«Über Angriffe auf LGBTIQ wird zu wenig berichtet!»
Die Abstimmung ist seit dem Wochenende gelaufen: Daniel Schuhmacher ist unser Gayropäer 2019!
Über 1300 User*innen haben auf MANNSCHAFT.com den einflussreichsten schwulen Europäer gewählt. 29,41 % der Stimmen entfielen auf den Gewinner Daniel Schuhmacher. Tom Neuwirth alias Conchita Wurst kam mit 18,14 % der Stimmen auf Platz 2, und der britische Schauspieler Ian McKellen landete auf Platz 3 (11,19 %) – hier findet Ihr die Platzierungen 1 bis 13.
Daniel, unsere Leser*innen haben dich zum Gayropäer 2019 gewählt. Schön, oder? Ja! Ich war sehr sehr überrascht, denn Conchita oder Sir Ian McKellen haben eine ganz andere Reichweite als ich – das ist schon eine schöne Auszeichnung. Ich glaube, die Leute, die mir folgen auf Social Media, haben gesehen, dass es authentisch ist, was ich mache, unter anderem weil ich ja selber schwul bin. Ich fühle mich auf jeden Fall geschmeichelt, verstehe aber auch die Kommentare von Leuten, die sagen: Warum der? Aber auch wenn ich nicht die Reichweite von Kollegen wie Tom Neuwirth habe, mache ich trotzdem weiter. Offensichtlich erreiche und berühre ich Menschen. Für mich ist es ein schönes Zeichen, dass diese Menschen glauben, dass ich diese Auszeichnung verdiene.
«Die Musikindustrie kann homophob und sexistisch sein»
Es ist mittlerweile zehn Jahre her, dass du bei «Deutschland sucht den Superstar (DSDS)» gewonnen hast. Damals warst du noch nicht geoutet – das kam erst später. War es deine Entscheidung, damit zu warten oder hat man dir abgeraten? Es war meine Entscheidung. Bei RTL und den Verantwortlichen wusste es keiner. Ich war damals sehr jung und komme aus einer Kleinstadt am Bodensee. Ich musste erstmal damit klar kommen, dass ich durch diese Sendung in der Öffentlichkeit stehe und Menschen plötzlich eine Meinung zu mir haben. Darum war ich erstmal nicht bereit – ich bin da hingegangen, um zu singen und wollte erstmal als Mensch wahrgenommen werden, nicht als der schwule Sänger. Ich habe einen kleinen Bruder und eine Cousine, die gingen noch zur Schule – die hätten es wahrscheinlich in einer Kleinstadt schwer gehabt mit dem Thema. Da muss man auch an seine Familie und sein Umfeld denken. Ich habe auch einfach für mich ein paar Jahre gebraucht. Es muss mir damit gut gehen und ich muss glücklich mit der Entscheidung sein.
Ich war dann irgendwann auf einer Veranstaltung, mit meinem damaligen Freund. Und eine Reporterin fragte auf dem Roten Teppich: Bist du allein hier? – Nein. – Was macht denn die Partnerin beruflich?, wollte sie wissen. Der ist Student, sagte ich – und das war’s. Das war mein Coming-out. Mein Umfeld und meine Familie wussten es natürlich schon vorher.
Du kommst aus Pfullendorf in Baden-Württemberg und wohnst mittlerweile auch wieder dort. Ja, ich habe zwischendurch in Berlin und in Köln gewohnt, aber ich bin ein totaler Familienmensch. Ich habe hier Freunde, auf die ich mich verlassen kann, und bin auch Patenonkel – darum bin ich wieder zurückgekommen.
Du hast zweimal bei dem Kampagnensong von 100 % Mensch mitgemacht, trittst bei vielen CSDs auf, setzt dich gegen Homophobie ein. Gibt es ein Thema, das dich aktuell umtreibt? Mich ärgert, dass Angriffe auf LGBTIQ in der grossen Presse nicht thematisiert werden. Man findet Bericht darüber immer nur auf speziellen Seiten, und ich finde die Artikel, weil ich die Seiten abonniert habe, aber viele meiner heterosexuellen Freunde kriegen das gar nicht mit. Es gibt so viele Länder, in denen Homosexualität verboten ist, wo Schwule gejagt oder getötet werden. Sowas findet überhaupt nicht in der Presse statt. Da bin ich manchmal geschockt und überrascht.
Gibt es einen CSD, an den du dich besonders gern erinnerst? Ich erinnere mich immer gerne an den Christopher Street Day in München, der ist für mich sehr liebevoll gemacht. Da geht es um politische Themen, es ist friedlich, nicht nur ein Saufgelage – das finde ich wirklich schön. Auf den Münchner CSD freue ich mich immer … Jetzt hassen mich wahrscheinlich alle anderen CSDs (lacht).
«Believe» – Adam Lambert covert Cher
Bekommst du Zuschriften von jungen Queers, die Tipps für ein Coming-out brauchen? Ja, das passiert. Ich kann immer nur sagen, dass jeder und jede den Zeitpunkt selber bestimmen muss. Aber das Gute am Coming-out ist: Man hat als schwuler Mann oder lesbische Frau so viele Angriffsflächen, und die sind dann nicht mehr da. Wenn man auf der Strasse als Schwuchtel beschimpft wird, was mir früher oft passiert ist, dann kann ich heute sagen: Ja, und jetzt? Was ist die Quintessenz deiner Aussage? Das versuche ich den Leuten weiterzugeben .. Man findet immer auch Menschen, die einen verstehen und unterstützen. Man ist nicht allein.
Wie blickst du auf das Jahr 2019 zurück? Es war okay. Ich mache meine Musik, arbeite an Songs, und hoffe, dass ich noch mehr Menschen erreiche. Ich singe jetzt noch bis Ende Dezember in einer Gala-Show in Bregenz, «One Night in Mozart», mit vielen Artisten und Akrobaten aus unterschiedlichen Ländern und leckerem Essen. Ich habe dieses Jahr einiges geschrieben, war viel im Studio .. Aber es ist immer noch schwer mit diesem DSDS-Klischee, da steckt man bei vielen Leuten einfach in einer Schublade.
Gibt es einen Song oder einen Künstler, der dich in diesem Jahr besonders bewegt oder begeistert hat? Oh Gott, was ist denn dieses Jahr alles rausgekommen .. (denkt nach)
Netflix macht Jesus schwul – Petition lanciert
Konntest du mit Sarah Connors «Vincent» etwas anfangen? Ich glaube, jeder, der Teil der Community ist, konnte damit was anfangen. Ich fand auch die Diskussion echt lächerlich, den Song wegen eines Satzes «Vincent kriegt keinen hoch» nicht im Radio zu spielen (MANNSCHAFT berichtete). Ich höre selber ja recht wenig deutsche Musik, aber den hab ich gehört und fand ihn auch grossartig. Es gibt in dem Song ja auch nicht nur dieses eine Thema, aber es ist so schön eingebaut: Man hat es mit einer Frau versucht, aber es geht einfach nicht, weil man so ist, wie man ist .. Der Song ist toll und war sehr erfolgreich und das auch zu Recht.
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