Mal pervers, mal unschuldig – Isabelle Huppert wird 70
Oft arbeitet sie mit grossen schwulen Filmemachern wie Ozon und Honoré
Isabelle Huppert gehört zu Frankreichs bedeutendsten und produktivsten Schauspielerinnen. Sie spielt, weil es für sie eine Notwendigkeit ist, und scheut sich vor keiner Rolle. Denn Kino muss nicht nett sein.
Von Sabine Glaubitz, dpa
In «Greta» spielt sie eine gefährliche Psychopathin, in «Elle» eine Frau mittleren Alters, die missbraucht wird, aber keine Polizei ruft. Und in «Die Gewerkschafterin», der am 27. April in die deutschen Kinos kommt, verkörpert sie eine Arbeitnehmervertreterin, die dubiosen Geschäften in der Atomindustrie auf der Spur ist. Komplexe und düstere Rollen. Aber Kino ist nicht gemacht, um nett zu sein, wie Isabelle Huppert vor kurzem der Modezeitschrift L’Officiel sagte.
Huppert, die am Donnerstag (16. März) 70 Jahre alt wird, gehört mit rund 150 Fernseh- und Kinorollen zu den bedeutendsten und produktivsten Schauspielerinnen Frankreichs. Jene, die sie auf der Bühne spielte, sind hier nicht mitgezählt.
Ihre Arbeitswut erstaunt. Doch für sie ist Schauspielern keine Arbeit. Wenn man mit so viel Freude Filme drehe, gehe das über die reine Arbeit hinaus, erzählte sie dem Fernsehsender CNews. Spielen erfordere von ihr keinerlei Anstrengungen.
Zugleich leidenschaftlich und distanziert, pervers und unschuldig, kalt und sinnlich – in sich widersprüchliche Rollen, die sie besonders gerne spielt. Warum? Weil man anfänglich nicht wisse, was man von ihnen halten soll, denn sie offenbaren sich erst im Laufe der Geschichte, begründete sie in dem CNews-Interview.
Privat ist über sie nur wenig bekannt. Sie wurde am 16. März 1953 in Paris geboren und stammt aus einer wohlhabenden Familie. Bevor sie Ronald Chammah kennenlernte, ihren Mann und Vater ihrer drei Kinder, war sie mit dem französischen Filmproduzenten Daniel Toscan du Plantier liiert.
Mit dem Regisseur und Produzenten Chammah teilt sie seit Jahrzehnten ihr Leben. Begegnet ist sie dem gebürtigen Libanesen 1982. Ein Jahr später kam Tochter Lolita zur Welt, 1986 Lorenzo und 1997 Angelo. Mit ihrem heute 72 Jahre alten Mann drehte sie den Thriller «Milan noir».
Wie und warum sie zur Schauspielerei kam, wisse sie nicht mehr, sagte sie im Interview mit L’Officiel. Aber der Wunsch sei früh schon da gewesen. Sie möge die Schauspielerei, weil diese der Fantasie Raum gebe, erzählte sie weiter. Und weil sie für sie eine Notwendigkeit sei. Und so nahm sie bereits als 14-Jährige Schauspielunterricht.
Huppert begann ihre Karriere Anfang der 1970er Jahre. Bereits in ihren ersten Rollen zeichnete sie sich durch diese sehr persönliche Mischung aus Unverfrorenheit und Distanz, aus Wagnis und Unschuld, aus Kälte und Sinnlichkeit aus. So spielte sie in «Monsieur Dupont» eine junge Camperin, die vergewaltigt und ermordet wird, in «Aloïse» eine geisteskranke Frau, die in der Psychiatrie beginnt, zu schreiben und zu malen.
Ihre erste grosse Rolle bot ihr 1977 Claude Goretta in «Die Spitzenklöpplerin», eine Geschichte über eine junge Friseuse, die interniert wird. International bekannt machte sie Claude Chabrol mit «Violette Nozière». Der Film über eine Teenagerin, die sich prostituiert, brachte ihr 1978 in Cannes den Darstellerpreis ein. Da war sie gerade mal 25 Jahre alt.
Ihr 2010 verstorbener Landsmann Chabrol hat ihr weitere bedeutende Filmrollen geboten. Mal verschlagen, mal hochmütig, doch immer brillant, gleich ob als eine Frau, die Abtreibungen durchführt, in «Eine Frauensache», als «Madame Bovary» oder als kriminelle Postbeamtin in «Biester». Gelegentlich drehte sie auch Komödien, darunter «8 Frauen» von François Ozon, «Zwei ungleiche Schwestern» und «Copacabana».
Auch lesbische Charaktere hat sie gespielt: In «Coup de Foudre» (1983) ist sie als unzufriedene Nachkriegsmutter zu sehen, die an der Schule ihrer Tochter eine andere Hausfrau kennenlernt und sich verliebt.
Von Tavernier bis Chabrol, von Godard bis Ozon und Chéreau, von Marco Ferreri bis Andrzej Wajda und Michael Haneke, von David O’Russell und Wes Anderson bis Paul Verhoeven: Huppert hat mit den grössten Regisseuren gedreht. Mit dem schwulen Filmemacher Christophe Honoré drehte sie die Inzest-Geschichte «Meine Mutter». Auf der Theaterbühne arbeitete sie unter anderen mit Peter Zadek, Bob Wilson oder Yasmina Reza.
Mit Preisen als beste Darstellerin wurde sie überhäuft: Zweimal erhielt sie den französischen César («Biester», «Elle»), ausserdem den Silbernen Bären der Berlinale («8 Frauen»), in Cannes wurde sie für «Violette Nozière» ausgezeichnet – und für «Die Klavierspielerin»: In der Rolle der Erika geht sie ins Porno-Kino und riecht an weggeworfenen Papiertüchern; den Golden Globe und eine Oscar-Nominierung erhielt sie jeweils für «Elle».
Schmal, blass und nur 1,52 gross: Ihre zerbrechliche Erscheinung steht im Kontrast zu ihrer Willenskraft. Sie habe schon sehr früh gewusst, welche Rolle sie in ihrem eigenen Leben spielen wollte, sagte sie dem Modemagazin «Madame Figaro»: Die einer Frau, die entscheidet, sich selbst verwirklicht und die Erste sein will.
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