«Es ist wichtig, dass Heteros bei der Pride mitlaufen»
Tamy Glauser ist Präsidentin des Vereins Swiss Diversity Award
Am 5. September geht in Bern zum zweiten Mal der Swiss Diversity Award über die Bühne. Präsidentin Tamy Glauser spricht über die Bedeutung der Veranstaltung und darüber, ob sie die Rolle der Vorzeigelesbe langsam satthat.
Tamy, vor zwei Jahren warst du noch Gast beim Swiss Diversity Award, jetzt bist du Präsidentin. Wie kam es dazu? Ich wurde angesprochen, ob ich die Rolle annehmen wollte. Lange überlegen musste ich nicht! Es gibt nichts Besseres, was zu mir passt, als Diversität. Daher fühle ich mich sehr geehrt.
Deine Mutter ist halb Nigerianerin. Wie erlebst du die «Black Lives Matter»-Bewegung? Als eine sehr wichtige. Es gibt sie schon sehr lange, nur erhält sie dank den sozialen Medien eine viel grössere Reichweite – ähnlich wie «Me Too». Der Zusammenhalt ist bei solchen Anliegen unglaublich wertvoll und beschränkt sich nicht nur auf Dunkelhäutige – auch Weisse sind gefragt! Das gleiche gilt in der LGBTIQ-Community: Es ist wichtig, dass Heteros bei der Pride mitlaufen. Die Signalwirkung ist nicht zu unterschätzen.
Wieso braucht es heute noch einen Diversity Award? Eine berechtigte Frage. Ich wünsche mir, es bräuchte ihn nicht. Er zeichnet Menschen aus, die sich hinter den Kulissen für mehr Diversität einsetzen und macht sie sichtbar. Sie erhalten eine Plattform und werden für ihre oft ehrenamtlich geleistete Arbeit geehrt.
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Mathias Reynard ist jetzt zum zweiten Mal hintereinander für den Politics Award nominiert. Gibt es nicht genügend Menschen, die sich in der Politik für Diversity einsetzen? Mathias Reynard wurde an der ersten Award Night nominiert, da er die parlamentarische Initiative für den Antidiskriminierungsschutz ins Parlament gebracht hat. Wir fanden das eine tolle Leistung. In diesem Jahr wurde er nochmals nominiert, da wir gerne seine Leistungen in Bezug auf seinen Erfolg der Initiative würdigen wollten. (Tamy Glauser bezieht sich auf die Ausdehnung der Anti-Rassismusstrafnorm auf die sexuelle Orientierung, MANNSCHAFT berichtete, Anm. d. Red.)
Diversity wird heute in vielen Firmen grossgeschrieben. Warum kommt das Thema heute so gut an? Eben dank Bewegungen wie «Me Too», die Firmen den Spiegel vorhalten. Unternehmensleitungen haben auch realisiert, dass Arbeitnehmer*innen produktiver sind, wenn sie sich am Arbeitsplatz akzeptiert fühlen. Für beide Seiten ist das ein Gewinn. Mehrere Studien belegen das.
Acht Awards werden vergeben, darunter auch in den Kategorien Sport und Kunst. Wieso sind diese Bereiche für Diversität zentral? Alle Bereiche sind bedeutende Schauplätze der Vielfalt, gerade der Sport. Man denke etwa an den Fussball: Geht es um Hautfarben, ist er divers, aber nicht bei der Sexualität. In der Kunst ist es einerseits wichtig, dass Diversität in der Öffentlichkeit sichtbar gemacht wird, andererseits, dass auch die Künstler*innen möglichst vielfältig sind.
Letztes Mal gab es noch einen Refugee-Award, dieses Mal nicht mehr: Aus welchem Grund? Vor zwei Jahren war die Flüchtlingskrise ein sehr dringendes Thema und medial präsent. Ich will damit nicht sagen, dass es jetzt nicht mehr aktuell ist. Wir mussten die Anzahl der Awards einschränken. Sonst könnte man noch viele weitere Bereiche hinzufügen.
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Corona ist in der Schweiz noch immer sehr präsent. Muss die Verleihung im Notfall online verlagert werden? Wegen Corona mussten wir die Verleihung schon einmal verschieben. Wir hoffen natürlich, dass wir die Award Night am 5. September durchführen können. Auf dem Programm stehen mehrere Auftritte von diversen Künstler*innen. Gerade deshalb und für unser Anliegen der Sichtbarkeit finde ich es zwingend, dass der Event nicht einfach online, sondern live stattfindet.
Als «Tamynique» gelten deine Partnerin Dominique Rinderknecht und du als lesbisches Vorzeigepaar der Schweiz. Geht dir diese Rolle auch mal auf den Wecker? Nein, überhaupt nicht. Ich bin, was ich bin, und stehe für das, was ich stehe. Es wäre komisch, wenn mich das aufregen würde.
Wie fest treffen dich Negativschlagzeilen oder Hasskommentare? Nicht sonderlich. Die Medien verzerren oft die Realität. Wenn ich auf Menschen zugehe, die schlecht von mir denken, sagen sie mir oft: «Du bist ganz anders, als ich es mir vorgestellt habe.» Schlagzeilen müssen ziehen und Klicks generieren. Wer in den Medien ist, gewöhnt sich daran.
Haben die Medien im Bereich LGBTIQ dazugelernt oder treten sie immer noch in Fettnäpfchen? Die Gesellschaft allgemein ist viel näher dran am Thema, somit auch die Medien. Das Queersein wird allmählich zur Realität.
Du wärst beinahe in die Politik eingestiegen. Ist das jetzt endgültig vom Tisch? Ich interessiere mich immer noch für politische und gesellschaftliche Themen. Zurzeit steht bei mir jedoch noch viel anderes Programm, zum Beispiel meine Tätigkeiten als DJ. Einen Einstieg in die Politik schliesse ich aber nicht aus.
Du bist in Stettlen bei Bern aufgewachsen und hast einmal gesagt: «In Bern hätte ich mich nie geoutet.» Wäre das heute immer noch so? Lacht. Ich glaube heute könnte ich mich auch in Bern outen.
Der Swiss Diversity Award findet am 5. September 2020 im Kursaal Bern statt. Zu den Laudator*innen gehören unter anderem Marco Fritsche und Olivier Borer. diversityaward.ch
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