«Menschen wie alle anderen» – Betreutes Wohnen für Queers
Viele Menschen haben in Berlin Unterstützungsbedarf
Sozialwohnungen sind in Berlin Mangelware. Ein neues Zentrum für betreutes Wohnen schafft Ausgleich und bietet Wohnraum für Dutzende Menschen. In der queeren WG herrscht bereits gute Stimmung.
Von Mia Bucher, dpa
Eine Wohnung in Berlin zu finden ist – milde ausgedrückt – schwierig. Was hilft, sind ein gut gefülltes Portemonnaie und ein langer Atem. Der angespannte Wohnungsmarkt trifft Menschen mit einer Beeinträchtigung oder psychischen Erkrankung besonders hart. Sie sind oft auf eine Sozialwohnung angewiesen – davon fehlten einer Studie zufolge allein im Jahr 2022 in Berlin aber gut 131’000. Um den Mangel auszugleichen, mieten Sozialträger Wohnungen für Menschen mit Unterstützungsbedarf an. Das sind sogenannte Trägerwohnungen. Doch auch die sozialen Einrichtungen haben immer mehr Probleme Wohnungen anzumieten und dauerhaft zu halten.
Ein siebengeschossiger Neubau im Soldiner Kiez, im Ortsteil Gesundbrunnen, soll nun Abhilfe schaffen und zeigen, dass es auch anders geht. Das soziale Zentrum wurde Anfang Januar als Modellprojekt eröffnet und bietet betreutes Wohnen in verschiedenen Wohnformen für rund 100 Menschen. Das grosse weisse Eckhaus liegt an der Gotenburger Strasse; jede Wohnung hat einen eigenen Balkon.
«Wir hatten sehr viele Anfragen», sagt Christian Tiedemann von der Starthilfe bei einer Besichtigung des Gebäudes. Der Verein unterstützt unter anderem Menschen mit Lernschwierigkeiten. In der Gotenburger Strasse ist er einer von insgesamt sieben Trägern und führt zwei Wohngemeinschaften und sechs Appartements für betreutes Einzelwohnungen. Für viele der Klient*innen und Klienten sei die Wohnungssuche in Berlin «hoffnungslos», sagt der Pädagoge.
Ende 2023 gab es berlinweit rund 90’700 Sozialwohnungen, wie eine Sprecherin der Senatsverwaltung für Bauen und Wohnen auf Anfrage mitteilte. Insgesamt ist die Zahl der geförderten Wohnungen laut Behörde in den vergangenen Jahren stark zurück. Nach einer bestimmten Zeit läuft die Sozialbindung aus.
Für das Jahr 2023 war ein Ende der Förderung bei rund 5600 Wohnungen prognostiziert, wie es im Wohnungsmarktbericht der Investitionsbank Berlin (IBB) aus dem Jahr 2022 heisst. Um den Wegfall auszugleichen, fördert die Senatsverwaltung für Bauen seit zehn Jahren den Neubau von Sozialwohnungen. Dem IBB-Bericht zufolge sollen bis 2032 rund 49’400 Sozialwohnungen entstehen.
In Gotenburger Strasse 2 ist es Ende Januar auf den meisten Fluren noch still. Erst nach und nach sollen die neuen Mieter*innen einziehen. Im vierten Stock aber brennt schon Licht. Daniel, 24 Jahre alt, und Leon, 18 Jahre alt, sitzen in der grossen Essküche ihrer neu bezogenen WG und sprechen darüber, wie sie die noch kahlen Wände mit bunten Regenbogenflaggen verschönern wollen. Die jungen Männer sind die ersten Bewohner der queeren WG, die zur Berliner Starthilfe gehört. Die WG richtet sich demnach speziell an nicht-heterosexuelle Menschen und Menschen, die sich nicht mit traditionellen Normen von Geschlecht und Sexualität identifizieren. Die Räume sind gross und hell und mit grauem Linoleumboden ausgelegt. Durch die noch spärliche Einrichtung hallt es in der Wohnung, es riecht nach Farbe.
