«Helene Fischer der Bronzezeit» – Mary Roos wird 75

«Ich hab 60 Prozent schwule Freunde», erkärte sie einst

Mary Roos, anno 1975 (Foto: Heinz Wieseler/dpa)
Mary Roos, anno 1975 (Foto: Heinz Wieseler/dpa)

Mit Hits wie «Arizona Man» und «Aufrecht geh’n» hat sie 60 Jahre lang das Leben vieler Menschen begleitet. Heute macht Schlagerstar Mary Roos als «schrille Alte» Furore – und feiert nun ihren 75. Geburtstag.

Von: Ulrike Cordes, dpa

Eine «schrille Alte» habe sie schon lange werden wollen, sagt Mary Roos am Telefon. Und fügt hinzu: «Mittlerweile ist es ja so weit.» Beweis: In der schrägen Bühnenshow «Mehr Nutten, mehr Koks – scheiss‘ auf die Erdbeeren» lässt sich die Schlager-Ikone («Aufrecht geh’n») seit 2020 vom Kabarettisten Wolfgang Trepper («Trepper und Feinde») etwa gern als «Helene Fischer der Bronzezeit» beschimpfen.

Und kontert mit frechen Sprüchen sowie Hits von einst und jetzt. Damit gehen Roos und Kollege – bereits das Vorgängerprogramm hatte bundesweit 160’000 Zuschauer*innen begeistert – 2024 wieder auf (Abschieds-)Tournee. Start ist am 10. April in Essen, die letzte Vorstellung am 8. Dezember in Duisburg.

Zuvor feiert die Grande Dame der Unterhaltungskunst, die ihren Durchbruch 1970 mit «Arizona Man» erlebte, am 9. Januar ihren 75. Geburtstag. Ein Datum, das die in Hamburg lebende Rheinländerin kaum anficht.

Ich fühle mich rundherum wohl, ignoriere Falten und Pfunde. Und feiern werde ich nur im ganz kleinen Kreis

«Ich fühle mich rundherum wohl, ignoriere Falten und Pfunde. Und feiern werde ich nur im ganz kleinen Kreis», erklärt Roos im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Um fröhlich auszuführen: «Erst zu meinem 80. werde ich ausser meiner Familie alle Freunde und Feinde einladen. Und es richtig krachen lassen.»

Mary Roos (Foto: Gerald Matzka/dpa-Zentralbild/dpa)
Mary Roos (Foto: Gerald Matzka/dpa-Zentralbild/dpa)

Anlässlich ihres 70. hatte die auch international erfolgreiche Künstlerin ihre sechs Jahrzehnte währende Schlagerlaufbahn 2019 beendet. Seither geniesst sie einen ausgesprochenen Unruhestand – in dem sie zuerst eigenhändig ihr Haus renoviert hat.

So machte Roos Furore mit ihrer Autobiografie «Aufrecht geh’n. Mein liederliches Leben» (Rowohlt), die sie mit Pe Werner («Hereinspaziert!») geschrieben und 2022 vorgelegt hat. Doch warum will sie überhaupt eine «schrille Alte» sein? «Zeitlebens hatte ich ein sehr seriöses Image», antwortet Roos. «Das bin ich zwar auch – habe es von meinem Vater, der superkorrekt war.» Doch sie berge eben auch andere Charakteranteile in sich – von der Mutter, die eher tollkühn aufgestellt war. «Und das musste raus», formuliert es die Sängerin.

Und das musste raus

Als Rosemarie Schwab wurde sie 1949 in Bingen (Rheinland-Pfalz) geboren. Und aus Gesangseinlagen zum Tanztee im elterlichen Hotel entstand die erste Platte der Neunjährigen – «Ja, die Dicken sind ja so gemütlich».

