Boris Johnson tritt als Parteichef zurück
Zuletzt war der Druck zu gross geworden, nachdem ein Parteifreund zwei Männer begrapscht haben soll
Er gebe «den besten Job der Welt» auf, erklärte Boris Johnson am Mittag.
Britischen Medienberichten zufolge ist es zunehmend unwahrscheinlich, dass Johnson nach seinem erwarteten Rücktritt als Tory-Parteichef bis zur Wahl eines Nachfolgers als Premier im Amt bleibt. Britische Journalisten berichteten von zahlreichen konservativen Abgeordneten, die sich für eine unmittelbare Ablösung Johnsons an der Spitze der Regierung aussprechen.
Die Regierung hatte zuvor bestätigt, dass sich Johnson noch am Donnerstag mit einer wichtigen Mitteilung an die Nation wenden wolle. Berichten zufolge will der 58-Jährige dabei seinen Rücktritt als Vorsitzender der britischen Konservativen bekanntgeben. Üblicherweise bleibt der scheidende Premier solange im Amt, bis ein Nachfolger gewählt wird. Doch dagegen regt sich wohl Widerstand.
Als letzter Tropfen erwies sich der jüngste Skandal um Johnsons Parteifreund Chris Pincher. Dabei geht es darum, ob der Premier von Vorwürfen gegen Pincher wegen sexueller Belästigung wusste, als er ihn im Februar in ein wichtiges Fraktionsamt hievte; Pincher soll zwei Männer im betrunkenen Zustand begrapscht haben. Ja, musste Johnson schliesslich einräumen. Er entschuldigte sich – doch die Rücktrittswelle konnte er damit nicht aufhalten. Aus der Partei schlägt ihm sogar Hohn entgegen. «Ich kann nicht glauben, dass er von einem Sexskandal zu Fall gebracht wird, in den er nicht selbst verwickelt ist», zitierte die Zeitschrift New Statesman einen Tory. Der Premier soll mehrere aussereheliche Affären gehabt haben.
Als Übergangspremier käme Johnsons Stellvertreter Dominic Raab infrage. Der Justizminister hielt jedoch bis zuletzt treu zu Johnson. Mehrere Kabinettsmitglieder gelten als potenzielle Nachfolger.
Auch der konservative Verteidigungsminister Ben Wallace kann sich gute Chancen ausrechnen. Er hatte sich früher abfällig über Schwule in den Reihen der Streitkräfte geäussert. Er hatte ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte kritisiert, das das Militärdienstverbot für Homosexuelle aufhob. Das schwäche die Organisation, so Wallace.
Danach nannte er seine Äusserungen «Mist». Die Gesellschaft habe sich weiterentwickelt. Dennoch gehörte Wallace zu 98 Abgeordneten, die im Jahr 2014 gegen die Ausweitung der Ehe für alle auf die britischen Militärstützpunkte in Übersee gestimmt hat.
Aussenministerin Liz Truss, zugleich zuständig für Frauen und Gleichstellung, brach Berichten zufolge eine Reise nach Indonesien ab und begab sich auf die Rückreise nach London. Sie gilt ebenfalls als aussichtsreichen Kandidatin.
Der skandalumwitterte Premier war in den vergangenen Tagen massiv unter Druck geraten. Mehrere Kabinettsmitglieder und Dutzende parlamentarische Regierungsmitarbeiter traten von ihren Posten zurück. Zuletzt forderte sogar der erst am Dienstag ins Amt berufene Finanzminister Nadhim Zahawi den 58-Jährigen zum Rücktritt auf.
Russland hat die Medienberichte über den erwarteten Rücktritt des britischen Premierministers mit Häme bejubelt. «Die ,besten Freunde der Ukraine‘ gehen. Der ,Sieg‘ ist in Gefahr!», schrieb der Vizechef des russischen Sicherheitsrates, Ex-Präsident Dmitri Medwedew, am Donnerstag im Nachrichtendienst Telegram. Johnsons Abgang sei das «rechtmässige Ergebnis britischer Unverfrorenheit und niveauloser Politik. Besonders auf internationalem Feld», meinte Medwedew.
Der britische Premier ist einer der glühendsten Unterstützer der ukrainischen Regierung in ihrem Kampf gegen den russischen Angriffskrieg.
Kremlsprecher Dmitri Peskow sprach von einer schweren Krise in Großbritannien. «Was Herrn Johnson selbst angeht, so mag er uns überhaupt nicht. Und wir ihn auch nicht», sagte Peskow der Agentur Interfax zufolge. Zugleich äußerte er die Hoffnung, dass in Großbritannien irgendwann «professionellere Leute» an die Macht kämen, die auch die Notwendigkeit von Dialog verstünden. «Aber im Moment ist darauf kaum zu setzen.»
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