«Meine Vergangenheit war nicht immer einfach», sagt Leon. Wie auch sein Mitbewohner hat er eine Lernbehinderung. Es helfe ihm, in einer Gemeinschaft mit Menschen zu leben, die ähnliche Schwierigkeiten hätten. Daniel sagt: «Wir beide verstehen uns sehr gut. Ich koche, wir essen zusammen und er räumt ab.» Dass sie als schwuler Mann und als trans Mann vorurteilsfrei in einer Gemeinschaft mit Gleichgesinnten leben können, bedeutet ihnen viel. «Wir sind Menschen wie alle anderen und wollen auch so behandelt werden», sagt Daniel. Im Sommer soll es für alle Bewohner*innen des Hauses eine Einweihungsfeier geben. Leon freut sich schon darauf, bei der Planung mitzuhelfen. «Wir wollen die Menschen im Haus vernetzen», sagte Tiedemann von der Starthilfe.
In dem Haus befinden sich auch eine Kita mit 60 Plätzen sowie Räume eines Berufsorientierungsprojekts für Jugendliche in schwierigen Lebenssituation mit Küche, Kicker, kleinen Klassenzimmern und Werkstatträumen. Auf einem anderen Stockwerk kommen geflüchtete Frauen mit Traumaerfahrungen und ihre Kinder unter. In weiteren Teilen des Gebäudes sollen nach und nach auch Menschen mit Suchtproblemen oder psychischen Erkrankungen einziehen. Die überwiegende Mehrheit der Mieter*innen bekommt Sozialleistungen.
Das Besondere an dem sozialen Zentrum: Das Haus entstand aus einem Zusammenschluss des landeseigenen Wohnungsunternehmen Degewo und sozialen Trägern. Die Träger gründeten dafür die GmbH Kiezquartier, die als Generalmieter gilt und die Wohnungen untervermietet. Die insgesamt rund 3500 Quadratmeter grosse Wohnfläche wurde speziell für die Bedürfnisse der Träger angefertigt. Etwas Vergleichbares habe es bei der Degewo bisher nicht gegeben, sagt Sprecher Stefan Weidelich. «Baulich war es auch ein Zeichen, die Leute nach Mitte, in die Mitte der Gesellschaft zu holen.»
Die Gentrifizierung treffe bestimmte Personengruppen besonders hart, ergänzt Stefan Lutz, Geschäftsführer von Kiezquartier: «Menschen mit Behinderungen oder Erkrankungen sind mit die Ersten, die weichen müssen.» Die Gefahr, wohnungslos zu werden, sei für Betroffene besonders hoch. Erschwerend kommt einer Auswertung des Bezirks Mitte zufolge hinzu, dass zum Teil mehr Trägerwohnungen verloren gehen als neu angemietet werden. Daher sei das Projekt auch aus einer Not der Träger entstanden, meint Lutz. «Es geht um Teilhabe und um ein selbstbestimmtes Leben.» Von der Idee einer inklusiven Gesellschaft sei man allerdings noch weit entfernt, sagt Stefan Zenker, ebenfalls Geschäftsführer von Kiezquartier.
Der Mietvertrag ist zunächst auf 25 Jahre angelegt – mit Option auf Verlängerung. Dass Wohnungen so lange gesichert zur Verfügung stehen ist nach Angaben von Zenker eine Besonderheit. Das nächste Gemeinschaftsprojekt zwischen Kiezquartier und Degewo ist bereits in Planung. Im Ortsteil Altglienicke, im Bezirk Treptow-Köpenick, sollen zwei Neubauten für verschiedenen betreuten Wohnformen entstehen. Im April wird der Grundstein gelegt.
Wenn die Pharmaindustrie eine sexuelle Revolution einläutet: Müssen schwule Männer zu Langzeitpatienten werden, um ihre Sexualität ausleben zu können? Dieser Frage stellt sich der Fotograf Samuel Spreyz (MANNSCHAFT+).
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