Lara Hulo: «Bis 27 habe ich nur Männer gedatet»
Im deutschen Indie-Pop werden die Frauen nur von Männern besungen? Nix da.
Lara Hulo aus dem norddeutschen Schleswig singt in ihren gefühlvollen, sparsam instrumentierten und intensiven Liedern wie «Side B*tch» und «Für Änni» darüber, wie es ist, plötzlich in eine Frau verliebt zu sein. Wir haben uns mit Lara unterhalten.
Dein Vorname ist wirklich Lara, aber ist Hulo dein richtiger Nachname? Lara: Nein, nein. Mein Vater hat mich immer «Hulo» genannt, als ich klein war. Keine Ahnung, wieso und warum. Vor ein paar Jahren bin ich auf die Idee gekommen, mich Lara Hulo zu nennen. Mein Papa meinte erst, «naja, klingt ein bisschen kindisch», aber mittlerweile findet er den Namen auch cool.
Dein Vater ist ebenfalls Musiker, richtig? Ja, er spielt Gitarre und schreibt plattdeutsche Lieder. Seine Spezialität sind Coversongs von Neil Young. Als ich jünger war, sind wir häufig zusammen aufgetreten. Er hat Lieder von Janis Joplin auf der Gitarre gespielt, ich habe dazu gesungen. Ich liebe Janis. Sie ist eines meiner grossen Idole.
Wen gibt es da noch? Amy Winehouse, auch wenn sowohl Amy als auch Janis tragisch mit 27 Jahren starben. Es berührt mich, was das Leben mit ihnen gemacht hat, und die Stimmen sind einfach Wahnsinn. Ich finde auch Miley Cyrus und Billie Eilish megabeeindruckend. Bei deutschsprachiger Musik stehe ich auf Indie-Pop, zum Beispiel auf Annenmaykantereit oder auf Kraftklub.
«Ich habe mein Lied «Side B*tch» bei Tiktok hochgeladen, und praktisch über Nacht ging es viral»
Lara Hulo
Du hast dir das Gitarrenspielen selbst beigebracht. Wann hast du begonnen, eigene Lieder zu schreiben? Das war mit 15, 16. Ich wusste schon in der Schule, dass ich was mit Musik machen will. Das war immer meine Passion. Nach dem Abitur habe ich Musik auf Lehramt studiert, das habe ich aber nur so zur Sicherheit gemacht. Während des Studiums bin ich immer aufgetreten und habe weiter Songs geschrieben.
So richtig los ging es bei dir vor etwa einem Jahr. Was ist passiert? Ich habe mein Lied «Side B*tch» bei Tiktok hochgeladen, und praktisch über Nacht ging es viral. Das war krass. Jahrelang müht man sich ab und kämpft sich so durch, versucht, jeden möglichen Auftritt zu kriegen, und plötzlich funktioniert alles.
Deshalb nervt es mich immer, wenn mich Leute als «Tiktok-Musikerin» bezeichnen. Die haben keine Ahnung, was für einen schweren Weg ich hinter mir habe. Und ich mache meine Musik definitiv nicht für Tiktok, sondern für mich.
Hast du stets an dich geglaubt? Ich habe mich oft verlaufen und mir von Leuten sagen lassen «so, wie du schreibst und Musik machst, wird das nichts». Aber am Ende bin ich es, die mit meiner Musik in der Öffentlichkeit steht. Ich bin superstolz und glücklich, dass ich nie den Glauben an meine Lieder verloren habe.
Was hast du durch die ganzen Fehlstarts und enttäuschten Hoffnungen gelernt? Dass es wichtig und richtig ist, «nein» zu sagen, wenn man ein Projekt oder eine Idee nicht zu hundert Prozent spürt. Und lieber aufs Bauchgefühl zu hören als Kompromisse einzugehen. Erst jetzt habe ich das Gefühl, ein Team um mich zu haben, das meine Vision teilt und an mich glaubt.
Wie ging es dir, als du «Side B*tch» geschrieben hast? Ich war zu der Zeit ein bisschen verloren. Ich wusste nicht mehr, wo es hingehen soll mit mir. «Side B*tch» hat mich auf eine gewisse Art und Weise gerettet.
Warum hast du dich verloren gefühlt? Ich war in einer langjährigen Beziehung mit einem Mann, wir haben zusammengewohnt und alles, wir hatten denselben Freundeskreis. Dann habe ich mich ganz doll in eine Frau verliebt.
Die alte Beziehung ist zu Ende gegangen, ich habe zur Zwischenmiete in Hamburg gewohnt, war viel in Köln, viel in Berlin, irgendwie hatte ich nicht nur in Sachen Liebe, sondern insgesamt meinen Halt und meine Gewissheiten verloren. Dass der Song plötzlich so abging, war in diesem Moment ein echtes Geschenk. Ich hatte wieder zu meiner Lebensleidenschaft, zum Musikmachen, zurückgefunden.
«Side B*tch» und auch deine neueste Single «Für Änni» klingen wunderbar akustisch und minimal. Das ist genau die Soundwelt, in der ich mich jetzt erstmal sehe. Akustisch total nackt. Wie sich meine Musik von hier aus klanglich entwickelt, wird sich zeigen. Im Prinzip ist alles möglich.
Du singst «Ich will nicht nur deine Side B*tch sein». Geht es in dem Song um die Frau, in die du dich verliebt hattest? Ja, ich schrieb den Song ziemlich am Anfang, wir hatten erst unsere ersten Dates hinter uns. Ich merkte schnell: Ich will mehr, ich will wirklich eine Beziehung mit diesem Menschen.
