Wie queer ist die Erotikmesse Venus?
Die Berliner Messe bietet vieles - nur keine Diversity
Die Erotikmesse Venus ist weltweit eine der grössten ihrer Art und verbucht jährlich um die 30’000 Besucher*innen. Wir wollten herausfinden, wie vielfältig das Angebot der Venus ist. Das Fazit ist ernüchternd.
Über 250 Aussteller aus rund 40 Ländern präsentieren Neuheiten aus den Bereichen Internet-, Multimedia- sowie Adult-Entertainment. Auf einer Fläche von 23 000 Quadratmetern. Das klingt zunächst einmal vielversprechend, hatte ich sonst eher Vorurteile bezüglich der Venus, die seit 1997 in Berlin stattfindet, im Kopf. Und zwar, dass dort Scharen von testosterongesteuerten Männern mit Kameras umherlaufen, um die Speicherkapazitäten ihrer Geräte bis aufs Letzte mit Aufnahmen nackter Frauen zu füllen. Gemeinsam mit zwei Freunden mache ich mich an einem sonnigen Samstagmorgen auf den Weg, um die Messe auf ihre Schwulenfreundlichkeit hin zu prüfen.
Wie aufgeregte Teenies Hätten wir gewusst, dass Alkohol auf der Venus keineswegs verboten, sondern an nahezu jedem Getränkestand erhältlich ist, hätten wir den Dosencocktail, den wir eben auf dem S-Bahn-Gleis hinuntergestürzt haben, vielleicht gar nicht gebraucht. Nur wollten wir uns ein wenig Mut machen, bevor wir uns ins Getümmel wagen. Wie drei aufgeregte Teenies traben wir in Richtung des Messegeländes, direkt am Funkturm. Am Schalter holen wir unsere Pressetickets ab, erhalten eine kleine Einweisung und kommen aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Architektonisch bietet das alte Gebäude nämlich einiges an Imposanz und Grössenwahn.
Dass dies auch schon das Highlight des heutigen Tages gewesen sein wird, ahnen wir da noch nicht. Das Licht strahlt von aussen durch die bunten Glasfenster und trifft auf massive rote Banner mit den Werbegesichtern der Venus. In diesem Jahr fungieren das beliebte Erotiksternchen Micaela Schäfer und Schlagerstartochter Patricia Blanco als Botschafterinnen für mehr Spass am Sex. Beschenkt mit einer Tüte, in der sich – trotz des überwiegend männlichen Publikums – ein so genannter Satisfyer zur Stimulation der Klitoris befindet, entern wir die erste der vier Ausstellungshallen.
Schock lass nach Plastik, wohin das Auge reicht! Statt namhaften Produzent*innen hochwertiger Sexspielzeuge oder grossen Pornofilmfirmen erwarten die Besucher*innen Stände voller Plunder, die jedem Billigflohmarkt Konkurrenz machen. Die Präsentation erinnert dabei eher an eine Kindergartenbastelstunde als an ein ernstzunehmendes Vertriebstreffen. Mit Ausnahme der beworbenen Artikel natürlich. Von Vibratoren über tonnenweise günstig produzierte Unterwäsche bis hin zu einer riesigen Auswahl an Haarentfernungsmittelchen, deren dermatologische Verträglichkeit eher fragwürdig scheint, reiht sich eine Nutzlosigkeit an die nächste.
Es wirkt beinahe so, als wolle man die Erotikbranche ganz bewusst in die Schmuddelecke zurückdrängen, aus der sie sich in den letzten Jahren zunehmend freigekämpft hat. Ästhetik ist ein Fremdwort, das neonfarbenen Angebotsstickern mit handschriftlich ausgewiesenen Spottpreisen weichen muss.
Verwundert ziehen wir an leichtbekleideten Amateurdarstellerinnen und einer Liveshow vorbei, bei der sich eine Performerin Kruzifixe vaginal einführt. Um uns herum begeisterte Gesichter. Männer, denen gefällt, was sie sehen. Männer, die endlich den Stars, die ihnen sonst nur vom Bildschirm entgegenflimmern, nah sein können. Sie vielleicht sogar kurz anfassen dürfen. Und Frauen. Frauen, die amüsiert grinsen.
