Voyeur im Hotelzimmer – intime Einblicke ins Leben zweier Männer

«Es geht um Intimität und um zwei Männer, die ein Leben miteinander teilen.»

Cinisello Balsamo, Italien, 2006 (Bild: Richard Renaldi)
Cinisello Balsamo, Italien, 2006 (Bild: Richard Renaldi)

Was mit einem ersten gemeinsamen Urlaubsfoto begann, wurde zu einem mehrjährigen Projekt. In den «Hotel Room Portraits» sind nicht nur Hotelzimmer auf der ganzen Welt zu sehen, sondern zwei schwule Männer, die gemeinsam alt werden. Wir sind als Voyeur dabei.

Hotelzimmer strahlen – besonders für diejenigen, die häufig unterwegs sind – weder Geborgenheit noch Intimität aus. Für den Fotografen Richard Renaldi und seinen Partner Seth Boyd aber halten Hotelzimmer auf der ganzen Welt die intimsten Momente ihrer Beziehung fest. Mit Stativ und Selbstauslöser ist die Serie «Hotel Room Portraits» entstanden, eine stolze Sammlung von Bildern, die die Normalität des Beziehungslebens eines schwulen Paares veranschaulicht.

Ob im kargen Westen der USA oder zusammengepfercht in einem Nachtzug in Thailand: Nach mehr als einem Jahrzehnt ist «Hotel Room Portraits» mehr als nur ein Tagebuch eines reisenden Männerpaars, sondern die Geschichte von zwei Männern, die zusammen alt werden.

In Kyoto kauern die beiden in traditionellen Roben auf ihren Bodenmatten, während in Namibia ein Mückennetz fast symbolisch dafür steht, dass ein Hotelzimmer für zwei Männer in einem schwulenfeindlichen Land wohl der einzige Zufluchtsort überhaupt ist. Die Bilder zeigen die beiden nicht immer Arm in Arm, sondern ab und zu auch getrennt, der eine vielleicht unter der Dusche und der andere auf dem Sofa.

Kyoto, Japan, 2005 (Bild: Richard Renaldi)
Kyoto, Japan, 2005 (Bild: Richard Renaldi)

Richard Renaldi, 44, lebt zusammen mit seinem Partner in New York und hat schon für Magazine wie GQ, Vogue oder Out Magazine hinter der Kamera gestanden. Viel lieber widmet er sich aber seinen künstlerischen Projekten wie etwa Bildserien über Transmenschen, HIV-Langzeitüberlebenden oder zum Beispiel auch einer Reportage über ältere Schwule und Lesben. Mit der Mannschaft spricht er über die Idee hinter «Hotel Room Portraits».

Richard, wie ist die Serie «Hotel Room Portraits» entstanden? Das erste Bild entstand 1999 in einem Hotel auf unserer Reise nach Puerto Rico. Wir waren erst im Jahr davor zusammengekommen – es waren also unser erster gemeinsamer Urlaub. Das Bild haute mich weg und so beschloss ich, dass ich das regelmässig machen wollte.

Hotelzimmer gibt es überall auf der Welt, und trotzdem sind sie einzigartig. Sie können nach irgendetwas ausschauen und an einem beliebigen Ort sein. Ein Hotelzimmer ist nicht dein Zuhause, obwohl es ein Ersatz dafür sein sollte. Viele Fotografen machen Typologien von sich selber, und ich wollte eine von mir und meinem Partner machen.

Es geht um Intimität und um zwei Männer, die ein Leben miteinander teilen.

Eine Typologie? Typologie ist im Grunde genommen eine Studie eines Objekts über eine längere Zeit an verschiedenen Orten oder aus verschiedenen Perspektiven. Pioniere darin waren Bernd und Hilla Becher, die im Deutschland der Nachkriegszeit immer die gleichen Industriebauten aus anderen Winkeln fotografierten.

Bangkok, Thailand, 2005 (Bild: Richard Renaldi)
Bangkok, Thailand, 2005 (Bild: Richard Renaldi)

Wann hast du die Bilder veröffentlicht? Als ich eine kleine Serie zusammenhatte, stellte ich sie erstmals auf meinen Blog, und dort schien sie sich zu verselbständigen.

Einige Bilder sind sehr intim. Hattest du niemals Bedenken, diese zu aufs Netz zu stellen? Manchmal sind wir nackt oder kuscheln im Bett, aber keines der Bilder ist in irgendeiner Weise pornografisch. Das wollte ich auch nicht.

