10 queere Filme zum (Wieder)Entdecken
Vom Mutter-Tochter-Drama über den Thriller am See bis zur Lovestory im Waschsalon
Es muss nicht immer neu sein. Im immer unübersichtlicher werdenden Dschungel der Streaming-Anbieter leuchten zwar die brandneuen Serien meist am hellsten, doch es lassen sich auch jede Menge Film-Klassiker und solche, die es werden wollen, entdecken. Wir empfehlen hier zehn queere Filme*, die sich nicht nur für ein LGBTIQ Publikum lohen und unbedingt (wieder-)entdeckt werden sollten.
The Deep End – Trügerische Stille (Disney+) Schon ihre Karriere begann Tilda Swinton als Gay-Ikone, dank ihrer Freundschaft mit dem schwulen Filmemacher Derek Jarman, vor dessen Kamera sie die ersten Berufsjahre bevorzugt stand. Ein bisschen was davon nahm sie dann auch mit, als sie später auch Hollywood mit ihrem Talent beehrte. In diesem Film von 2001 spielt sie die besorgte Mutter eines queeren Teenagers, dessen fast doppelt so alter Lover eines Tages tot am Ufer ihres Seegrundstücks liegt. Eine spannende, toll gespielte Mischung aus Drama und Thriller, inszeniert vom schwulen Regisseur Scott McGehee und seinem Hetero-Kreativpartner David Siegel.
High Art (Sooner & RealEyz) Einer der Klassiker des amerikanischen New Queer Cinema der Neunziger Jahre: die Mit-Zwanzigerin Syd (Radha Mitchell) entdeckt ganz neue Seiten und Begierden an und in sich, als sie die Fotografin Lucy (Ally Sheedy) und ihre Heroin-süchtige Lebensgefährtin (Patricia Clarkson) kennen lernt. Nicht nur die unglaublich guten Schauspielerinnen verleihen dem Film von 1998 seine Komplexität, sondern Lisa Cholodenkos Regie tut mit enormer Authentizität ihr übriges. Ein mehr als denkwürdiges Kinodebüt, dem die lesbische Regisseurin mit «Laurel Canyon» und vor allem «The Kids Are All Right» weitere starke Filme folgen liess.
Kissing Jessica (Disney+) Eigentlich sucht Jessica Stein (Jennifer Westfeldt) – eine verschrobene jüdische Journalistin in New York, die einem Woody Allen-Film entsprungen sein könnte – bei ihren Blind Dates den Mann fürs Leben. Doch die Kontaktanzeige, die sie am meisten anspricht, stammt ausgerechnet von der coolen Galeristin Helen (Heather Juergensen). Weniger eine lesbische RomCom als eine charmante Geschichte über Bisexualität, das Verschwimmen von Grenzen und die Exploration weiblicher Sexualität ist dieser von den Hauptdarstellerinnen geschriebene und von Charles Herman-Wurmfeld inszenierte Film aus dem Jahr 2001 vor allem kurzweilige Unterhaltung.
Das Hochzeitsbankett (Prime Video) Mit «Brokeback Mountain» schrieb sich der aus Taiwan stammende Regisseur Ang Lee für immer in die Filmgeschichte ein, doch der internationale Durchbruch gelang ihm bereits 12 Jahre zuvor. Diese Geschichte des schwulen Taiwanesen Wai-Tung Gao (Winston Chao), der schon lange in New York lebt, seinen alten Eltern noch nie von seinem Lebensgefährten (Mitchell Lichtenstein) erzählt hat und für ihren Besuch eine Schein-Ehe eingehen will, ist eine hinreissend leichtfüßige Feelgood-Komödie mit ernsten Untertönen, die auf der Berlinale 1993 mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet und später für den Oscar nominiert wurde.