Der Rest ist Show-Geschichte. Bereits 1971 erhielt Roos unter dem Titel «Mary‘s Music» ihre erste TV-Showreihe. Ein Jahr später errang sie mit «Nur die Liebe lässt uns leben» den dritten Platz beim damaligen Grand Prix d’Eurovision. Mit «Aufrecht geh’n» (1984) war sie weniger erfolgreich (Platz 13).

Zudem gastierte sie am Stadttheater Münster – unter der Regie von Samy Molcho im Musical «Show Boat». Da hatte sie auch schon Filmrollen gespielt, so in Will Trempers «Sperrbezirk» (1966).

Immer wieder trat sie auf Veranstaltungen zum Christopher Street Day auf und sagt: «Ich hab 60 Prozent schwule Freunde.» Dass sich in den letzten Jahrzehnten vieles zum Besseren gewendet hat, was LGBTIQ-Rechte betrifft, begrüsst sie. «Es ist doch furchtbar, wenn Schwule eine Fassade aufrechterhalten müssen», erklärte sie 2016 gegenüber dem schwulen Magazin Fresh

Wer sie kenne, wisse, dass sie hundertprozentig ein Bauchmensch sei, sagt Roos. Ihre vielseitige Laufbahn – sie sang auch Chansons, Kinderlieder und Coverversionen internationaler Popsongs – habe sich daher wie zufällig entwickelt. Und meist ohne Manager – «ich war immer selbstbestimmt.» Zu ihrer Mentorin entwickelte sich der damalige Superstar Caterina Valente (92, «Ganz Paris träumt von der Liebe»).

«Das war für mich alles so selbstverständlich. Heute ist so etwas ja Geschäft – aber damals war es Spass», erinnert sich Roos. Sie habe auch nie gefragt, wie viel Gage sie kriege. «Wenn ich etwas gerne getan habe, dann habe ich es auch ohne Gage macht. Für mich hat das zum Job dazugehört. Genau wie zu tanzen, Sketche aufzuführen Theater zu spielen und Filme zu drehen. Immer neue Sachen zu tun», resümiert der Star, der nie eine Gesangsstunde hatte. Damals habe man «learning by doing» machen können. «Die Künstler bekamen Zeit, ihren persönlichen Stil zu entwickeln.»

Zwei geschiedene Ehen waren vielleicht der Preis für so viel Höhenflug. Die erste mit dem Franzosen Pierre Scardin, durch den die Sängerin auch in dessen Heimat gross Karriere hätte machen können – wochenlang gastierte sie Anfang der 1970er Jahre im Pariser Unterhaltungstempel «Olympia».

Und die sehr turbulente, schlagzeilenträchtige zweite Ehe mit Entertainer Werner Böhm alias Gottlieb Wendehals (1941-2020, «Polonäse Blankenese»), der sie ihren 1986 geborenen Sohn Julian verdankt. Heute lebt Roos nach eigener Aussage als zufriedener Single, der sich viel um seine Familie kümmert. Die Sängerin Tina York (69, «Wir lassen uns das Singen nicht verbieten») ist ihre kleine Schwester.

Am Herzen liegt der Künstlerin auch, sich gesellschaftlich einzubringen – etwa mit ihrem Einsatz für die Aids-Hilfe oder die Hamburger «Tafel». Und im Austausch mit möglichst vielen anderen älteren Damen, die könnten einander gut inspirieren. «Wir Ältere sollten viel mehr netzwerken. Vielleicht mache ich dazu einmal einen Podcast», meint Roos. Ein Fazit ihrer bisherigen Lebensreise hatte sie der dpa schon zu ihrem 70. mitgeteilt. «Alles, was mir passiert ist, habe ich mitgenommen. Und habe mir gedacht, alles ist gut und passiert zur richtigen Zeit», sagte sie da. «Und auch, wenn es zur falschen Zeit war – es ist nichts umsonst.»

Zehn Jahre liegt das Coming-out von Ex-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger zurück. Das eines aktiven Profis gab es hierzulande seitdem immer noch nicht. Die Gründe sind vielfältig (MANNSCHAFT berichtete).

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