Und dann? Wir waren ineinander verliebt. Ich war mir der Liebe ganz sicher, die andere Person nicht so unbedingt.
Geht es in «Für Änni» um dieselbe Frau? Ja. Tut es. Änni ist allerdings ein fiktiver Name.
«Alle deutschen Lieder sind für straighte Frauen geschrieben», singst du in «Für Änni». «Jeremias singt für Julia, Henning May singt für Mari e/ Und ich sing’ für dich, Änni, du hast das schönste Lied verdient». Die Zeilen sind aus einem Gespräch entstanden mit eben jener Frau, in die ich verliebt war. Wobei es ja auch Künstlerinnen wie Wilhelmine oder Luna gibt, die auch für Frauen schreiben. Für mich ist das Geschlecht, in das du dich verliebst, letztlich egal. Man verliebt sich ja in einen Menschen.
Fragst du dich, wie denn nun jetzt deine sexuelle Orientierung aussieht? Ja, schon. Ich weiss es nur nicht so wirklich. Ich würde am ehesten sagen, dass ich pansexuell bin – ich verliebe mich in Menschen, unabhängig von ihrem Geschlecht. Bis zu meinem 27. Lebensjahr habe ich nur Männer gedatet, obwohl ich auch schon immer Crushes auf Frauen hatte. Ich habe mich aber nie getraut, diese Lust auszuleben, was vielleicht der Gesellschaft geschuldet ist, oder der Art, wie ich aufgewachsen bin, oder vielleicht auch, weil ich Angst hatte, ob es akzeptiert werden würde, wenn ich plötzlich mit einer Frau zusammen wäre.
Lara Hulo
Gefördert von einem musikalisch versierten Vater hat sich Lara Hulo, eigentlich Lara Bargalló, das Songschreiben selbst beigebracht. Während des Musikstudiums in Lüneburg versuchte sie, in der Hamburger Musikszene Fuss zu fassen, es war nicht immer einfach, doch im vergangenen Jahr kam mit dem Social-Media-Hit «Side B*tch» der Erfolg.
Nebenher arbeitet Lara als Moderatorin für Organisationen wie Greenpeace und Viva con Agua. Auch als Comedian hatte sie schon zahlreiche Auftritte. Im November ist ihre EP «für Lara» erschienen. – larahulo.de
Aber dann? Dann habe ich mich heftig in diese Frau verliebt, und seitdem lerne ich mehr Frauen kennen als Männer. Ich weiss nicht, ob ich mich je wieder in einen Mann verlieben werde, ich will mich da auch nicht festlegen. Ich glaube, es ist okay, wenn ich nicht genau weiss, wie ich mich sexuell identifiziere. Ich würde mich auf jeden Fall als queer bezeichnen.
Warst du verblüfft, als du dich in eine Frau verliebt hast? Gar nicht mal so. Ich hatte mich nicht hinterfragt. Ich hatte mich einfach verliebt.
Und auch vorher hast du deine Sexualität nie in Frage gestellt? Doch, schon (lacht). Ich fühlte mich, wenn ich Filme sah, sehr oft zu den Frauen hingezogen, überhaupt habe ich schon immer queere Filme geliebt. Und ich kann mich auch gut an die Schulzeit erinnern, wo ich mich immer wieder zu einer Frau hingezogen gefühlt habe. Aber ich habe eben nie was gemacht. Auch, weil ich in einer langen Beziehung mit einem tollen Mann war. Und wenn ich in einer Beziehung bin, dann bin ich treu. Auch eine offene Beziehung wollte ich nicht führen.
Hast du nur heimlich auf andere Frauen gestanden oder wussten andere Menschen davon? Meine Freundinnen wussten es teilweise. Ich glaube, ich habe das selbst nie ernst genommen. Ich musste wohl erst lernen, zu mir und meinen Gefühlen zu stehen.
Hattest du überhaupt ein klassisches Coming-out? Als ich zum ersten Mal mit einer Frau zusammen war, ist das gleichzeitig mein Coming-out gewesen. Oder so eine Art. Ich wusste und weiss ja immer noch nicht, was ich überhaupt bin. Ich weiss nur, dass wir uns nicht dafür verurteilen sollten, wen wir lieben. Liebe ist Liebe. Ich habe keine Ahnung, ob ich mich nicht nochmal in einen Mann verliebten könnte. Ich schliesse nichts aus.
Bist du auch eine Inspiration für andere Menschen, die mit ähnlichen Gefühlen und Erfahrungen zu tun haben? Das hoffe ich sehr. Ich wünschte, ich hätte in meinem Umfeld einen Menschen gehabt, der mir gesagt hätte: «Bitte fühle dich nicht verloren, nur, weil du unterschiedliche Geschlechter liebst.» Mit meinen heutigen Erfahrungen wäre ich gerne ein Mensch, der andere Menschen an die Hand nimmt und ihnen sagt: «Mach dich nicht verrückt. Du bist gut so, wie du bist.»
«Ich hätte niemals transitionieren dürfen» – Als Nadia Brönimann vor bald 27 Jahren ihre Transition zur Frau durchlief, liess sie die ganze Schweiz daran teilhaben. Heute befindet sie sich in der Detransition, spricht öffentlich darüber und stösst damit einem Teil der queeren Community vor den Kopf. Eine Entdeckungsreise in drei Akten (Mannschaft berichtete).
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