Marcel Mann: Heute mal in Moll

Die neue Ausgabe der MANNSCHAFT-Kolumne Mannstruation muss ausnahmsweise ohne Schenkelklopfer auskommen

Foto: Henrik Pfeifer
Foto: Henrik Pfeifer

Was macht man, wenn man berufsbedingt lustig sein soll, aber von einer Traurigkeit erfüllt ist, die es einem unmöglich macht, Schenkelklopfer und Pointen zu produzieren? Drogen nehmen? Die eigene Kolumne ausfallen lassen? Der Comedian Marcel Mann hat sich dafür entschieden, nichts zu beschönigen und ein Tabu zu brechen.

Dies ist eigentlich eine lustige Kolumne. Ein mittelkurzer Text, der zur Erheiterung der Leser*innen und zur Beschäftigung des Schreibers beitragen soll. Tja, erstens kommt es anders, und zweitens fand ich diesmal keinen humorigen Ansatz. Am einfachsten formuliere ich es ganz simpel: Ich bin traurig. So traurig, wie ich es seit Jahren nicht war.

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Ich bin nicht depressiv, nicht theatralisch, nicht hysterisch. Ich bin still und leise in mir traurig. Ein nur von mir wahrnehmbarer Grundton in Moll. Damit geht man in unseren Breitengraden aus Gründen der Pietät oder aus Respekt vor dem Mangel an Sozialkompetenz seines Gegenübers nicht hausieren. Wer trotzdem eine Kolumne hat und darin Lustigkeit transportieren soll, werfe den ersten Stein.

Vor wenigen Tagen habe ich erfahren, dass der Mann, dem ich mein Herz gezeigt habe, wohl keine Verwendung dafür hat. Ob ich eine Verwendung für dieses sich anschleichende, lauernde Gefühl der Traurigkeit habe, wurde nicht gefragt. Erst war ich geschockt. Ich war einen Tag im Schockzustand, als wäre ich mit einem SUV ins bisher verschollene Bernsteinzimmer gekracht. Damit hätte ich nie gerechnet.

Man neigt dazu Dinge zu sagen wie «Damit hätte ich nie gerechnet», aber dieses Mal hätte ich meine beiden Hände ins Feuer gelegt, dass alles gut geht. Wieder mal ganz simpel: Ich denke, ich habe mich verliebt. Sowas passiert mir eigentlich nicht. Von Hause aus ist es nicht meine Art, mich zu verlieben.

Seit Jahren bin ich Single und irgendwie d’accord damit. Mir fehlt nichts. Die meisten Paare tun mir sogar irgendwie leid. Ich vermute, die meisten Paare tun sich selbst leid. Doch dann kam ganz spontan eine teeny-weeny-kleine Pandemie ums Eck und ich hatte mehr Freizeit als gewünscht. Gott bewahre habe ich nicht angefangen YouTube-Videos zu kommentieren. Ich habe Online-Dating ausprobiert, und es hat gematched. Verhältnismässig effizient sogar. Zweites Match führte zur ersten echten Begegnung.

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Eines Tages sass ich bei strahlendem Sonnenschein einem jungen Mann im Park gegenüber, und es fühlte sich äusserst angenehm an. Nicht ungewohnt, sondern fast zum Dran-Gewöhnen. Er war zurückhaltend, höflich und vor allem freundlich. Liebe Männer, seid freundlicher!

Wir trafen uns erneut und schon beim zweiten Rendezvous – ja ich nenne es explizit «Rendezvous» und nicht profan «Date» – hat es gefunkt. Ich fühlte mich wohl. Auch beim dritten Treffen störte mich nichts. Wir unterhielten uns über Gott und die Welt, wir spazierten des Nächtens durch Berlin, assen, tranken, lachten – fühlten uns wohl in der Gegenwart des anderen.

Beim vierten Rendezvous schliesslich ergriff ich die Initiative und fragte nach einem Kuss. Wir küssten uns im Mondschein und von da an hielten wir die Hand des anderen. Zum ersten Mal seit Jahren traf ich einen freundlichen, höflichen Mann, mit dem sich Zeit-Verbringen wie Urlaub anfühlte. Alles entwickelte sich langsam und zart. Erwachsen gar. Er war anders als andere Männer. Ja, man darf jetzt würgen.

