Sag mir, wo die Homokneipen sind …
... wo sind sie geblieben? Sexcruising-Seiten im Netz sind keine Alternative, findet unser Samstagskommentator
Beim Reisen durch die Welt zeigt sich: Immer mehr schwule Lokale, städtisch sichtbare Zeichen unserer Existenz, verschwinden. Mancherorts bleiben statt Gay Bar nur noch die Sexcruising-Seiten im Netz, wenn man im Urlaub andere Männer – oder Frauen – treffen will. Ein unschöner Nebeneffekt der an sich wichtigen und selbstverständlich zu begrüssenden Liberalisierung, meint Jan Feddersen in seinem Samstagskommentar*.
Wir waren im Juli bis hoch zum Nordkap gereist, das war unser Traum: einmal den nördlichsten Punkt des Kontinents zu erreichen. So kamen wir nach Norwegen, ein bisschen nach Finnland, sowieso durch Schweden: Wir reisen nie in Länder, in denen schwule Männer (oder andere queere Leute) Hässliches zu erwarten haben, kommt raus, dass sie die heterosexuelle Ordnung verletzen. Insofern: So schön Russland sein mag, so fein es angeblich in Iran sein soll, uns können sie mal, das wäre viel zu gefährlich. Ausserdem hätten wir das Gefühl, dass es uns einerlei ist, wenn es fieseste Strafgesetze etwa gegen unsereins gibt.
Berlins LGBTIQ-Community will den «Hafen» nicht gehen lassen
Nein, wir machen Ferien, wo wir fraglos sind. Das Glück war vollkommen, vom Himmel schien viel Sonne und Gott sei Dank auch manchmal Regen, das wäre ja sonst nicht zu fassen. Und doch hat es manches irritiert. Über eine App für Hotelbuchungen waren wir für eine Herberge in Ålesund gebucht, ein Städtchen am Meer, abgebrannt im frühen 20. Jahrhundert, wiederaufgebaut mit Geld vom kriegslüsternen deutschen Kaiser Wilhelm Zwo – so dass dieser Flecken jetzt aussieht wie Prag dermaleinst, aber ohne viele Menschen. Reserviert hatten wir ein Zimmer mit Doppelbett, was denn sonst? Der Concièrge, ein junges, männliches Schnupsi, dem man, äusserlich betrachtet, ebenso gut in Hipstervierteln treffen könnte, ein bisschen verpeilt, aber mitteldelikat attraktiv, suchte unsere Buchung, guckte uns an und sagte: «Jungs, ihr wollt doch bestimmt zwei Einzelbetten haben, oder?»
Äh, wie bitte?
Klar, wir beide sehen nicht wie dürre Dolce & Gabbana-Helden aus, aber: Für körperferne Heteros gehalten zu werden – das ging dann doch zu weit. Natürlich bekamen wir das Bett im «Queensize»(!)-Format, aber ich fragte mich: Lugte hinter diesem achtlos, gewiss freundlich gemeinten Satz nicht auch ein gewisses homophobes Unterfutter hervor? Wieso geht eine solche Person, zumal im noch sehr jungerwachsenen Alter, zunächst nicht automatisch davon aus, dass ein Doppelbett, so es denn reserviert ist, ein ernstgemeintes Anliegen ist? Dass zwei Männer, die ein Hotelzimmer bewohnen werden, nur dann als zwei nächtens eher ferne Personen, also Heteros, zu nehmen sind, wenn sie dies ausdrücklich bekunden?
Gay Bar – Fehlanzeige Das gab zu denken – ebenso, wie eine Stadt nördlicher, in Trondheim, unsere Suche nach einem schönen, schrummeligen Bierschuppen, wenigstens ein Café schwulster, wenigstens queerer Atmosphäre, gern auch für Menschen, die nicht unbedingt den nächsten Darkroom suchen. Einfach eine Stelle, in der es nichts besonderes ist, ein schwuler Besucher zu sein, einfach, weil es alle sind. Die Rercherche endete in Trostlosigkeit: nichts da. Eine grosse Stadt – und kein besonderer Ort, der nicht nur per Flagge, sondern auch durch die Besuchenden als regenbogenhaftert Ort ausgewiesen ist. So wie in Kopenhagen etwa das «Centralhjörnet», wo man nicht cool aneinander vorbeiguckt, sondern miteinander in Kontakt kommt, weil das Bier so schwemmt und die Laune zum Mitgrölen einlädt.
Allein: In Trondheim ist von dieser queeren, ja, schwulen Kneipenkultur nichts mehr vorhanden. Als «gay friendly» wird bei schneller Internetsuche ein Lokal ausgewiesen. Aber davon abgesehen, dass doch bitte schön in Norwegen alle gay friendly zu sein haben und dies doch kein Kriterium mehr zu sein hat, gab es auch diesen Laden nicht mehr. In einem Chat zu diesem dichtgemachten Lokal lasen wir, dass ein Student aus Indien ergreifend offen ein Lokal in seiner Unistadt Trondheim sucht: «Wo treffe ich gay people?“ – und er unentwegt, ja, unverständig und hartnäckig geantwortet bekommt, man treffen sie überall.
Verstanden die nicht, worauf der junge Homo aus Indien hinaus wollte? Erotisierbare Kontakte, ohne gleich in die Internetfleischbörsen gehen zu müssen. Hätte er in irgendeinem, womöglich gay friendly ausgewiesenen Café ausrufen sollen: Kann ich sie kennenlernen, sind sie wie ich, anders als die anderen – und könnte ich mein Begehren an ihre Adresse richten?
Es scheint, als ob wir in den liberalisierten Ländern einen Preis zahlen – der nicht gering ist: Weil Queer Folks es nicht mehr nötig haben, in schwule Lokale zu gehen, haben diese immer weniger Gäste. Und deshalb sterben diese Läden. Das Ende vom Lied ist, dass es keine Ankerpunkte mehr für uns gibt, keine Zonen des Daseins ohne Zweck, ausser dass man dort fraglos schwul ist und man davon ausgehen kann, dass es die anderen auch sind.
Zu Besuch bei den «Golden Gays» – Dragqueens in Manila
Immer mehr dieser Lokale, die städtisch sichtbaren Zeichen unserer Existenz, verschwinden. Neulich waren wir in Gent, Belgien, in einem Schwulenschuppen ohne Jugendterrorappeal Freitag Abends die einzigen Gäste. Insgesamt gibt es ja noch Diskos und Disco-Events, aber diese schwulen Fixsterne am heterosexuellen Himmel – die fehlen sehr. Wo wird denn künftig das Gefühl bestärkt, nicht die einzige homosexuelle Person zu sein in einer bestimmten Stadt?
Kurzum: Unser Trip in den freien Norden sollte ein spektakulärer, in schwuler Hinsicht eher unauffälliger Urlaub werden. Diese drei Wochen waren krass schön, aber Sorgen machen mussten wir uns dort schon: Die Liberalisierung, die uns zum Verschwinden bringt, es sei denn, man wandelt auf Sexcruisingseiten im Netz. Aber ist es das, was wir wollten?
*Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar zu einem aktuellen Thema, das die LGBTIQ-Community bewegt. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.
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