Lesbische Aktivist*innen besetzen Berliner Schwulenberatung
Am Mittwochnachmittag zog ein gutes Dutzend Aktivistin*innen mit beschrifteten Umzugskartons und einem großen Banner symbolisch in einen Standort der Schwulenberatung in der Wilhelmstraße ein.
Nach einem Rundgang durch die Räum verließen sie das Haus wieder und positionierten sich vor dem Eingang. „Wir kommen jetzt öfter“, lautete einer ihrer Slogans. Mit der Aktion sollte die Forderung nach einem Wohnhaus für Lesben unterstrichen werden, das der Verein Rad und Tat – Offene Initiative für lesbische Frauen (RuT) in Berlin seit langem umsetzen will – das bundesweit erste, inklusive Wohnprojekt für ältere, queere Frauen: 80 barrierefreie Wohnungen, zwei Wohngemeinschaften für pflegebedürftige und demenzkranke Frauen, ein Frauen- und ein Kiezcafé.
Ein Wohnhaus für queere Menschen will aber auch die Schwulenberatung bauen, auf demselben Grundstück genannt Schöneberger Linse, einem Gelände zwischen dem Bahnhof Südkreuz und dem S-Bahnhof Schöneberg. Geplant ist ein zweiter „Lebensort Vielfalt“, mit einem deutlich höheren Frauenanteil, als dies im ersten Haus in Charlottenburg der Fall ist, dazu eine queere Kindertagesstätte mit 44 Plätzen.
Zwischen uns und RuT gibt es keinen Streit
Hintergrund der Aktion vom Mittwoch, so ist im Berliner Szenemagzain Siegessäule – deren Herausgeberin Manuela Kay auch die Kuratorin des RuT-Projekts ist – zu lesen, sei nun ein Streit zwischen RuT und Schwulenberatung um ein Grundstück am Südkreuz.
Marcel de Groot, Geschäftsführer der Schwulenberatung, erklärt dazu gegenüber der Mannschaft: „Zwischen uns und RuT gibt es keinen Streit. Wenn überhaupt, dann sind wir im Streit mit dem Land Berlin, denn die haben sich das Verfahren ausgedacht.“ Das Verfahren gilt als intransparent und inkonsequent, es treibe soziale Träger in eine knallharte Investorenkonkurrenz, so die Kritik.
De Groot wundert sich, dass unter den Aktivistinnen auch die queerpolitische Sprecherin der Grünen Anja Kofbinger war, deren Partei dem Senat angehört – der das komplizierte Verfahren einst in Gang gebracht hat, damals war allerdings noch die CDU der Koalitionspartner der SPD. Bestandteil des Verfahrens ist, dass bereits bei der Bewerbung Geld investiert werden muss, etwa für Gutachter und Architekten; so ist die Schwulenberatung bereits mit fast 100.000 Euro in Vorleistung gegangen. Einer der Hauptgründe, warum man auf keinen Fall die Bewerbung zurückziehen werde. Zumal man bei 400 Anmeldungen auf der Warteliste Bedarf für ein weiteres Haus sieht.
An der Aktion vom Mittwoch um 16 Uhr wundern den Geschäftsführer der Schwulenberatung noch mehr Dinge. Bis 10 Uhr desselben Tages mussten die Unterlagen für den dritten Durchlauf bei der BIM abgegeben werden, was man auch rechtzeitig erledigt habe. Die Aktivisten seien also mindestens sechs Stunden zu spät gekommen – das Verfahren laufe ja schon einige Jahre. Und dann waren die Aktivistinnen offenbar noch am falschen Ort, in der Wilhelmstraße. Die Geschäftsräume der Schwulenberatung befinden sich jedoch in der Charlottenburger Niebuhrstraße, wo auch das Mehrgenerationenhaus Lebensort Vielfalt steht.
Man habe von Anfang an bei mehreren Verwaltungen das Verfahren kritisiert und als völlig ungeeignet für soziale Träger gefunden, so de Groot. Die Antwort, die er bekam: Man könne das Verfahren nicht mehr ändern. RuT dagegen kritisiert, dass man ein Konzeptverfahren um den Standort an der Schöneberger Linse bereits gewonnen hatte. Die Schwulenberatung habe das Ergebnis nicht akzeptiert und ließ das Verfahren juristisch prüfen. Resultat: Der dreistufige Entscheidungsprozess darüber, wer das Grundstück bekommen soll, wurde auf die zweite Stufe zurückgesetzt.
In Berlin wird einem nichts geschenkt, man muss immer kämpfen
Die Anfechtung durch die Schwulenberatung habe sich aber nicht gegen RuT gerichtet, so Marcel de Groot. Sondern gegen einen Verfahrensfehler, der die Schwulenberatung benachteiligt hätte; in der Sache habe man dann ja auch Recht bekommen. Dass man sich juristisch gewehrt habe, sei alternativlos gewesen. „Auch in Berlin wird einem nichts geschenkt; man muss immer kämpfen“, so de Groot.
Was die RuT-AktivistInnen zudem stört, sei, dass die Berliner Schwulenberatung bereits zwei Wohnprojekte betreibe – in Charlottenburg und am Ostkreuz. In beiden aber, so de Groot, wohnten auch Lesben und trans Menschen. Und das Projekt am Ostkreuz sei auch mit dem geplanten Haus am Südkreuz nicht zu vergleichen, da dort ab Juni Schwule, Lesben und trans Menschen (die aus der Flüchtlingsunterkunft in Treptow stammen) wohnten, LGBTIQ mit psychischen Beeinträchtigungen, und die würden betreut.
RuT-Aktivistinnen fürchten, leer auszugehen Die RuT-Aktivistinnen fürchten, dass die Schwulenberatung den Zuschlag erhalte und die lesbischen Frauen somit leer ausgegehen würden. Die Grünen-Abgeordnete Kofbinger sagte gegenüber der Siegessäule, sie habe „einfach die Schnauze voll“: „Seit Jahren kämpfe man um Gelder für das Wohnprojekt von RuT, für ältere Frauen, aber auch generationenübergreifend. Das Geld ist mittlerweile da, das Land Berlin ist jedoch nicht in der Lage, einen adäquaten Bauplatz zur Verfügung zu stellen.“
Jetzt sind die Lesben dran
Dass die Schwulenberatung an ihrer Bewerbung festhalte, finden die Aktivistinnen „unsolidarisch“. Manuela Kay sagte : Die Frage ist: “Wer kriegt am Ende ein Haus? Jetzt sind eigentlich mal die Lesben dran, aber die Schwulen lassen die Muskeln spielen.“ Darum erwarte sie, dass sich die Schwulenberatung solidarisch zeigt und ihren Antrag zurückziehe, ungeachtet der Kritik am Verfahren. Das kommt für de Groot aber nicht in Frage.
Die Entscheidung fällt nach dem Sommer. Ob die Frauen ihre Ankündigung wahrmachen und nun öfter kommen, wird sich zeigen.
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