«Kriegsschauplatz des Kulturkampfs»? Uni holt Geschlechtervortrag nach
Vollbrecht wird Diskriminierung von trans, inter und nicht-binären Personen vorgeworfen
Was ist wissenschaftlich? Herrscht hier «Cancel Culture»? Die Absage eines Geschlechter-Vortrags an der Humboldt-Universität liess die Debatte schäumen. Jetzt wurde der Vortrag nachgeholt, sogar ein Polizeiwagen stand zur Sicherheit vor der Uni. Und was passierte?
Von Verena Schmitt-Roschmann, dpa
Es geht um Seeanemonen, Clownfische und Bikini-Medizin – und das sollen Aufregerthemen sein? Selten hat ein Vortrag einer weitgehend unbekannten Biologin so viel Ärger ausgelöst. Am Donnerstag holte die 32-jährige Doktorandin Marie-Luise Vollbrecht an der Humboldt-Universität ihren Vortrag über biologische Geschlechter nach. Den hatte die Uni kürzlich nach einem Aufruf zu Protesten wegen Sicherheitsbedenken zunächst gestrichen und dafür heftige Kritik eingesteckt (MANNSCHAFT berichtete).
Jetzt blieb alles ruhig, nach einer halben Stunde war auch schon alles vorbei und die junge Frau wurde im gut besetzten Fritz-Reuter-Saal der Uni beklatscht.
Dass vor dem Unigebäude an der Dorotheenstrasse ein Polizeiwagen Wache stand, dass der Auftritt der Biologin überhaupt Aufsehen erregte, das liegt an der komplizierten Vorgeschichte und einer hitzigen gesellschaftspolitischen Debatte. Es geht um Geschlecht und Identität, um Wissenschaft und Freiheit, um Vorwürfe der Ideologie und Ignoranz. Beteiligte auf allen Seiten fühlen sich verletzt oder eingeschüchtert. Aber der Streit geht weit über die persönliche Ebene hinaus – und ist ziemlich unübersichtlich.
Vollbrechts Vortrag «Geschlecht ist nicht (Ge)schlecht, Sex, Gender und warum es in der Biologie zwei Geschlechter gibt» war ursprünglich für die Lange Nacht der Wissenschaften an der Humboldt-Universität geplant. Nach Protestaufrufen sagte die Uni die Präsentation aus Sicherheitsgründen kurzfristig ab – beziehungsweise sie «verlegte» sie, wie HU-Präsident Peter Frensch am Donnerstagabend in einer Podiumsdiskussion betonte. Um eine Absage sei es nie gegangen.
Vollbrecht hielt den Vortrag derweil zunächst auf Youtube. Ihre zentrale These: «Das biologische Geschlecht des Menschen ist binär, es gibt männliche und es gibt weibliche Menschen. Wir werden männlich oder weiblich geboren und behalten unsere geschlechtliche Zugehörigkeit bis zum Ende des Lebens.» Oder wie sie in ihrem nun nachgeholten Vortrag sagte: «Geschlechter gibt es nur zwei.»
Doktorandin Vollbrecht wurde Anfang Juni als Co-Autorin eines Beitrags in der Welt unter dem Titel «Wie ARD und ZDF unsere Kinder indoktrinieren» bekannt. Die Autoren schreiben, die Berichterstattung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ziele «darauf ab, den Forderungen von Trans-Lobbygruppen Gehör zu verschaffen, denen zufolge man das biologische Geschlecht wechseln könne». Das sei eine bedrohliche Entwicklung: Aktivisten mit einer «’woken‘ Trans-Ideologie» unterwanderten den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
Empörung über den Welt-Beitrag schwingt nun mit in der Debatte über Vollbrechts Vortrag. Ausführlich legt dies eine Stellungnahme der HU-Studierendenvertretung dar, des sogenannten Referent*innenRats. Dieser beklagt die Diskriminierung von «trans, inter und nicht-binären Personen (kurz TIN)» und nennt Vollbrecht eine «offen TIN-feindliche Person».
Wenn ich als Frau sage, dass ich nicht in der Situation sein will, dass mir unter der Dusche ein Individuum mit Penis begegnet, dann ist das mein gutes Recht.
Vollbrecht solidarisiere sich mit «einer Bewegung, welche die Existenz von TIN-Personen leugnet». Sie stehe den «Trans Exclusionary Feminists (TERFS)» nahe, die sich unter anderem gegen den Zugang von Transpersonen zu Räumen für Frauen wenden. Vollbrecht sagte dazu T-Online: «Wenn ich als Frau sage, dass ich nicht in der Situation sein will, dass mir in der Sammelumkleide oder unter der Dusche ein Individuum mit Penis begegnet, dann ist das mein gutes Recht.»
Kritik an der Kritik Nach der Absage des Vortrags wurde vor allem die Humboldt-Universität scharf angegriffen. Diese habe der Wissenschaftsfreiheit einen Bärendienst erwiesen, sagte der Präsident des Deutschen Hochschulverbandes, Bernhard Kempen. Hochschulen müssten kritischen Debatten Raum geben, sagt auch Wissenschaftsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP): «Das müssen wir alle aushalten.» Ein Kommentar der Welt sprach von einem «krassen Fall von Cancel Culture». Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schrieb: «Es ist die Haus- und Hofideologie der Universitäten, die in Berlin nach aussen getreten ist: Geschlecht ist nicht mehr als ein soziales Konstrukt.»
Vollbrecht selbst schrieb in der Zeit: «Biologen, die versuchen, über Zweigeschlechtlichkeit aufzuklären, (werden) inzwischen offen und regelmässig angefeindet. Die Frage nach Geschlecht und die biologische Zweigeschlechtlichkeit ist längst zu einem Kriegsschauplatz des Kulturkampfs geworden.» Die Biologin beruft sich auf rein wissenschaftliche Erkenntnisse.
Das tun aber auch ihre Kritiker. Einige Biologen und Sexualwissenschaftler nennen die Thesen von Vollbrecht vereinfachend. Und die Studierendenvertretung schrieb: «Die Wissenschaftsfreiheit ist kein Mantel für die Verbreitung von menschenverachtenden Ideologien und gegen Akzeptanz wissenschaftlicher Erkenntnisse gerichteter Propaganda – die Erde ist keine Scheibe, die Evolution ist kein Verschwörungsmythos und die Unterschiedlichkeit von Menschen hat mehr als zwei Seiten.»
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