Die Schweiz bei der WM in Katar: Dialog statt Protest
Der Schweizerische Fussballverband glaubt an Fortschritte
Stadien auf Kosten von über 6’500 Menschenleben in einem Land, wo Homosexualität verboten ist: Kann man in Katar guten Gewissens ein Fussballturnier spielen? MANNSCHAFT hat bei der Schweizer Nati der Männer nachgefragt.
Fussballteams pflegen es, nach Todesfällen von Persönlichkeiten, die mit dem Fussball verbunden waren, eine Schweigeminute abzuhalten. Würden die Mannschaften an der Weltmeisterschaft in Katar für jeden Arbeiter, der wegen des Stadionbaus sein Leben liess, dasselbe tun, müssten sie fast fünf Tage lang ohne Unterbruch schweigend am Mittelkreis stehen.
Dazu kommt, dass Homosexualität im vorderasiatischen Emirat illegal ist und mit Gefängnis bestraft wird. Kein Grund zur Kritik für Ex-FIFA-Boss Sepp Blatter – vielmehr eine Aufforderung zur Enthaltsamkeit. Homosexuelle Fussballfans sollen doch bitte während ihres Aufenthalts in Katar aus Respekt auf Sex verzichten, sagte er damals nach der WM-Vergabe.
Boykottaufrufe gab es von Anfang an. Doch nun, da sich die ersten Teams für das Turnier in einem Jahr qualifiziert haben, werden sie wieder lauter – und konkreter. Kann man vor diesem Hintergrund mit gutem Gewissen an dieser Weltmeisterschaft teilnehmen? MANNSCHAFT hat bei der Schweizer Fussball-Nati der Männer nachgefragt.
Dialog statt Boykott «Wir haben uns schon im Herbst 2020 dafür entschieden, uns nicht über einen Boykott, sondern über den Dialog proaktiv in das Thema einzubringen», sagt Adrian Arnold, Leiter Unternehmenskommunikation beim Schweizerischen Fussballverband (SFV). Dazu habe SFV-Präsident Dominique Blanc eine Arbeitsgruppe mitbegründet. Diese setze sich für die Verbesserung der Menschenrechtssituation in Katar ein und bestehe aus der UEFA, neun europäischen Landesverbänden, der International Labour Organisation (ILO) und Amnesty International.
«Es gab seit Beginn des Jahres mehrere Kontakte, nicht nur mit der FIFA und anderen Landesverbänden, sondern auch mit der ILO, dem globalen Gewerkschaftsbund der Bau- und Holzindustrie und Amnesty International», erklärt Arnold weiter. «Dabei konnten wir feststellen, dass es sehr wohl Verbesserungen für die Wanderarbeiter in Katar gibt wie zum Beispiel die Aufhebung des restriktiven Kafala-Systems, was mehr Freiheit bei der Arbeitsplatzwahl und einen Mindestlohn mit sich brachte.»
Der SFV sei sich aber bewusst, dass es noch weitere Anstrengungen brauche, um die bisherigen gesetzlichen Verbesserungen auch wirklich durchzusetzen und um zusätzliche Fortschritte zu erzielen.
Hitzlsperger zweifelt Thomas Hitzlsperger ist gerade bei solchen Aussagen skeptisch. Der schwule Ex-Nationalspieler und heutige Vorstandschef des VfB Stuttgart sagte dem Magazin Kicker, dass er «nicht an eine nachhaltige Verbesserung» glaube. Russland sei schliesslich nach der letzten WM auch nicht demokratischer und liberaler geworden.
«Es wird der FIFA nicht schwerfallen, vier Wochen lang Bilder zu zeigen, die den Eindruck von Fortschritt vermitteln, ohne dass sich im Land in den kommenden Jahren grundsätzlich etwas ändert», befürchtet Hitzlsperger.
Dänen mit kritischen Botschaften Der Schweizerische Fussballverband stellt bereits jetzt schon klar: Protestaktionen der Schweizer Spieler wird es nicht geben. «Der Mannschaftsrat der Nationalmannschaft hat sich im März dafür entschieden, vorläufig keine Aktionen auf dem Platz durchzuführen. Die Spieler unterstützen das Vorgehen des Verbandes, den Weg des Dialogs, und werden es mittragen», so Adrian Arnold.
Ganz anders sieht dies indes bei den ebenfalls bereits qualifizierten Dänen aus: Wie die FAZ berichtet, sind wegen der Menschenrechtsverletzungen in Katar mehrere Protestaktionen geplant. So werden statt Werbung der Sponsor*innen kritische Botschaften über Katar auf der Trainingskleidung zu sehen sein.
Zugleich will der Verband die Zahl der aus Dänemark anreisenden Verbandsvertreter*innen minimieren, um zu unterstreichen, dass es um den sportlichen Erfolg der Mannschaft gehe – und nicht um Werbung für Veranstaltungen der WM-Organisator*innen.
Sanktionen zu erwarten Die FIFA hat mit den umstrittenen Machthabern, mit denen sie sich gerne umgibt, etwas gemeinsam: Kritik wird nicht geschätzt. Jegliche kritische oder auch nur annähernd «politische» Aktionen auf dem Platz – beziehungsweise vor den Kameras – bestraft der Weltfussballverband radikal.
Wie MANNSCHAFT im Sommer herausfand, hatte die FIFA der Schweizer Nati das Tragen der Regenbogenbinde untersagt. Dass Manuel Neuer für seine bunte Kapitänsarmbinde an der vergangenen Europameisterschaft Ärger gekriegt hat, war deshalb wenig erstaunlich (MANNSCHAFT berichtete).
Denkbar also, dass die dänische Mannschaft mit Strafen rechnen muss. Mögliche Sanktionen: Geldbussen, Geisterspiele – und im Extremfall Punktabzüge. Spätestens dann kämen sich der sportliche Erfolg und der Vorsatz der kritischen Aufklärung in die Quere.
Unterstütze LGBTIQ-Journalismus
Unsere Inhalte sind für dich gemacht, aber wir sind auf deinen Support angewiesen. Mit einem Abo erhältst du Zugang zu allen Artikeln – und hilfst uns dabei, weiterhin unabhängige Berichterstattung zu liefern. Werde jetzt Teil der MANNSCHAFT!
Das könnte dich auch interessieren
Referendum
Basel lässt sich den ESC nicht vermiesen
Der Contest wurde als «Propagandaplattform» für Queers geschmäht. 2025 kommt er in die Schweiz
Von Newsdesk/©DPA
Religion
Schweiz
Kultur
Eurovision Song Contest
Kurznews
++ Katholische Forderung nach LGBTIQ-Schutz ++ Festnahme nach Beleidigung ++
Kurz, knapp, queer – die LGBTIQ-Kurznews aus Deutschland. Unser Nachrichtenüberblick für die Woche ab dem 18. November 2024.
Von Newsdesk/©DPA
Deutschland
Gendern
Queerfeindlichkeit
Religion
News
News
Bekommt Polen einen queerfreundlichen Präsidenten?
Polen wählt im kommenden Jahr seinen neuen Präsidenten. Regierungschef Tusk schickt einen queerfreundlichen Politiker ins Rennen. Bei der letzten Wahl gab es für den 52-Jährigen ein vielversprechendes Ergebnis.
Von Newsdesk/©DPA
International
Coming-out
«Schäme micht nicht»: Sänger Khalid outet sich
Der Grammy-Gewinner war zuvor von einem Kollegen als schwul beschimpft worden
Von Newsdesk Staff
Musik
News