10 Jahre Liebe & Lust – Das ist der Mann hinter «Dr. Gay»
Vinicio Albani erzählt, woher die Fragen kommen und ob man eine*n Polizist*in auf der Strasse anmachen darf
Seit bald zehn Jahren beantwortet Vinicio Albani als Dr. Gay Fragen zu Liebe, Gay Life, Coming-out, Gesundheit und Sexualität. Noch länger, schon seit 2007, arbeitet er bei der Aids-Hilfe Schweiz. MANNSCHAFT hat ihn in Zürich besucht.
Vinnie, was waren die schönsten Erlebnisse in 10 Jahren «Dr. Gay»? Immer wieder bekomme ich Komplimente dafür, dass ich die Fragen mit so viel Geduld und Einfühlsamkeit beantworte. Und natürlich immer, wenn die Leute danke sagen und man weiss, dass man dieser Person helfen konnte.
Wirst du auf der Strasse erkannt? Relativ lange haben wir «Dr. Gay» nicht personifiziert. Es war also nicht nur eine Person hinter Dr. Gay. Als wir für «Blick am Abend» (ehem. Pendlerzeitschrift in der Schweiz, Anm. d. Redaktion) Fragen beantworteten, war ich zum ersten Mal mit Bild zu sehen und wurde deshalb auch schon im Nachtleben erkannt. Das könnte aber auch daran liegen, dass die Szene so klein ist und einen halt auch so viele kennen.
Was sind die Aufgaben von «Dr. Gay»? Ich beantworte die Fragen, die über die Website hereinkommen. Das ist der Löwenanteil. Manchmal kommen die Fragen auch per Mail. Ich beantworte alle Fragen, die auf Deutsch oder Italienisch gestellt werden. Für Französisch ist jemand anderes zuständig. Ausserdem wähle ich die Fragen aus, die für Print und Online interessant sein könnten und passe diese Fragen entsprechend redaktionell an. Manchmal schreibe ich auch Kolumnen, Artikel oder stelle aktuelle Kampagnen vor. Ebenso schreibe ich Texte für Broschüren oder die Website drgay.ch.
Wie entscheidest du, welche Fragen es in die MANNSCHAFT schaffen? Ich überlege mir, was in letzter Zeit öfter gefragt wurde und höre auf mein Bauchgefühl, wenn es darum geht herauszufinden, was gerade wichtig ist.
Eine Frage muss zudem einen gewissen Unterhaltungswert haben, aktuell sein und ins Format passen. Sie darf also für ein Printmedium nicht zu lang sein und relativ einfach zu beantworten sein. Bei den Fragen für online sind wir da etwas freier.
Gibt es Fragen, die du immer wieder beantwortest? Fragen zu HIV und STI (sexuell übertragbare Krankheiten) kommen immer, öfter auch Fragen zur PrEP (die gibt es in Deutschland jetzt seit einem Jahr auf Rezept – MANNSCHAFT zieht Bilanz). Veraltetes Wissen hält sich manchmal sehr hartnäckig. Beispielsweise die Frage, ob ein Kondom auch guten Schutz gegen andere STI wie Hepatitis, Syphilis, Tripper oder Chlamydien bietet – was es nicht tut – und auch die Frage, ob Sperma im Mund ein HIV-Risiko ist, was lange vermutet wurde aber heute widerlegt ist.
Warum herrscht noch immer so viel Unwissenheit bei diesen Themen? Dass wir heute das Internet haben, macht es nicht zwingend einfacher. Bei so vielen Informationen treiben sich auch viele Fehlinformationen und Halbwissen herum, da ist es schwierig die richtige Antwort zu finden.
Man fragt sich manchmal schon, «warum wissen das so viele noch nicht?» Ich bin aber nie moralisch oder wertend. Es gehört zum Konzept von «Dr. Gay», dass wir alle Fragen ernst nehmen, auch wenn sie schon hundertmal beantwortet wurden. Wenn zum Beispiel eine Frage zu Sex unter Drogen kommt, sagen wir nicht «Drogen sind schlecht für dich». Die Person soll auf Grund des Wissens, das wir weitergeben, selber entscheiden können, was sie machen will. Wichtig ist es zu wissen, was das Risiko ist.
Eine Frage, die uns besonders unter den Nägeln brennt: Sind alle Fragen echt? (lacht) Diese Frage wird mir auch ganz oft gestellt! Die Antwort ist: Ja. Tatsächlich sind manche Fragen so speziell, dass ich die niemals selber erfinden könnte.
Im Rahmen einer Kampagne habe ich auch schon Fragen erfunden, aber selbst da kann ich auf Fragen zurückgreifen, die schon mal gestellt wurden. Als wir für «Blick am Abend» geschrieben haben, sah ich es auch als meine Aufgabe, die Leser*innen etwas über die Klischees aufzuklären und habe «Hetero-Fragen» erfunden. Beispielsweise «Was ist der CSD?» oder «Wer ist in einer schwulen Beziehung die Frau?» Die Fragen auf der Website sind aber alle echt.
Wem hast du deine Fragen gestellt, als du jünger warst? Es hat damals zum Beispiel Dr. Sommer in der Jugendzeitschrift BRAVO gegeben, aber natürlich noch kein Internet. Es gab nicht so viele Möglichkeiten, sich zu informieren.
Können bei «Dr. Gay» auch Frauen Fragen stellen? Es hat auch schon Fragen gegeben, die von Frauen kamen, aber eher selten. Auch selten kamen Fragen von trans Personen. Viele Fragen sind aber auch nicht geschlechterspezifisch und nicht alle Fragensteller*innen geben ihr Geschlecht an. Zu Beginn haben wir bei Fragen, die offensichtlich von Heteros oder von Frauen kamen gesagt, dass «Dr. Gay» ein Angebot für MSM (Männer, die mit Männern Sex haben) ist. Damit haben wir aber aufgehört.
Was machst du, wenn du eine Frage nicht selber beantworten kannst? Gerade bei neuen Medikamenten oder Studien muss ich manchmal bei einem Arzt von Checkpoint nachfragen, was da die aktuelle Lage ist. Manchmal habe ich selbst auch noch das Wissen von vor zwei Jahren und dann ist das vielleicht auch schon nicht mehr gültig. Eine weitere gute Quelle ist unser internes Wissensmanagement bei der Aids-Hilfe-Schweiz. Bei rechtlichen Fragen frage ich auch gerne bei uns in der Rechtsabteilung der Aids-Hilfe nach.
Kannst du dich an besonders kuriose Fragen erinnern? Eine der ersten Fragen, die damals im «Blick am Abend» kam war: «Darf man einen Polizisten auf der Strasse anmachen?» Ein anderes Mal schrieb jemand, dass er sich in ein Schiff verliebt hatte. Auch hier gilt natürlich unser Kodex, dass wir alle Fragen ernst nehmen und auch entsprechend beantworten.
Darf man denn ein*e Polizist*in auf der Strasse anmachen? (lacht) Ich weiss nicht mehr genau, was ich geantwortet habe. Aber man sollte Menschen bei der Arbeit, sei es jetzt ein*e Beamt*in oder ein*e Verkäufer*in, nicht in ihrer Tätigkeit einschränken. Man kann sich natürlich für nach der Arbeit verabreden, dann spielt der Beruf keine Rolle mehr.
Hast du Fragen zu Beziehung, Sex, Drogen, HIV-Risiko oder anderem? Das Expertenteam von «Dr. Gay» ist für dich da. Hier kannst du deine Frage stellen: www.drgay.ch
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