Das Abba-Comeback: Wenn die Lieblingsband wieder anklopft
Über eine Zeitreise der ganz besonderen Art
Abba hat mit «Voyage» ihr erstes Studioalbum seit knapp 40 Jahren veröffentlicht und darin ihren typischen Sound der 1970er Jahre wiederaufleben lassen. Unser Kommentator* Thomas Petersen ist Abba-Fan allererster Stunde und hat diesem Tag lange entgegengefiebert.
Hamburg, 30. November 1974, ein Samstag. Ich bin in der Musikhalle am Dammtor und erlebe mein erstes Abba-Konzert. Meinen besten Freund Rainer hatte ich zwangsverpflichtet mitzukommen. War aber wohl nicht so seins… Wir waren beide immerhin fast 16 Jahre alt, und ich glaube, er fand das uncool. Nicht so ich. Wenn ich mir heute die Setlist von damals anschaue, fehlten natürlich ausser «Waterloo» alle grossen Titel, die erst später entstanden sind. Aber für mich war es damals schon perfekt! Kurze Zeit danach hatte ich aus lauter Enthusiasmus den Schriftzug vom 75er Album mit den vier Buchstaben über meinem Bett an der Wand nachgemalt (Tusche auf Rauhfaser). Bin aber damals nur bis zum ersten Ab– gekommen und habe es nie vervollständigt… Warum eigentlich nicht?
Das zweite Konzert habe ich dann am 8. Februar 1977 im CCH, dem Hamburger Kongresszentrum erlebt. Ich erinnere mich noch, dass ich mich in der Uhrzeit vertan hatte, zu spät kam, und die ersten beiden Songs schon gespielt waren. Ein Ärgernis! Im Vergleich zum Konzert in der Musikhalle war alles viel grösser, lauter und bunter. «Dancing Queen» live! Spätestens danach hatten sie mich… Jede neue LP war ein Ereignis, wurde rauf und runter gehört während ich die LP Cover sorgfältig studierte und mir kein Detail entgehen liess.
Ich weiss noch genau, wo ich war, als ich den Radionachrichten vom vorläufigen Ende von Abba gehört habe. Hat sich irgendwie eingebrannt, wie der tragische Tod von Lady Diana.
Jetzt, fast 40 Jahre später, ist mein Enthusiasmus für die Musik so stark wie eh und je. Er war ohnehin nie gebrochen. Dass jetzt ein neues Album erschienen ist, das quasi nahtlos an die alte Zeit anschliesst (MANNSCHAFT berichtete), ist für mich eine Zeitreise der ganz besonderen Art. Wie mutig und selbstbewusst, sich keinem Geschmacksdiktat von Heute zu unterwerfen und das zu tun, was man hervorragend kann. Ausgefeilte, hoch anspruchsvolle Popmusik schreiben, die sich unmittelbar erschliesst und irgendwie nie langweilig wird.
Die bislang veröffentlichen Songs vom neuen Album Voyage sind von aussergewöhnlicher Qualität. Sie klingen zwar so, als wären sie schon zu besten ABBA-Zeiten dagewesen, sind es aber mit Ausnahme von «Just a Notion» nicht. Trotzdem gaukeln sie uns das in bester Manier vor. Und genau darin besteht der Kniff. Eben gerade weil ABBA es unterlässt, sich einer neuen Zeit anzubiedern, nehmen sie uns mit in eine vergangene Ära, die rückblickend betrachtet für viele irgendwie unschuldig wirkt.
Im Netzt kursieren derzeit eine Fülle von sogenannten «Reactions Videos“ zu den neuen Songs. Wer Lust und Zeit hat, sollte sich mal die verschiedenen Clips anschauen, und mitverfolgen, wie sie auf die Stücke reagieren. Toll zu sehen, wie die Musik sie beim ersten Hören packt und sich starke Emotionen auf ihren Gesichtern spiegeln. Übrigens unabhängig davon, ob sie damals schon dabei waren, oder nicht.
Kein Wunder: wenn bei anderer Popmusik eine Phrase meist aus ein paar Tönen, einer kurzen einprägsamen Melodie besteht, gelingt es ABBA immer wieder, viel weitere Bögen zu spannen und immer noch einen «draufzusetzen». Ohne dass es künstlich wirkt. Ganz im Gegenteil, die Musik fliesst trotz vieler versteckter Wendungen völlig organisch dahin und changiert durch unterschiedlichste Schichten. Bei vermeintlich düsteren Stücken, scheint gleichzeitig immer etwas Aufbauendes durch und bei Upbeat-Nummern fehlt fast nie eine tiefer liegende, eher dunkle Ebene: Happy/Sad oder Sad/Happy sozusagen. Das gilt aber nicht nur für die Musik.
Der Text von «Don’t shut me down» ist auf den ersten Blick sehr eingängig. Erst beim genauen Zuhören wird klar, dass sich hier eine Band, die fast 40 Jahre lang geschwiegen hat, an ihre Fans wendet und fast schüchtern anklopft, in der Hoffnung, nicht abgewiesen zu werden. Vor emotionalen Texten mit einer gehörigen Portion Selbstreflexion haben sie sich aber auch damals nicht gefürchtet. Gleiches gilt für die Innenansicht bei «I still have faith in you“. Klar, Abba kann auch Kitsch – aber immer mit grosser Klasse und gekonntem Kalkül.
Das spiegelt sich auch in den Plänen für die geplanten, virtuellen Konzerte mit den Abba-Avatar*innen wieder. Ein cleverer Schachzug! Würde es Konzerte mit den heute real existierenden Bandmitgliedern geben, müssten wir als Zuschauer einen Spagat hinbekommen, der leicht ins Sentimentale abgleiten könnte. Mit den virtuellen Figuren aber, werden wir uns voll und ganz auf die Gefühlswelt einlassen können, die jeder ganz persönlich für sich mithilfe der Musik erschaffen hat.
Wenn ich die neuen Stücke höre, fühlt es sich für mich so an, als hätten die vergangenen vier Jahrzehnte in mir keine Spuren hinterlassen – was sie natürlich mehr als genug getan haben. Ein süsser Trugschluss, dem ich mich aber temporär sehr gerne hingebe. Dabei fällt mir ein, dass jetzt doch eigentlich ein guter Zeitpunkt wäre, den Schriftzug an der Wand zu vollenden. Nur leider existiert die Wohnung in dieser Form nicht mehr und ich bin auch keine 16 mehr.
*Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar oder eine Glosse zu einem aktuellen Thema, das die LGBTIQ-Community bewegt. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.
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