taiwanesische Superstar Kai Ko spielen, und von der Filmkommission in Taipei bekamen wir Förderung, also war es einfacher, in Taiwan zu drehen.
War für dich immer klar, dass die Geschichte deines ersten Langfilms in China spielen wird? Oder hättest du dir genauso gut ein Projekt in Österreich vorstellen können? Ich hatte auch noch eine andere Idee und dazu auch das Drehbuch geschrieben: «Nichts riecht besser als die Jugend», darin geht es ums Erwachsenwerden. Doch interessanterweise liess sich dieses Projekt in Österreich viel schwieriger umsetzen als «Moneyboys». Vielleicht hatten einige Leute beim jetzigen Film mehr Vertrauen in mich, weil China mein Mutterland ist und ich mich dort womöglich besser auskenne oder weil ich dort zumindest die Menschen mehr verstehe. Ausserdem ist – aus Sicht der österreichischen Filmbranche – China natürlich exotisch und das Thema reizvoll.
Interessant, dass du sagst, du verstehst die Menschen in China besser. Denn in Österreich lebst du, seit du 13 Jahre alt bist. Aber dort bin ich nicht so tief verwurzelt. Eine Muttersprache ist etwas anderes als eine Zweitsprache, ganz gleich, wie lange man diese spricht. Wenn man irgendwo als Kind aufgewachsen ist, ist die Nähe zu diesem Ort eine andere, als wenn man als Teenager irgendwo ankommt. Bis vor ein paar Jahren habe ich mich in China wie in Österreich wohl gefühlt, aber nicht unbedingt zuhause. Ich habe mich ein bisschen als Aussenseiter oder zumindest Beobachter gesehen. Sicherlich auch, weil mein Vater gleich bei unserer Ankunft in Österreich zu mir sagte, dass man als Gast in einem anderen Land nicht negativ auffallen dürfe. Deswegen habe ich mich in der Hoffnung zurückgenommen, akzeptiert zu werden.
«Bis vor ein paar Jahren» heisst, dass sich nun etwas verändert hat? Lange Zeit hatte ich das Gefühl, mich weder komplett als Chinese noch als Österreicher zu identifizieren. Das fand ich nicht schlecht. Ich fühlte mich unabhängig und konnte aus einer Distanz beobachten. Aber in den letzten zwei Jahren habe ich begonnen, in Wien wirklich Wurzeln zu schlagen. Ich habe endlich entschieden, wo meine Basis ist und ich mich am wohlsten fühle. Nicht, dass ich davor unglücklich gewesen wäre. Aber das ist jetzt schon ein schönes Gefühl.
Der Name Haneke ist schon gefallen, und in jedem Text über dich liest man, dass du sein Schüler warst. Was hast du von ihm mitgenommen? Wahrscheinlich muss ich mich bei ihm entschuldigen, dass sein Name im Zusammenhang mit meinem immer fällt. Das ist nicht meine Entscheidung. In der Tat habe ich bei ihm studiert, und er hat vor neun Jahren das Drehbuch zu «Moneyboys» gelesen. Und er fand es gut! Ich habe von ihm alles gelernt, was beim Filmemachen wichtig ist. Angefangen mit der formalen Strenge habe ich alles aufgesogen, was ihn als Regisseur ausmacht. Durch ihn habe ich auch die Arbeit von Robert Bresson, Andrei Tarkowski oder Stanley Kubrick schätzen gelernt. Die beiden wichtigsten Dinge, die er mir mitgegeben hat: konsequent sein – und die Schauspieler lieben, respektieren und beschützen, damit sie sich so frei wie möglich fühlen. Damit kann man nur gewinnen.
«Moneyboys» startet am 28. Juli in den deutschen Kinos, ein Schweizer Kinostart steht noch nicht fest. In Österreich ist der Film bereits angelaufen.
Der in Wien lebende Regisseur C.B. Yi wuchs in einem kleinen Fischerdorf in Südchina auf. Als 13-Jähriger zog er mit seinem Vater in die Steiermark. An der Filmakademie Wien absolvierte er sein Regiestudium, unter anderem bei Michael Haneke. Sein erster Langfilm «Moneyboys» feierte 2021 Weltpremiere beim Filmfestival in Cannes. Beim Filmfestival Max Ophüls Preis wurde er mit drei Auszeichnungen bedacht (darunter als Bester Film).
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