Tangerine L.A. (Mubi & Filmfriend) Ein Weihnachtsfilm der etwas anderen Art: zwei trans Sexarbeiterinnen streifen durch die unglamourösen Strassen Hollywoods, ihre Wege kreuzen ein Taxifahrer-Kunde genauso wie ein Zuhälter-Lover, Drogen spielen dabei ebenso eine Rolle wie ein Donut-Shop. Die Tatsache, dass Regisseur Sean Baker seinen handlungsarmen, aber an Atmosphäre reichen Film ausschliesslich mit einem iPhone drehte und trotzdem eindrucksvolle Bilder einfing, ist nur ein faszinierender Aspekt dieses Films von 2015. Die Selbstverständlichkeit, mit der er seine beiden von den trans Schauspielerinnen Kitana Kiki Rodriguez und Mya Taylor gespielten Protagonistinnen inszeniert, ist kein bisschen weniger bemerkenswert.
Die Liebenden (Arte Mediathek) Sein Name mag nicht ganz so bekannt sein wie der von François Ozon, doch die Nummer 2 unter Frankreichs schwulen Mainstream-Regisseuren ist Christophe Honoré allemal. Nicht jeder seiner Filme erzählt so dezidiert queere Geschichten wie etwa «Sorry Angel», «Chanson der Liebe» oder «Mann im Bad» mit Pornostar François Sagat. Doch gerade wie er auch in die anderen Werke LGBTQ-Elemente integriert, ist sehenswert. So wie im Fall dieses sich über Jahrzehnte hinziehenden Mutter-Tochter-Drama mit Musical-Elementen aus dem Jahr 2011, in dem nicht nur Catherine Deneuve und Chiara Mastroianni, sondern auch Paul Schneider als schwuler Schwarm und Tierarzt zu sehen sind. Nur noch bis zum 1. September verfügbar!
The Opposite of Sex (Netflix) Noch ein Beispiel dafür, zu welch grosser – und queerer – Form das amerikanische Independent-Kino in den Neunziger Jahren auflief. Das Regiedebüt von Don Roos, in dem Christina Ricci als 16-jährige von zuhause abhaut, bei ihrem schwulen Halbbruder (Martin Donovan) unterkommt und dessen Lover (Ivan Sergei, Inbegriff von 90s Hotness) verführt, ist jedenfalls auch heute noch ebenso bitterböse und komisch. Ein ähnlich starkes Stück ist Roos, der mit dem Schauspieler Dan Bucatinsky («Scandal») verheiratet ist und auch die Drehbücher zu «Kaffee, Milch und Zucker» oder «Weiblich, ledig, jung sucht…» schrieb, danach allerdings nie wieder gelungen.
Hustler White (Salzgeber Club) Darf’s ein bisschen mehr Sex sein? In dieser Komödie von Bruce LaBruce, der in seinem Werk immer schon die Grenzen zwischen Arthouse und Porno auslotete, geht es jedenfalls so explizit zu, dass der Film von 1996 auch heute keine Jugendfreigabe hat. Für diese Geschichte in der ein europäischer Autor (LaBruce selbst) sich in Los Angeles in einen Stricher (Madonnas Ex-Lover Tony Ward) verliebt, liess sich der kanadische Regisseur von «Tod in Venedig» genauso inspirieren wie von Andy Warhols Sexfilmen und wirft nebenbei einen Blick auf die schattigen Randgebiete der glamourösen Traumfabrik. Zum 25. Geburtstag gibt es den Film jetzt in digital restaurierter Fassung – und nicht nur als Zeitdokument ist er bis heute faszinierend.
(Bonus) Die Filme von Barbara Hammer (Mubi) Auf einem Motorrad und mit einer Super-8-Kamera im Gepäck verliess Barbara Hammer in den Siebzger Jahren ihren heterosexuellen Ehe-Alltag, hatte ihr Coming-out und begann ihre Laufbahn als Filmemacherin. «Dyketactics» aus dem Jahr 1974 gilt als einer der ersten dezidiert lesbischen Werke der Filmgeschichte, viele weitere liess die 2019 verstorbene Künstlerin folgen. In der Doku-Reihe «Pride», die aktuell bei Disney+ zu sehen ist (MANNSCHAFT berichtete), setzt ihr ihre Kollegin Cheryl Dunye ein kleines Denkmal, und der Streamingdienst Mubi hat einige ihre Dokumentar- und Experimentalfilme im Programm (darunter «The Female Closet»).
*Als Grundlage dient die legale Streaming-Verfügbarkeit in Deutschland, Abweichungen in der Schweiz und Österreich sind möglich.
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