«Gleiche Brust für alle»: Ein Tabu im Schwimmbad fällt
Für nackte Brüste aller (!) Badenden hatte eine non-binäre Aktivist*in aus Göttingen gekämpft
Oben ohne dürfen sich im Schwimmbad meist nur Männer zeigen. In Göttingen soll sich das ab Anfang Mai ändern. Dabei geht es den Befürwortern der neuen Regelung um weit mehr als um den Spass am Nacktbaden.
Von Mia Bucher, dpa
Nacktbaden hat in Deutschland Tradition. Ob auf Sylt, in Rostock oder am Chiemsee – sobald das Wetter es zulässt, lassen Menschen an FKK-Stränden ihre Hüllen fallen. Was draussen am Wasser vielerorts erlaubt ist, ist in den meisten Schwimmbädern laut Hausordnung verboten.
Konkret heisst das: Die primären Geschlechtsmerkmale – Penis und Vulva – und die sekundären Geschlechtsmerkmale – die weibliche Brust – müssen bedeckt werden. In Göttingen soll sich das nun ändern. Ab dem 1. Mai dürfen sich in den vier städtischen Schwimmbädern künftig alle Menschen obenrum frei machen – allerdings nur samstags und sonntags. (In MANNSCHAFT plädierte Kriss Rudolph dafür, dass sich grundsätzlich alle viel häufiger nackt machen sollten.)
«Ich fühle mich wohler, wenn ich nicht dieses Oberteil am Körper kleben habe» Initiiert wurde die neue Regelung von Mina Berger und dem feministischen Göttinger Bündnis «Gleiche Brust für alle». Berger heisst eigentlich anders, möchte aber anonym bleiben. Auslöser war, dass Berger sich im August vergangenen Jahres in einem Göttinger Hallenschwimmbad das Bikini-Oberteil auszog.
«Das hat sich gut angefühlt zu merken: Ich fühle mich einfach wohler, wenn ich nicht dieses Oberteil an meinem Körper kleben habe.» Berger bezeichnet sich selbst als non-binär, identifiziert sich also weder als Frau noch als Mann. Das Schwimmbad sah Berger jedoch als Frau und erteilte einen Schwimmbadverweis sowie ein Hausverbot wegen Oben-ohne-Badens.
Warum ist ein nackter Männeroberkörper okay, nackte Brüste aber nicht?
Warum ist ein nackter Männeroberkörper okay, nackte Brüste aber nicht? Diese Frage stellen sich nicht nur Aktivist*innen in Göttingen. Deutschlandweit gründen sich Bewegungen die ein Oben-ohne-Recht für alle Menschen fordern – zumindest für die Orte, an denen sich auch Männer mit nacktem Oberkörper zeigen dürfen. Sie fordern Geschlechtergerechtigkeit und die Entsexualisierung des weiblichen Körpers.
«No Nipple is free until all Nipples are free!» In Berlin gab es im Sommer 2021 eine Fahrrad-Demo mit dem Motto: «No Nipple is free until all Nipples are free!», also «Keine Brustwarze ist frei, bis alle Brustwarzen frei sind», um gegen ein Verhüllungsgebot in Parks zu protestieren. (MANNSCHAFT hatte über die Debatte 2021 berichtet.)
Schon im vergangenen Jahrhundert wurde Frauen per Regelung vorgeschrieben, wie sie sich beim Baden zu kleiden haben. Der sogenannte Zwickelerlass von 1932 besagte, dass Frauen nur dann öffentlich baden durften, wenn sie einen Badeanzug trugen, der Brust und Leib an der Vorderseite des Oberkörpers vollständig bedeckte und unter den Armen fest anlag.
In den 50er und 60er-Jahren gab es Bikini-Verbote in Bädern oder an Stränden, die erst im Zuge der Studentenbewegung und der damit einhergehenden sexuellen Befreiung aufgehoben wurden. 90 Jahre später sollen nun zumindest in Göttinger Bädern an Wochenenden (fast) alle Hüllen fallen.
Auch wenn die Göttinger Entscheidung auf viel positive Resonanz stösst, gibt es in den Kommentarspalten der sozialen Medien auch kritische Stimmen. Eine Nutzerin spricht vom «Gendergaga Endstadium». (MANNSCHAFT kommentierte das Thema Gendergaga mehrfach.)
Ein Kommentator fragt zynisch, ob Männer jetzt unter der Woche Badeanzüge oder Bikinitops tragen müssten. Im Göttinger Sportausschuss, der über die neue Regel entschied, gab es nach Angaben der Gleichstellungsbeauftragten Christine Müller Stimmen, die sagten, «wir müssen auf unsere Menschen mit Migrationsgeschichte Rücksicht nehmen.»
Wir müssen auf unsere Menschen mit Migrationsgeschichte Rücksicht nehmen
Mina Berger hingegen glaubt, dass es unabhängig von Geschlecht, Alter oder Herkunft für alle Menschen als etwas Normales angesehen werden könnte, nackte Brüste in der Öffentlichkeit zu sehen. Der Blick der anderen sei das Problem, nicht die Nacktheit an sich.
Am ersten Oben-ohne-Wochenende erwartet Andreas Gruber, Geschäftsführer der Göttinger Sport und Freizeit GmbH, gut besuchte Schwimmbäder. Die neue Regelung gilt vorerst bis Ende August. Berger und ihre Mitstreiter*innen wollen dafür kämpfen, dass das Bikini-Oberteil auch danach wegbleiben darf.
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