Schwule dürfen nicht zuschauen In der nächsten Halle ein ähnliches Bild, wobei es gerade hier eine Neuerung der Venus zu entdecken geben soll. Versteckt in einer dunklen Ecke steht ein unscheinbarer Container mit der Aufschrift «Ladies Area». Stripshows muskelbepackter Kerle finden darin statt. Auf die Frage, ob wir als schwule Männer vielleicht zuschauen dürften, werden wir abgewiesen. Also geht es weiter zur Hauptbühne, auf der eine als «rassige Italienerin» beworbene Pornodarstellerin masturbiert.
Diversity wird so kleingeschrieben, dass sie schlicht nicht vorhanden ist.
LGBT . . . was? Ich könnte noch viele Anekdoten dieser Art aus dem Nähkästchen holen, doch war meine Mission eine andere. An einem Stand, an dem Pornos verkauft werden, stolpern wir über ein paar Schwulenfilme. «Hätte sich komisch angefühlt, die nicht einzupacken», erklärt der Betreiber. Viel Umsatz mache er mit dieser Art von DVDs jedoch nicht. Das Interesse fehle hier einfach.
Besser sieht es da schon ein paar Meter weiter bei den Real Dolls, mit Silikon überzogenen, lebensgrossen Puppen, aus. «Die männlichen Exemplare werden gern von Gays bestellt», witzelt der Verkäufer, ohne sich Gedanken zu machen, dass die drei Männer, die vor ihm stehen, selbst schwul sein könnten. Belustigt spielt er mit dem Penis einer der Puppen herum.
Aber kann man es ihm verübeln? Nicht wirklich, denn Diversität wird auf der Venus nicht nur kleingeschrieben, sie ist schlichtweg nicht vorhanden. Regenbogen dienen einzig und allein der geschmacklosen Inszenierung süsslicher Liköre und schwule Männer nehmen lediglich die Rolle von Stylisten ein, die willigen Damen Extensions in die Haare knipsen. Zu dieser Erkenntnis gelange ich zumindest, bevor wir auf den letzten Teil des Ausstellungsgeländes zusteuern. «Kinky Venus» prangert in massiven Lettern darüber. Während auf der Bühne zwei Männer von einer Domina mit Peitschenhieben bedacht werden, fällt mir auf, dass einer von ihnen Dessous trägt.
Als mein Blick weiter durch die Gegend schweift, entdecke ich ausserdem Ledersklaven, Herren auf hochhackigen Schuhen und eine trans Frau, die einen menschlichen Hund an der Leine führt. Die Fetischszene macht ihrem Ruf alle Ehre und beweist, dass sie keine Berührungsängste gegenüber Andersartigkeit kennt. Ganz nebenbei eröffnet sich so ein Raum, in dem man der überkompensierten Heteronormativität, die den Rest der Venus fest im Griff hält, für einen Moment zu entkommen vermag. Zwar rümpfen einige Besucher*innen empört die Nase, als sie sich das bunte Treiben zu erklären versuchen, ich hingegen stelle fest, wie gut sich Toleranz anfühlen kann, wenn sie einem mit voller Wucht begegnet.
Auf Nimmerwiedersehen Den Tag als lehrreiche Erfahrung einzustufen, wäre vielleicht zu hoch gegriffen. Nur zwang mich mein Besuch auf der Venus, für ein paar Stunden meine Komfortzone zu verlassen und mich mit der Tatsache auseinanderzusetzen, dass Erotik eben nicht automatisch für alle dasselbe bedeuten muss. In der Hoffnung, dass das Erlebte trotzdem kein Abbild der breiten Masse darstellt, gelange ich zu der Erkenntnis, dass verschiedenste Gruppen an dieser Messe wohl eher weniger Freude haben dürften. Neben Mitgliedern der LGBTIQ-Community sind auch Vertreter*innen unterschiedlichster Ethnien sowie feministisch denkende Menschen deutlich unterrepräsentiert beziehungsweise gänzlich unsichtbar. Es ist ein Event für den weissen, heterosexuellen Mann, wie er überspitzt im klischeeartigen Buche steht. In einer weltoffenen Stadt wie Berlin wirkt die Venus daher fast wie ein Fremdkörper, wie eine nicht wirklich ernstzunehmende Veranstaltung. Vielleicht sogar wie eine Persiflage dessen, was sie hätte sein können.
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