«Saltburn»-Vibes bei Netflix – «Ripley» mit Andrew Scott
Neue Serie über Patricia Highsmiths Mörder mit homoerotischen Tendenzen
«Saltburn»-Vibes bei Netflix: Die Mörder-Miniserie «Ripley» mit Andrew Scott scheint dem zuletzt gehypten Thriller mit Barry Keoghan zu ähneln. In Wirklichkeit ist es natürlich umgekehrt.
Von Gregor Tholl, dpa
Diese Romanfigur von Patricia Highsmith gilt vielen als das charmanteste Ekel der Krimigeschichte: Die Rede ist von dem Betrüger, Soziopathen und Mörder Tom Ripley. Schon mehrfach wurde der 1955 erschienene Roman «Der talentierte Mr. Ripley» verfilmt: 1960 mit dem Franzosen Alain Delon (deutscher Titel: «Nur die Sonne war Zeuge») und 1999 mit Hollywood-Star Matt Damon in der Titelrolle. Nun tritt ein irischer Schauspieler in die Fussstapfen der beiden. Netflix bringt die achtteilige Serie «Ripley» mit Andrew Scott heraus.
Statt eines 112 oder 139 Minuten langen Spielfilms wie in den 60ern oder 90ern wurde aus dem ambivalenten Stoff eine Miniserie von insgesamt 434 Minuten (über sieben Stunden).
Der 47-jährige Scott ist der gar nicht mehr so geheime Geheimtipp des englischsprachigen Filmgeschäfts. Er war Benedict Cumberbatchs Gegenspieler James Moriarty in der BBC-Serie «Sherlock», der sexy Priester in der Dramedy «Fleabag» von Phoebe Waller-Bridge sowie der einsame Grossstadtschwule im melancholischen Drama «All of Us Strangers» von Andrew Haigh (MANNSCHAFT berichtete). Für letzteres hätte Scott glatt alle Schauspielerpreise dieser Welt verdient. Jedenfalls gehört er zur Riege der Iren, über die im Bewegtbild-Business gerade alle zu reden scheinen – neben Cillian Murphy, Paul Mescal und Barry Keoghan.
Scotts vielsagendes Gesicht passt zur Rolle des virtuosen Verbrechers, der sich durch ein Netz aus Lügen laviert und durch Italien reist – Orte wie Neapel, Atrani, Rom, Sanremo, Palermo und Venedig kommen vor. Die Netflix-Serie ist in Schwarz-Weiss. Brillante Bilder (Kamera: Robert Elswit) führen durch die Geschichte. Fast jede Einstellung wäre als Postkarte oder Kunstdruck geeignet. Die Geschichte spielt Anfang der 60er und funktioniert auch nur mit dem damaligen Technik-Standard: ohne Handy, mit Briefen und Schecks.
Das Magazin Vanity Fair zitierte Autor und Regisseur Steven Zaillian (71), der als «Schindlers Liste»-Drehbuchautor vor 30 Jahren einen Oscar gewann und ein Hollywood-Urgestein ist («Zeit des Erwachens», «Verblendung», «The Irishman»), mit den Worten: «Die Ausgabe des Ripley-Buchs, die ich auf meinem Schreibtisch hatte, hatte ein eindrucksvolles Schwarz-Weiss-Foto auf dem Cover. Als ich meine Adaption schrieb, hatte ich dieses Bild im Kopf. Schwarz-Weiss passt einfach zu dieser Geschichte.»
Die Story: Ein reicher New Yorker Industrieller heuert den kleinkriminellen Trickbetrüger Tom Ripley an, um seinen Lebemann-Sohn Richard (genannt Dickie) Greenleaf vom Dolce Vita in Italien abzubringen und aus Europa zurück nach Amerika zu holen. Raffiniert drängt sich Ripley ins Leben von Dickie, doch als die Mission und damit Ripleys Hoffnung auf ein besseres Dasein zu scheitern droht, greift Tom zu Mitteln wie Mord und Identitätsdiebstahl.
Die Serie von Steven Zaillian («The Night Of – Die Wahrheit einer Nacht») geht mit ihrer Dauer logischerweise mehr ins Detail als die bisherigen Thriller-Filme – bisweilen gefällt sie sich aber auch in allzu langsamer Erzählweise, wenn Ripley immer wieder Treppen hochläuft, mal wieder aus einem Zug mit Koffer steigt, aufwendig in Hotels eincheckt oder wenn eine Katze neugierig sein Treiben beobachtet.
Die Serie dürfte – mit ihrem harmlos wirkenden Mörder mit homoerotischen Tendenzen – global auf ein geradezu bestens vorbereitetes Publikum stossen. Denn der Hype-Film «Saltburn» rund um Psychopath Oliver Quick (Barry Keoghan), der Anfang des Jahres ein Social-Media-Trend war und den mehr als 22 Jahre alten Hit «Murder on the Dancefloor» wieder in die Charts katapultierte (MANNSCHAFT berichtete), ähnelt dem alten Ripley-Stoff.
Johnny Flynn verkörpert Dickie Greenleaf, was in der Filmversion von Anthony Minghella («Der englische Patient») 1999 noch Jude Law tat. Dakota Fanning hat die Rolle als Marge, Dickies Freundin, übernommen (vor 25 Jahren war es Gwyneth Paltrow). Ihr ist Tom Ripley ganz und gar nicht geheuer. In der Serie tauchen in kleinen Rollen auch Louis Hofmann («Dark») und John Malkovich auf.
Weltstar Malkovich gehört – wie Dennis Hopper in Wim Wenders‘ Highsmith-Verfilmung «Der amerikanische Freund» – zu den Stars, die auch schon einmal Tom Ripley verkörperten. Malkovich mimte den Serienmörder vor 22 Jahren in dem Film «Ripley’s Game», der Verfilmung eines weiteren Teils von Patricia Highsmiths innovativen Ripley-Romanen.
Andrew Scotts «Ripley», der durch und durch amoralisch zu sein scheint, wird selten von Gewissensbissen heimgesucht. Zuschauer*innen führt das in die denkwürdige Situation, mit dem verschlagenen Verwandlungskünstler mitzufiebern. Diabolisch.
Einer überlebte den Darkroom-Killer: In einer neuen Netflix-Doku geht es um drei Morde in der Berliner Schwulenszene (MANNSCHAFT berichtete).
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