Woher kommt der Hype um den Edgar Cut?
Comeback des Topfschnitts, neu mit Dauerwelle
Gehypter Topfschnitt, Jungs mit Dauerwelle: Was ist bloss mit jungen Männern los? Der Edgar Cut offenbart beispielhaft, wer bei bestimmten Trends nicht mehr mitkommt und wie manche Männer heute ticken.
Von: Gregor Tholl, dpa
Kein gutes Haar an der Jugend zu lassen, ist oft ein Zeichen dafür, dass jemand alt ist – zumindest im Kopf. Das scheint seit Jahrtausenden schon so zu sein. Apropos kein gutes Haar: Frisuren waren schon oft Anlass, Generationenkonflikte zu schüren. Beispiele: Hippies, Punks. In den letzten Wochen war der Edgar Cut – eine moderne Version des Topfschnitts – ein Medienthema und oft auch eine haarige Angelegenheit. Schnell war er Spott-Ziel. ‹Boah, ist das hässlich›, äussern Ältere – ähnlich wie beim Vokuhila – und lästern über die «Gen Z» (Generation Z; die seit Mitte der 90er Geborenen).
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Ein Schweizer Friseur, Cheyne Lewin Hofer, machte Edgar auch in Europa zum Internet-Hit. Seine Clips bei Tiktok @wizdomblendz werden millionenfach geklickt. Auch deutsche Fans reisen laut einem Artikel von 20min demnach extra nach Zuchwil (Kanton Solothurn) zwischen Basel und Bern.
Die Vorher-Nachher-Videos bringen den Kunden Fame. Viele Zuschauer*innen sind vom Fachvokabular in den Clips mit Begriffen wie «Taper-Fade», «Hair-Line» und «cleanes Line-up» belustigt. Es gibt eine Menge Lästervideos und Gags. Aktionen in TV-Shows wie «ZDF Magazin Royale» mit Jan Böhmermann oder «Late Night Berlin» mit Klaas Heufer-Umlauf kamen hinzu. «Warum haben sie dem das Toupet falschrum aufgesetzt?»
Wie kommt es, dass Haare immer wieder so viele Emotionen freisetzen? Die Männerfrisur «Edgar»: Das ist oben längeres, wuscheliges Haar, gar Dauerwelle, und eine harte Kante am Pony – und dann ganz akkurat ausrasiert an den Seiten und hinten. Pisspottschnitt, Pilzfrisur sagen böse Zungen, Fachleute sagen auch «Hi-Top Fade» oder «Box Fade».
Erst war der Schnitt wohl Mode in Nord- und Südamerika. Der Name soll auf den Baseballspieler Edgar Martínez zurückgehen, manche nennen auch den 90er-Jahre-Rapper Edgar Esteves. Aber irgendwie weiss man es nicht so recht. Klischee-Träger sind jedenfalls Latino-Jungs.
Erst die Perlenkette, nun total akkurate Haarschnitte, für die man eigentlich alle paar Tage zum Friseur muss – und dann womöglich auch noch Dauerwelle?! Sind junge Männer auf der Suche nach dem Oma-Lifestyle und 80er-Minipli-Look?
Die Zuschreibung als ‹hässlich› oder ‹Oma-Frisur› – das sehen viele 18-Jährige einfach gar nicht so
Falsche Fragen, findet Diane Weis, Professorin für Modejournalismus in Berlin. Fast skurriler als dieses Aussehen sei meist das Bedürfnis von Leuten, sich darüber lustig zu machen. «Die Zuschreibung als ‹hässlich› oder ‹Oma-Frisur› – das sehen viele 18-Jährige einfach gar nicht so, weil es für sie historisch unbelastete Looks sind.»
Weis erklärt, es gebe nun auch in Deutschland die Kultur, dass sich Männer beim Friseur (besser: Barbier) zum Styling treffen. Geprägt sei das von türkischen und arabischen Bräuchen, Einflüssen afroamerikanischer Kultur oder auch von Latinos. «Wer eine akkurate Frisur will, der geht dann öfter zum Barber. Und das ist dann auch ein soziales Event. Wenn Männer gepflegt sein und gut riechen wollen, wenn sie Zeit investieren in ihr Aussehen und man das eben merkt, dann wundert das immer noch viele in Deutschland, wo es lange Zeit schon verdächtig war, wenn sich ein Mann die Zehennägel schnitt.»
Das sind meist heteromännliche Selbstentwürfe
In Zeiten von Tiktok-Phänomenen sei es typisch, dass manche Sachen wahnsinnig gehypt werden. Als Verweiblichung oder aber als queer müsse man den Kult um Männerfrisuren dabei übrigens nicht deuten, sagt Weis. «Das sind meist heteromännliche Selbstentwürfe. Viele Frauen kennen das nur schon länger, dass ein Friseurbesuch durchaus ein Mental-Health-Tool sein kann, also dass es gut tut, sich Zeit für sich selber zu nehmen. Man bekommt danach Komplimente in den Kreisen, die einem wichtig sind, man fühlt sich einfach gut.»
Auch der Kulturwissenschaftler Moritz Ege von der Universität Zürich sieht einen grundsätzlichen Wandel bei vielen Jungs und jüngeren Männern: «Dieses Bekenntnis dazu, gut aussehen zu wollen und sich dafür auch anzustrengen, das ist etwas, das lange Zeit in vielen Kontexten als unverträglich mit konventioneller Männlichkeit galt. Das hat sich aber in den letzten Jahrzehnten qualitativ verändert.»
Ege, Professor für Populäre Kulturen und Empirische Kulturwissenschaft, sieht das als schleichenden Prozess seit der medialen Figur des Metrosexuellen in den späten 90ern und frühen Nullerjahren. Körperpflege und Körpermodellierung seien für Männer seitdem viel selbstverständlicher geworden. «Damals wurde mit Verwunderung über gestylte junge Männer als ‹Metrosexual› gesprochen. Hetero-Männer würden sich jetzt – wie sonst angeblich nur Schwule – aufwendig hübsch machen», sagt Ege. «Das alles ist etwas, was heute bei den Kategorien vieler junger Menschen keinen Sinn mehr ergibt, einfach weil es diese Verblüffung nicht mehr so gibt.»
Zur Edgar-Frisur sagt Ege allgemein: «Kopfhaar hat immer eine gewisse Sprengkraft, weil es mit seinem ständigen Nachwachsen Vitalität symbolisiert und sich auch deshalb als Natursymbol anbietet und Haareschneiden dann für die Bändigung des Natürlichen steht.» Das sei ein Spiel von Natur und Kultur, eine Selbstdisziplinierung, wenn man an den Aufwand denkt, der für eine korrekte Haartracht nötig ist.
Und der Edgar im Speziellen? «Diese Frisur kennzeichnet besonders das Versöhnen der Widersprüche: extreme Kante und Fade und dann wuschelige Haare drüber.» Auch hierzulande, sagt Ege, werden wir uns daran gewöhnen, dass es auch in der Männermode mehr milieuspezifische Ästhetiken und schnell wechselnde Trends gibt.
Nun wird auch in der Schweiz umgesetzt, was in anderen Ländern längst Standard ist: Im Juli hatte Swissmedic die Blutspenderegeln für Männer, die Sex mit Männern haben, angepasst. (MANNSCHAFT berichtete).
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