Ich hatte eine Auseinandersetzung mit meinem Vater, als er die Bilder auf der Website sah. Er regte sich sehr darüber auf und wollte, dass ich sie alle entferne. Wir verkrachten uns für eine Weile, und obwohl ich einige Bilder vom Server herunternahm, die ihn störten, blieb ich standhaft und liess die Serie im Internet.

Hatte seine Bestürzung mit deiner Sexualität zu tun oder einfach mit den Bildern? Eher Letzteres. Mittlerweile ist meine Sexualität überhaupt kein Problem für ihn. Ich denke, es ist die Öffentlichkeit unserer Intimität, die ihn störte.

Es gab ein Bild, worauf eine Erektion zu sehen war. Diese Bild nahm ich aber sehr schnell wieder runter, denn ich wollte nicht, dass die ganze Serie auf dieses Bild reduziert wird. Vielleicht war es auch zu persönlich und hätte die Grenze zu Pornografie überschritten. Zudem gibt es viele Leute, die einem an einem solchen Bild aufhängen würden und dann alles in die «Gay Sex»-Schublade stecken. Das wäre falsch, denn genau darum geht es mir nicht.

Missoula, Montana, 2009 (Bild: Richard Renaldi)
Missoula, Montana, 2009 (Bild: Richard Renaldi)

Um was geht es dir denn? Es geht um Intimität und um zwei Männer, die ein Leben miteinander teilen. Es geht auch um eine langfristige Bindung, die zwei Männer eingehen. Ganz bestimmt ist auch Zärtlichkeit und Liebe zu sehen. Und nicht zuletzt ist es wie ein Tagebuch unserer gemeinsamen Reisen.

Wenn ich im Nachhinein die Bilder anschaue, sieht es so aus, als würde uns jemand fotografieren. Dabei sind es immer nur wir zwei mit dem Stativ und dem Selbstauslöser. Das gefällt mir.

Wie man auf den Bildern sieht, kommt ihr beiden viel in der Welt herum. Sind diese Reisen beruflich oder auch privat? Beides. Ich hatte einen grossen Auftrag für Microsoft und besuchte mit Seth während zwei Jahren 18 Länder. Ich durfte mein eigenes Team zusammenstellen, und so arbeitete er in etwa 14 Ländern als mein Assistent. Er hat früher auch als Fotograf gearbeitet und ist eine tolle Hilfe.

Okakuejo, Namibia, 2008 (Bild: Richard Renaldi)
Okakuejo, Namibia, 2008 (Bild: Richard Renaldi)

Ihr wart auch in Ländern wie Namibia oder Indonesien, wo die Homosexualität weder akzeptiert noch toleriert wird. Bekommen zwei Männer da überhaupt ein Hotelzimmer? Namibia war sehr interessant. Als wir in der Hauptstadt Windhoek nach einem Hotelzimmer fragten, erwiderte die Rezeptionistin: «Zwei Männer, ein Bett? Das ist ein Problem, denn ihr wollt doch zwei Betten?»

Wir beteuerten, dass ein Bett für uns in Ordnung wäre, und die Frau war ganz perplex. Als wir dann im Hotelzimmer waren, rief sie uns von der Rezeption aus an und fragte nochmals, ob wir mit einem Bett wirklich einverstanden wären.

Es ist nicht so, als würden wir in diesen Ländern provokativ sein und unsere Sexualität zur Schau stellen. Wenn es aber um die Unterkunft geht – etwas sehr Privates – dann bestehen wir auf einem gemeinsamen Bett. Es kommt aber auch oft vor, dass wir im selben Zimmer in getrennten Betten schlafen. Das kann auch cool sein, denn wir schlafen zuhause ja immer im selben Bett.

Aber wirklich negative Erfahrungen habt ihr nie gemacht? Interessanterweise wurde uns in Italien auf Sardinien ein Zimmer verwehrt. Wir fuhren mit dem Auto schon stundenlang in der Gegend herum auf der Suche nach einem Hotel, als wir endlich diese kleine Pension fanden. An der Rezeption wollten sie aber nichts mit uns zu tun haben und wiesen uns ab. Das ganze Haus war offensichtlich leer, doch sie sagten uns, dass alle Zimmer dreckig seien und wird dort nicht bleiben könnten. Also mussten wir weiterfahren.