Ich erzählte nach und nach meinen Freunden davon. Ich spann die Geschichte in meinem Kopf weiter, er schmiedete Pläne für gemeinsame Unternehmungen und plötzlich – hörte es auf. Als hätte ich mir alles nur eingebildet. Drei Tage nach unserer letzten gemeinsamen Nacht bekam ich eine SMS, die mit «Ich hoffe, du hast dafür Verständnis» endete. Dazwischen Zeilen, die mir unerwarteten Schmerz zufügten. Offenbar waren die letzten Wochen bedeutungslos. Seine Pläne und Andeutungen, die wie Anker der Sicherheit in meinem Hinterkopf auf Grund lagen, offenbar nie mit dem Schiff verbunden. Alles Gesagte nur eine Probe für den Mann nach mir. Alle Blicke falsch interpretiert.

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Es zog mir den Boden unter den Füssen weg. Gut dass ich sass. Schlecht, dass ich beim Abendessen mit Freunden sass. Gelernt habe ich nun, dass man Gefühle für wenige Stunden verstauen kann, bis sie sich letztlich ihren Weg nach draussen suchen. Auch wenn dies im Auto auf dem Nachhauseweg geschieht.

Noch in derselben Nacht ging ich rastlos spazieren. Ich war geschockt, ich hatte das Gefühl zu fallen. Der einzige Mensch, der mich auffangen konnte, war derjenige, wegen dem ich überhaupt erst fiel. Was bleibt, ist ein unangenehmes, kräftezehrendes Gefühl, dass ich mit niemandem teilen kann. Auf der Bühne kann ich es nicht verwenden. Ich bin Stand-Up-Comedian. Das wäre geschäftsschädigend. Selten habe ich Singer-Songwriter mehr beneidet. Und im privaten ist – Überraschung – Traurigkeit auch ein Partykiller.

Die vergangenen Tage habe ich hauptsächlich damit verbracht, mich abzulenken, Haken zu schlagen um nicht von meinen unterdrückten Gefühlen eingeholt zu werden. Bloss keine Balladen hören, keine Trauer von aussen an mich herankommen lassen. Adele und Herbstlaub sind derzeit mein Kryptonit. Doch natürlich gibt es sie, die Momente in dem jemand unbedacht nach ihm fragt. Er war ja anekdotisch schon Teil meines engsten Freundeskreises. Dann versuche ich meist, offizielle Antworten zu finden. Antworten, die nicht zu sehr schmerzen.

Was hilft es darüber zu sinnieren, wie gut er gepasst hat, was für ein schönes Paar wir gewesen wären, wie glücklich ich ihn hätte machen können … Er wollte mich nicht. Denn wenn ich mich doch im Schutz eines Freundes am Wegesrand offenbart habe, ging es mir danach nicht merklich besser. Aus Traurigkeit wird Wut, wenn mir ein von Liebe übersättigtes Glückskind erzählt, ich müsse nur warten, der Richtige wird kommen, er war nur noch nicht soweit, ich sei so liebenswert und nicht allein.

Mag ja alles sein, aber währenddessen komme ich nicht umhin, mir einen vollgefressenen Zeichentrickherren mit Zylinder vorzustellen, der noch mit Truthahnbein im Mund mit einem Hungernden übers Fasten spricht. Was mir passiert ist, passiert vielen. Leider war ich auch schon in der Vergangenheit einer dieser Vielen. Eventuell einmal zu oft. Das macht es so bitter.

Wenn Liebe gleichmässig über den Erdball verteilt wäre, hätte sie sicherlich nicht so einen Wert. Doch die Anleger unter uns wissen es schon längst: Wenn eine Sache wertvoll ist, sollten wir darin investieren. Ja, jetzt bin ich traurig, doch irgendwann bin ich es nicht mehr.

PS: Normalerweise ist dies eine lustige Kolumne … und nachdem ich sie nun noch einmal gelesen habe, müssen wir uns eingestehen dass wir schon alle Nummern von namhaften männlichen Comedians über ihre Frauen gesehen haben, die unlustiger waren als dieser Text.

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