Sorge um LGBTIQ-Rechte unter Israels neuer ultrarechter Regierung
Der scheidende Verteidigungsminister warnt zudem vor Eskalation der Gewalt
Langzeit-Regierungschef Netanjahu kehrt aus der Opposition zurück ans Ruder. Seine Regierung mit rechtsextremen und tiefreligiösen Partnern wird im Parlament vereidigt. Sie plant weitreichende Reformen, die schon vor Netanjahus Amtsantritt für grosse Unruhe sorgten.
Fast zwei Monate nach der Parlamentswahl in Israel wird an diesem Donnerstag die rechts-religiöse Regierung des Siegers Benjamin Netanjahu vereidigt. Es ist die am weitesten rechts stehende Regierung, die Israel je hatte. Erstmals sind auch rechtsextreme Politiker in der Koalition vertreten.
Der frühere Langzeit-Ministerpräsident Netanjahu kehrt damit nach anderthalb Jahren zurück an die Macht. In Israels Geschichte war niemand länger im Amt als der 73-Jährige. Es ist bereits die sechste Regierung, die der Vorsitzende der rechtskonservativen Likud-Partei bildet.
Die neue Regierung verfügt über 64 von 120 Sitzen im Parlament. Die Hälfte davon gehört zu Netanjahus Likud, die andere Hälfte zu dem rechtsextremen Religiös-Zionistischen Bündnis sowie zwei strengreligiösen Parteien. Die Koalition will tiefgreifende politische Veränderungen durchsetzen und das Justizsystem gezielt schwächen. Die Änderungen könnten laut Experten auch eine Aufhebung des aktuell laufenden Korruptionsprozesses gegen Netanjahu bewirken.
Netanjahu betont immer wieder, er werde selbst die Agenda bestimmen und sich nicht von seinen radikalen Partnern lenken lassen. Noch vor der Vereidigung wurde eine ganze Reihe umstrittener Gesetzesänderungen im Parlament durchgesetzt. Diese galten als Voraussetzung für den gemeinsamen Koalitionsvertrag.
Mehrere umstrittene Politiker erhalten Ministerposten. Für den Vorsitzenden der strengreligiösen Schas-Partei, Arie Deri, wurde eigens ein Gesetz geändert, damit er trotz einer Verurteilung wegen Steuervergehen Innenminister werden kann. Bezalel Smotrich von der rechtsextremen Religiös-Zionistischen Partei soll neben dem Amt des Finanzministers auch einen Posten im Verteidigungsministerium erhalten.
Smotrich gilt als glühender Verfechter des Siedlungsausbaus im besetzten Westjordanland. Künftig soll er auch Einfluss auf die Verwaltung des Westjordanlandes und das Leben der Palästinenser erhalten. Smotrich strebt die Legalisierung weiterer israelischer Siedlungen an.
In den am Mittwoch veröffentlichten Leitlinien der Regierung ist festgelegt, dass die Koalition den Siedlungsausbau auch in Gebieten vorantreiben will, die die Palästinenser für einen künftigen Staat beanspruchen. «Das jüdische Volk hat ein alleiniges und unumstössliches Recht auf alle Teile des Landes Israel», heisst es dort. «Die Regierung wird die Besiedlung aller Teile Israels voranbringen und entwickeln – in Galiläa, in der Negev-Wüste, auf den Golanhöhen und in Judäa und Samaria (Westjordanland).»
Minister für Nationale Sicherheit wird Itamar Ben-Gvir, der in der Vergangenheit wegen Unterstützung einer terroristischen Organisation verurteilt worden war. Neben der Polizei soll er nach einer Gesetzesänderung auch für die Grenzpolizei im Westjordanland zuständig sein.
Der scheidende Verteidigungsminister Benny Gantz warnte angesichts der Änderungen vor einer weiteren Eskalation der Gewalt und vor Blutvergiessen in der Region.
Angesichts rassistischer und homofeindllicher Äusserungen von künftigen Koalitionsmitgliedern regt sich bereits Widerstand aus verschiedenen Teilen der Bevölkerung. Proteste kamen etwa von Repräsentant*innen der IT-Branche, Unternehmen, der Luftwaffe und Ärzten.
Hunderte von US-Rabbiner*innen haben einen offenen Brief unterzeichnet, in dem sie gegen Israels neue Regierung protestieren und versprechen, die extremsten jüdisch-nationalistischen Mitglieder des Kabinetts des designierten Premierministers Netanyahu daran zu hindern, in ihren Gemeinden oder Organisationen zu sprechen.
Der Brief der Rabbiner*innen erwähnt laut Washington Post fünf Punkte, die unter der neuen Regierung auf dem Prüfstand stünden, darunter ausser Kraft zu setzende Urteile des israelischen Obersten Gerichtshofs und die Aushöhlung von LGBTIQ-Rechten. Sie wollen «gegen das kämpfen, was ich für eine verzerrte Vision jüdischer Werte und einer verantwortungsvollen Regierung und Demokratie halte», erklärte Rabbi Deborah Waxman, die Geschäftsführerin von Reconstructing Judaism, einem kleinen, liberalen Zweig des amerikanischen Judentums .
Auch Rabbi Debra Cantor aus B’nai Tikvoh-Sholom, einer konservativen Gemeinde in Bloomfield, Connecticut, warnte gegenüber Religion News Service, dass die Demokratie, Menschenrechte für LGBTIQ und der Schutz von Minderheiten in Gefahr seien.
Netanjahus Amtsvorgänger, Jair Lapid von der liberalen Zukunftspartei, sagte nach den Gesetzesänderungen, die neue Regierung habe sich bereits vor ihrer Vereidigung als «die korrupteste aller Zeiten» erwiesen.
Israel ist in den vergangenen Jahrzehnten deutlich toleranter gegenüber Homosexualität geworden. Gleichgeschlechtliche Paare können mit Hilfe von Leihmüttern Eltern werden (MANNSCHAFT berichtete).
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