Es ist fast zum Ritual geworden, ein Bild in jedem Hotelzimmer zu machen, ausser wir übernachten in einem der grossen amerikanischen Kettenhotel. Dann bin ich nicht sonderlich inspiriert.

Gibt es einen Ort, wo ihr noch nicht wart? Auf jeden Fall! Es gibt ja 200 Länder und ich war in etwa 50. Im Herbst fliegen wir nach Chile, denn wir lieben die Wüste. Und nach Island will ich auch unbedingt.

Tulum, Mexiko, 2007 (Bild: Richard Renaldi)
Tulum, Mexiko, 2007 (Bild: Richard Renaldi)

Hast du ein bestimmtes Ziel von Hotelzimmern, das du erreichen willst? Ich werde niemals aufhören, diese Serie zu schiessen. Wenn wir das ganze Leben zusammenbleiben und lange gesund sind, werde ich sie weiterführen. Wäre es nicht toll, als alte Männer auf solch eine Serie zurückzublicken?

Es ist fast zum Ritual geworden, ein Bild in jedem Hotelzimmer zu machen, ausser wir übernachten in einem der grossen amerikanischen Kettenhotel. Dann bin ich nicht sonderlich inspiriert.

Es ist wichtig, Bilder von schwulen Männern zu sehen, die ihre Sexualität offen leben.

Willst du mit dieser Serie politisch sein und LGBT-Rechte thematisieren? Nein. Aber es ist wichtig, Bilder von schwulen Männern zu sehen, die ihre Sexualität offen leben. Zudem ist es ermutigend, Bilder von Menschen in langfristigen Beziehungen zu sehen. Denn es sind nicht nur schwule Männer, die den Glauben in Beziehungen verlieren. Jede zweite Ehe wird ja bekanntlich geschieden. Das sind bestimmt positive Botschaften.

Turin, Italien, 2005 (Bild: Richard Renaldi)
Turin, Italien, 2005 (Bild: Richard Renaldi)

Die Serie ist auf dem Internet ein wahres Phänomen und wird oft verlinkt. Bekommt ihr Feedback? Es ist interessant, dass das Feedback das ganze Spektrum abdeckt. Manchmal lese ich die Kommentare auf verschiedenen Gay-Blogs, wo über unsere Serie geschrieben wird. Da gibt es Leute, die von «Hotel Room Portraits» begeistert sind, und sich über die Serie freuen, während andere ganz negative Kommentare schreiben wie zum Beispiel: «Schaut euch diese reichen Schwuchteln aus New York an, wie sie die ganze Welt bereisen.»

Ich will mich nicht rechtfertigen, aber viele Hotels, wo wir übernachten, sind billige Absteigen. Es sind aber gerade solche Hotels, welche die besten Sujets liefern. Es ist die Vielfalt, die es ausmacht.

Wie bist du zur Fotografie gekommen? Ich bin in Chicago geboren und aufgewachsen. Als in der Highschool das Fach Kunst bereits voll war, schrieb ich mich im Fotokurs ein. Ich mochte es und war auch gut darin. Die Fotografie gab mir ein Selbstwertgefühl, das einem in der Highschool so oft fehlt. Mit 18 Jahren kam ich nach New York und begann zu studieren.

Portland, Oregon, 2009 (Bild: Richard Renaldi)
Portland, Oregon, 2009 (Bild: Richard Renaldi)

Als Fotograf hast du bereits für GQ, Vogue und Out Magazine gearbeitet. Ich hatte sehr viel Glück. Ich meine, es ist New York und der Konkurrenzkampf hier ist riesig. Nach der Uni arbeitete ich in mehreren Fotoagenturen, um nebenbei auch an meiner Kunst arbeiten zu können.

Es ist immer toll, für Vogue ein Fotoshooting auf die Beine zu stellen, doch heutzutage ist bei Editorials fast kein Geld mehr zu holen. Vogue zahlt für ein Fotoshooting läppische $300, ausser man heisst Patrick Demarchelier oder Steven Meisel. Es lohnt sich einfach nicht. Ich verdiene mein Geld durch Werbeaufträge oder auch durch Verkäufe meiner Abzüge in Galerien.

Unterstütze LGBTIQ-Journalismus

Unsere Inhalte sind für dich gemacht, aber wir sind auf deinen Support angewiesen. Mit einem Abo erhältst du Zugang zu allen Artikeln – und hilfst uns dabei, weiterhin unabhängige Berichterstattung zu liefern. Werde jetzt Teil der MANNSCHAFT!

Das könnte dich auch interessieren