Ein indigener Two-Spirit nimmt uns mit in seine Welt
Leben zwischen Grossstadt und Reservat, Spiritualität und Sexarbeit
Queere Literatur für den Sommer: In «Der kleine Junge, der ich war» erzählt Galia Salimo von ihrer Vergangenheit, «Queer Heroes» stellt 53 LGBTIQ-Held*innen vor und in «Johnny Appelseed» erzählt Joshua Whitehead von seinem Leben als Two-Spirit in der Grossstadt.
Der erste Absatz Mit acht wurde mir klar, dass ich schwul bin. Ich blieb spätabends auf, wenn alle anderen schon im Bett waren, und sah mir im Fernsehen meiner Kokum Queer as Folk an.
Das Genre Debütroman über einen indigenen queeren Two-Spirit unserer Zeit.
Die Handlung Jonny Appleseed ist queerer NDN (Slangeigenbezeichnung für Indigene) aus dem kanadischen Oji-Cree-Stamm. Er hat das Reservat verlassen und schlägt sich nun in der Grossstadt Winnipeg als Sexarbeiter durch. Seine Kunden sind fasziniert vom Indianer-mythos. Er weiss dies gekonnt einzusetzen und lässt sie glauben, dass er wie ein Naturgeist seine Gestalt wechseln kann. Aufgrund des Todes seines Stiefvaters muss er zurück ins Reservat zur Beerdigung. Um sich die Reise leisten zu können, arbeitet er unermüdlich – gar so weit, dass er nicht sicher ist, ob das sein Körper mitmachen wird.
Gaymer und die lang erkämpfte Vielfalt in Videospielen
Dazwischen lässt uns Jonny immer wieder an seinen Gedanken und Reisen in die Vergangenheit teilhaben. So erfahren wir, was es für ihn bedeutet hat, als schwuler Two-Spirit in einem Reservat aufzuwachsen, lesen über seine Liebe zu Tias und über seine Beziehung zu seiner geliebten Mutter (die zäheste NDN) und seiner weisen Kokum (Grossmutter), die ihm mit ihren Weisheiten immer zur Seite stehen und ihm im Leben halt geben.
Das Urteil Gleich vorneweg: Ich bin ein bisschen verliebt in dieses Buch. Das Lesen dieses Romans hat mich auf eine Weise fasziniert und mir eine Welt gezeigt, die ich in der Art noch nicht kannte. Neben meiner Schwäche für Geschichten mit verlorenen und traurigen Gestalten haben es mir vor allem die Sprache und die traumhaften Bilder angetan. Jonny stellt sich bei grauem Wetter zum Beispiel vor, dass seine Kokum im Reservat gerade ein Feuer entzündet hat und der Rauch bis nach Winnipeg reicht und nach Zedern und Esche riecht. Wunderbar, oder? Und so vermischt Joshua Whitehead, selbst ein Oji-Cree, gekonnt Tradition und Spiritualität mit dem modernen Leben in der Grossstadt, ohne dabei anklagend zu sein oder dem Selbstmitleid zu verfallen. Das Buch ist also nicht nur optisch ein perfektes Sommerbuch – Reisen im Kopf ahoi!
Roman, 272 Seiten, Albino Verlag, 2020
Patrick Roth von der Buchhandlung Queerbooks hat «Jonny Appleseed» für uns gelesen. Dort kann man das Buch auch bestellen.
Weitere Buchtipps:
«Queer Heroes – 53 LGBTQ-Held*innen» von Arabelle Sicardi
Von der griechischen Dichterin Sappho über Alan Turing und Frida Kahlo bis hin zu Freddie Mercury, Ellen DeGeneres sowie Lana und Lilly Wachowski: Farbenfrohe Illustrationen und kurz gehaltene Biografien feiern die Errungenschaften von LGBTIQ-Personen aus der ganzen Welt und aus den unterschiedlichsten Zeitepochen. Die Porträts beleuchten 53 queere Persönlichkeiten aus Kunst, Literatur, Sport und Aktivismus, die einen grossen kulturellen Beitrag geleistet und zum Kampf für die Gleichberechtigung beigetragen haben.
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Ein Buch für junge Menschen, für Freund*innen und Angehörige, und auch für solche, denen ein solch ermächtigendes Buch in ihrer Jugend gefehlt hat.
Biografien, 64 Seiten, Prestel Verlag
«Der kleine Junge, der ich war» von Galia Salimo
Galia Salimo erzählt ihre Lebensgeschichte. Bei Geburt dem männlichen Geschlecht zugeordnet, wuchs sie als ältestes Kind namens Domino in einer Grossfamilie im Marseille der Fünfzigerjahre auf. Doch der vermeintliche Junge mit den feinen Gesichtszügen spielt lieber mit Mädchen als mit Jungs und hat eine Vorliebe für die langen Kleider der Mutter. Mit 17 Jahren flüchtet Domino nach Paris. Galia wird geboren und erobert als Revuetänzerin die Stadt. Die Presse nennt sie die «Königin des Pariser Nachtlebens».
Mit Liebe, Humor und Offenheit erzählt Galia Salimo aus ihrer Kindheit und ihrem Leben, das nun hochkarätig besetzt in Frankreich verfilmt wird.
Biografie, 224 Seiten, Nagel & Kimche (erscheint am 17.8.)
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