Gegen Desinformation und Hass: Mehr Anlaufstellen für LGBTIQ gefordert
In Rheinland-Pfalz nehmen die Gewalttaten gegen queere Menschen zu
Nur zehn Prozent der Menschen, die Opfer einer queerfeindlichen Straftat werden, zeigen diese an. Die Sorge vor einer wachsenden Polarisierung in der Gesellschaft begleitet die queere Community.
Von Bernd Glebe, dpa
Die Gewalttaten gegen queere Menschen in Rheinland-Pfalz nehmen zu. Vereine und Initiativen, die sich für Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans, inter und nicht-binäre Menschen im Land einsetzen, sorgen sich wegen der zunehmen aggressiven Stimmung bei Veranstaltungen, vor allem aber in den sozialen Medien und im Internet.
«Wir sehen in der Gesellschaft gerade ein grosses Mass an Desinformation», berichtet Diana Gläßer, die für die Polizei des Landes Rheinland-Pfalz die Ansprechperson für lesbische, schwule, bisexuelle, trans und inter Menschen ist. Es würden Ängste geschürt, dass queere Menschen traditionelle Familienbilder und Geschlechterrollen zerstören wollten.
«Familien sind heute schon vielfältig», betont Gläßer. «Das sogenannte traditionelle Familienbild ist nur eines von vielen anderen und das gilt auch für Geschlechterrollen, vor allem, wenn wir die Ausbildung und die Berufskarrieren junger Frauen anschauen.»
Ein grosses Problem für die Stimmung in der Gesellschaft sei der Einfluss von Personen im Netz mit einer grossen Zahl von Followern, betont Gläßer. Gerade bei jungen Menschen in der Findungsphase hätten diese Botschaften, bei denen es oft um Anfeindungen, Beleidigungen und Hass gehe, einen viel grösseren Effekt als Argumente, ergänzt Joachim Schulte vom Verein QueerNet Rheinland-Pfalz.
«Queere Menschen leben als Single, in Paaren mit oder ohne Kinder, in verschiedenen Familienformen – nicht anders als heterosexuelle Menschen auch», betont Schulte. «Und so wie Heterosexuelle in Beziehungen ihre jeweiligen Rollen in einer Partnerschaft finden, tun dies queere Menschen auch.»
QueerNet ist das Netzwerk von queeren Vereinen und Initiativen in Rheinland-Pfalz. Das Netzwerk verbindet Organisationen in Mainz, Trier, Koblenz und der Pfalz, um sich zu koordinieren und gemeinsam Projekte durchzuführen. Es gibt Ansprechpartner, Informationen zu Veranstaltungen, Beratungen oder politischen Aktivitäten. Ausserdem ist QueerNet Ansprechpartner der Landesregierung für die Interessen von queeren Menschen im Land.
Es sei zu befürchten, dass die Polarisierung in der Gesellschaft weiter zunehmen wird, sagt Gläßer, die seit zehn Jahren die Ansprechperson für die Polizei im Land ist. Mittlerweile bekommen sie zwar immer mehr Anfragen zu Aus- und Fortbildungen in der Polizei, weil die Kolleg*innen Handlungssicherheit haben wollen. Auf der anderen Seite zeige sich, dass laute Schreien und der Populismus funktioniere – auch bei Wahlen.
Die Zahl der Straften gegen queere Menschen nimmt nach Angaben des Innenministeriums im Land spürbar zu. Im Jahr 2019 wurden noch 12 Straftaten in dem zuständigen kriminalpolizeilichen Meldedienst für Hass-Kriminalität und Straftaten gegen die sexuelle Orientierung und geschlechtsbezogene Diversität registriert. Im vergangenen Jahr waren es 51 Straftaten.
Der Landesregierung lägen keine validen Erkenntnisse zu den Ursachen für den Anstieg queerfeindlicher Straftaten in Rheinland-Pfalz vor, erklärte Innenminister Michael Ebling (SPD) auf eine parlamentarische Anfrage der Fraktion der Freien Wähler. Die Zunahme der Fallzahlen könnte aber unter anderem auf ein gesellschaftlich breiteres Bewusstsein für homo-, bi-, trans- und interphobe Tatmotivationen oder auf einen besseren Zugang der Opfer zur Polizei aufgrund der Tätigkeit der polizeilichen Ansprechstelle und ein hierdurch geändertes Anzeigenverhalten zurückzuführen sein.
Die Täter kommen aus der Mitte der Gesellschaft.
Rund ein Drittel dieser Straftaten liessen sich bundesweit rechten Ideologie zuordnen, berichtet die Verantwortliche für die Ansprechstelle der Polizei. Bei zwei Dritteln der Fälle sei es nicht möglich, diese einer Gruppe zuzuordnen. «Die Täter kommen aus der Mitte der Gesellschaft», sagt Gläßer.
Es gebe zwar mittlerweile ein etwas besseres Anzeigeverhalten. Insgesamt würden aber nur rund zehn Prozent der Menschen, die Opfer eine queerfeindlichen Straftat werden, eine Anzeige erstatten. Es gebe eine Dunkelziffer von 90 Prozent. Bundesweit liege die Zahl bei etwa 2’353 Straftaten, betreffend den Merkmalen sexuelle Orientierung und geschlechtsbezogene Diversität.
Durch die jahrelange Arbeit und die Netzwerke von Diana Gläßer bis in die ländlichen Regionen von Rheinland-Pfalz sei viel Vertrauen in der Community aufgebaut und Misstrauen gegenüber Polizei sowie Justiz verringert worden, versichert QueerNet-Sprecher Schulte. Um die Arbeit noch sichtbarer zu machen und die Beratungen auszubauen, sollte diese Position bei der Polizei aber von einer halben in eine ganze Stelle erweitert werden.
Zudem macht sich das Netzwerk dafür stark, dass in jeder Polizeidienststelle Artikel 1 des Grundgesetzes – «Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt» – sichtbar ist vor dem Hintergrund einer grafischen Gestaltung, die die Vielfalt der Menschen in der Bundesrepublik zeigt.
Auch sollte es in jedem Polizeipräsidium in Rheinland-Pfalz eine offizielle Ansprechperson geben, die diese Tätigkeit nicht nur neben der normalen Polizeiarbeit ausüben kann. «Sonst ist das zu wenig für die Praxis», betont Schulte.
Wichtig wäre auch, dass es analog zu der Ansprechstelle bei der Polizei des Landes für lesbische, schwule, bisexuelle, trans und inter Menschen auch bei den Generalstaatsanwaltschaften in Rheinland-Pfalz sowie im Justizministerium eine solche offizielle Anlaufstelle gebe. Diese sollte auch auf den Internetseiten des Ministeriums und der Generalstaatsanwaltschaften sichtbar und darüber erreichbar sein.
Rheinland-Pfalz habe sich zwar bereits auf den Weg gemacht, um queeren Menschen mehr Unterstützung zu geben, berichtet der QueerNet-Sprecher. «Aber es ist noch nicht genug passiert.»
Ashkan Shabani machte sich im Iran einen Namen als Pressefotograf. Als sein Vater seine Homosexualität entdeckte und ihm mit dem Tod drohte, ergriff er die Flucht, die ihn über die Türkei nach Deutschland brachte. Mit seinen Bildern will er die Situation von LGBTIQ-Personen im Nahen Osten sichtbar machen (MANNSCHAFT+).
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