Marcel Mann – Neues aus der Gerücheküche

Unser Kolumnist war in seinem früheren Leben eine Fritteuse

Marcel Mann (Foto: Henrik Pfeifer)
Marcel Mann (Foto: Henrik Pfeifer)

Er war jung und brauchte das Geld: In der neuen Ausgabe seiner Kolumne «Mannstruation» gesteht der Comedian Marcel Mann unerhörte Jugendsünden.

Hier riecht es nach Zimt. Meine komplette Wohnung duftet nach Zimt als hätte sich der Geist, der vergangenen Weihnacht besinnlich erbrochen. Und das ist ganz allein meine Schuld. Wir schreiben den ersten Advent und ich bin als geborener Mitteleuropäer nun dazu verpflichtet (vermutlich sogar gesetzlich) einen Kubikmeter in meinem Herzen für Heimeligkeit und Vorweihnachtszeit freizuräumen. Weihnachten ist in vier Wochen. Es eilt also. Nun brennt eine kiloschwere, mülleimergrosse Duftkerze in der Geschmacksrichtung Weihnachtsbäckerei und ich bin optisch stark an die brennenden Mülleimer aus 80er-Jahre Musikvideos erinnert. Noch fühle ich nichts, aber gut – das kommt sicherlich noch. Zumindest roch es schon mal schlimmer in meinem Leben.

Was viele nicht wissen: Ich wurde für diese Kolumne nicht an der Ampel entdeckt. Behutsam habe ich mich an meiner Reiseschreibmaschine hochgearbeitet. In der Retrospektive war mein erster Job auch gänzlich branchenfremd.

Geständnis in 3, 2, 1: Ich hab in der Filiale eines amerkanischen Burgerrestaurants gearbeitet. Und ich war wahnsinnig schlecht … als Fritteuse. 19 Jahre war ich jung und es war teilweise traumatisch. Ich hab dort immer in der Nachtschicht gearbeitet. So wurde ich von weniger Menschen in meinem Mischgewerbe-Poloshirt gesehen, und ich hab zusätzlich noch etwas mehr verdient. Und nachts bekommt man es in der Fastfood-Filiale mit Leuten zu tun, bei denen man sich ernsthaft denkt: Mmmh alle Gene sind da aber nicht an der richtigen Stelle.

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Ich hab dort nur einen Monat gearbeitet. Das war die Mindesteinstelldauer und in meinem Fall auch die maximal aushaltbare Beschäftigungszeit. Aber wegen dieses einen Monats Festanstellung bekomme ich mal Rente. Und die habe ich mir verdient.

Meine Hauptaufgaben waren Leute bedienen, Chicken Nuggets frittieren und Salate umetikettieren. Ja die Stammkundschaft zuckt nun (zu Recht) zusammen. Ich hab Salate ein bis zwei Tage… oder Wochen länger haltbar gemacht. Ich kann euch aber versichern, es ist sauber beim Burgerrestaurant. Das dreckigste sind die Kunden. Natürlich bin ich mir bewusst, dass nachts um halb drei nicht die intellektuelle Elite kommt und 42 Chicken Nuggets in nem Eimer bestellt.

Doch so viele Kunden stellen sich erst an den Tresen und dann die dümmsten Fragen wie: Ist im Royal TS eigentlich Schweinefleisch drinne? Ich musste dann zum 70. Mal in der Nacht sagen: Nein, das Fleisch hier wird hauptsächlich hergestellt auf Waschbär-Basis. Irgendwie muss man die Preise ja halten. Und ganz schlimm: Die vielen Betrunkenen. Ab halb eins geht’s los. Alleinstehende Betrunke sind noch gänzlich händelbar aber wenn besoffene Paare reinkamen, gute Nacht. Die leiden meist unter einem stark unterschiedliche Belichtungsgrad. Er hat komplett die Lampen an. Und sie ist nur intellektuell ein bisschen gedimmt. Die Frau übernimmt dann meistens das Sprechen, denn sobald er den Mund aufmacht, könnte Land mitkommen. Meist ist er damit beschäftigt, nicht umzufallen. Statik verlangt alles von ihm ab.

Es wird sich schliesslich konspirativ beraten: Mmmh, Schatz, was willst du denn? Die Salate sehen frisch aus … Das waren die Momente, in denen ich eindringlich, aber noch an der Grenze der Loyalität zu meinem Arbeitgeber S.O.S. zwinkern musste, um die Kunden vorm Schlimmsten zu bewahren. Viele Paare haben ja schon nüchtern ein Kommunikationsproblem, aber die beiden Hungerleidenden befanden sich nicht mal auf derselben Frequenz.

Irgendwann drehte sie sich zu mir und fragte: Können Sie mir was empfehlen? Wir erinnern uns. Wir befinden uns immer noch innerhalb der Filiale des Burgerrestaurants. Können Sie mir was empfehlen? Was erwartet sie, dass ich nun mache? Soll ich mir ’ne Serviette über den Unterarm legen und in die Küche rufen: Schankmaid, möge sie den Fasan auftragen. Und dann ein kleines Fässchen Merlot in ihre Richtung rollen. Aber ich war jung, ich war motiviert. Ich schaute sie an, dann den rotzevollen Typen und sagte: Klar, meine Empfehlung lautet auf jeden Fall immer und stetig zu verhüten. Vermutlich ist sie mir noch heute dankbar.

Eines Nachts wurde ich sogar befördert. Drei Meter weiter ans offene Fenster. Zum Drive-in! Ich bekam ein Headset. Aber ich konnte mit dieser Macht nicht umgehen. Es war zu verführerisch. Bei jedem zweiten Kunden habe ich meine Begrüssung gesungen, wie es Britney an ihren besten Tagen nicht vermocht hätte. Da wurde ich wieder in den Innendienst versetzt.

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In einer lauen Sommernacht begegnete ich ihr schliesslich. Meiner Endgegnerin. Eigentlich mochte ich Menschen zu diesem Zeitpunkt noch. Es betrat eine Frau die Filiale, die tanzte ihren Namen inklusive Bindestrich im Nachnamen vom Eingang bis zur Kasse. Auch textil war sehr viel Jute mit im Spiel. Sie sah eher aus, als ob sie sich strikt ganzheitlich makrobiotisch nach dem Mondkalender ernährte. Ich wollte gerade schon sagen: Es tut mir leid, unser McQuinoa ist heute leider aus. Als sie vor mir stand, war das Erste, was ihr über die Lippen kam, nur: Aloha, ich fühl dich.

Solche Ännäherungen waren definitv nicht erlaubt. Dann ging sie in sich und blieb da. Nachdem sie ewig, wirklich ewig, die Tafeln hinter mir studiert hatte, fragte sie schliesslich kritisch: Was wäre denn das Gesündeste? Meine Antwort lag auf der Hand: Wieder zu gehen. Ich war 19 und unausgebildet. Die richtige Antwort wäre natürlich gewesen: Die Servietten. Die sind auch glutenfrei. Dies sollte meine letzte Nacht in Festanstellung gewesen sein. Ich wurde rausgeschmissen. Wer schafft es, bei einem Burgerrestaurant rausgeschmissen zu werden? Da arbeiteten Leute mit zahnoptionaler Situation im Mund, aber ich wurde gegangen.

Aus Rache hab ich einen 10-Kilo-Sack Nuggets mitgehen lassen. Ich hab zuhause zwar keine Fritteuse. Hab die einfach auf die Heizung gelegt. Kann man ja nichts falsch machen. Ist ja kein Fleisch drin.

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Immer wieder denke ich an dieses kurze Gastspiel zurück. Den Geruch von Frittenfett werde ich wohl nie wieder von meiner DNA entkoppeln können, egal wie gross der olfaktorische Nebenkriegsschauplatz in Form einer Zimtbombe auch sein mag.

Die früheren Texte von Marcel Mann findest hier.

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